„Im Großen und Ganzen ist das Leben ein ganz Normales“

Walter Weiss hat vor fast 40 Jahren ein neues Herz bekommen. Seither hat sich viel getan, weiß das Team des AKH Wien und der Med Uni.
An einem Morgen im Jahr 1985 in Groß-Enzersdorf: Walter Weiss steigt aus seinem Auto und bekommt auf einmal nur mehr schwer Luft. Der Maschinenschlosser schafft es noch ein paar Schritte auf den Firmenparkplatz, hinein ins Gebäude aber nicht mehr. Es ist einer der Betriebsärzte, der ihn sofort weiter ins Allgemeine Krankenhaus Wien (AKH) schickt: „Der hat was.“ Die Diagnose: Herzmuskelentzündung, wahrscheinlich, weil Weiss nach einer starken Grippe zu früh und zu schwer gearbeitet hat. Walter Weiss bekommt einen Herzstillstand, kann wieder zurückgeholt werden. Er ist damals 40 Jahre alt, lebt zusammen mit seiner Frau und seinen zwei Söhnen (3 und 11) und hat nur eine Chance zum Überleben: Er braucht ein neues Herz.
Fünfte Patient
Und er bekommt eines. In Wien ist Walter Weiss der fünfte Patient, bei dem die Transplantation gelingt. Seine Operation geht in die Geschichte ein. Walter Weiss soll der älteste lebende Patient mit Spenderherz in ganz Österreich werden.
„Man vergisst, dass man überhaupt ein anderes Herz in seinem Körper hat. Im Großen und Ganzen ist das Leben ein ganz normales, würd ich sagen“, sagt der heute 79-Jährige. Er fährt Rad – wenn auch nur mehr mit dem Elektrobike –, wandert, werkelt in seinem Haus im Grünen in der Lobau und züchtet im Garten Petersilie und Schnittlauch. Mit seinem neuen Herz hat er seine Söhne aufwachsen sehen und ganz Europa bis ans Nordkap mit dem Campingbus durchquert.
40 Jahre Herztransplantation
„Es ist fast mystisch, wenn ein Herz in einem neuen Körper wieder zu schlagen beginnt“, sagt die Anästhesistin Edda Tschernko. Am AKH Wien und an der Med Uni feiert sie dieses Jahr mit ihren Kolleginnen und Kollegen die Erfolgsgeschichte von 40 Jahren Herztransplantation – exakt am 5. März 1984 wurde das erste Mal in Wien erfolgreich ein Spenderherz verpflanzt. Die erste Transplantation in ganz Österreich fand übrigens in Innsbruck 1983 statt.

In Wien zählt man heute 1.783 Eingriffe, der letzte in der Nacht auf Mittwoch bei einem Kind mit angeborenem Herzfehler. 81 Prozent der Patienten leben ein Jahr nach der Transplantation noch, 75 Prozent sind es nach zehn Jahren. „Wien ist weltweit eines der größten Zentren für Herztransplantationen“, sagt Daniel Zimpfer, Leiter der Universitätsklinik für Herzchirurgie. Der Durchschnittspatient hat eine Herzschwäche, ist etwa 50 Jahre alt, 75 Prozent der Transplantierten sind Männer.
„Extrem viel“ geändert
In den letzten Jahren hat sich „extrem viel“ geändert, betont Andreas Zuckermann, Programmdirektor Herztransplantation. Dass das Herz abgestoßen wird, ist „quasi kein Thema mehr“, waren es in den 1980ern noch 50 Prozent der Patienten, die damit zu kämpfen hatten, sind es jetzt nur mehr zehn Prozent. Die Medikamente, die die Transplantierten ihr Leben lang nehmen müssen, wurden weiterentwickelt.
Und die Spenderherzen könnten viel besser geschützt werden, sie halten maximal vier Stunden außerhalb des Körpers: Wurden sie früher in einer herkömmlichen Camping-Kühlbox transportiert, ist es nun sogar möglich, „tote“ Organe nach einem Herzstillstand in einer Box mit Blut zu durchspülen und wiederzubeleben. In Zukunft könnte es möglich sein, Spenderherzen noch länger haltbar zu machen, in Boxen, die das Herz weiterschlagen lassen. Außerdem könnten die Medikamente nach einer Transplantation individueller abgestimmt werden, in Richtung Schweineherztransplantionen wird weiter experimentiert und auch die Rolle von künstlichen Herzen wird immer größer, sagt Zuckermann. Denn grundsätzlich gibt es nie so viele Spenderherzen, wie gebraucht werden.
Wer bekommt ein Spenderherz?
Die durchschnittliche Wartezeit auf ein Spenderorgan beträgt sechs bis neun Monate, wenn Patientinnen beziehungsweise Patienten als hochdringlich (akut lebensbedrohliche Situation) bei Eurotransplant gelistet sind, kann sich das auf zehn bis 14 Tage reduzieren. Die Stiftung Eurotransplant koordiniert den internationalen Austausch aller Spenderorgane in einem Verbund aus acht europäischen Ländern: Belgien, Deutschland, Kroatien, Luxemburg, den Niederlanden, Österreich, Slowenien und Ungarn. Entscheidend für die Reihenfolge der zu Transplantierenden ist zum Beispiel, dass Blutgruppen übereinstimmen.
Walter Weiss ist über seine eigene Spenderin nicht viel bekannt, eine 26-jährige Frau soll es gewesen sein. Mittlerweile ist es verboten, die Daten von Spenderinnen und Spendern weiterzugeben. Weiss geht alle drei Monate gern zum Check-up ins AKH, erzählt er. Zu seinem „Wunderteam“, wie der Pensionist es nennt. Vor 40 Jahren hat für ihn hier „ein neues Leben begonnen“. Seine beiden Chirurgen, die damals den Eingriff vorgenommen haben, wird er wahrscheinlich bei einem Symposium anlässlich des 40. Jahrestages der ersten Herztransplantation in Wien wiedersehen.