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„Auch wenn ich vor dem Regime geflüchtet bin, bleibe ich Iraner“

28.04.2024 • 06:00 Uhr
Interview Benjamin Davoodi
Benjamin Davoodi im Interview mit der NEUE am Sonntag. Jan Natter

Mit 17 brach Benjamin Davoodi (26) mit seinem fundamentalistischen Vater, flüchtete ins Montafon und wurde Katholik. Ein Gespräch über den Nahostkonflikt, das Mullah-Regime, Revolution und Hamas-Terror.

Die Meldung über den iranischen Drohnen- und Raketenangriff ging wie ein Lauffeuer um die Welt. Wie haben Sie die Nacht vom 13. April erlebt?

Benjamin Davoodi: Im ersten Moment reagiert man mit großer Angst, die Bilder aus den Medien taten ihr Übriges und vermittelten die Gefahr, dass der Dritte Weltkrieg ausgebrochen wäre. Überrascht hat mich dann aber ein Telefongespräch mit meinen Freunden und Verwandten im Iran. Sie haben den Angriff sehr gelassen interpretiert, eher als eine „normale“ Reaktion des Mullah-Regimes, auch mit dem Wissen, dass sich die Israelis diese Antwort erwartet hätten. Und in diesem Fall sehe ich den Militärschlag nach dem Tod zweier iranischer Offiziere in Damaskus, den Israel zu verschulden hat, als gerechtfertigt. Auch wenn ich keine Eskalation zwischen den beiden Staaten damit heraufbeschwören möchte.

Laut Israel hat der Iron Dome nahezu alle Drohnen und auch ballistische Raketen abgefangen. Wie seriös sind solche Aussagen?

Davoodi: Wenn man den Medien aus dem Iran Glauben schenkt, ist das nicht der Fall. Die Iraner sprechen von einem Erfolg, genauso wie Israel. Im Krieg stirbt die Wahrheit zuerst, in den Medien versuchen beide Regierungen, im besten Licht zu erscheinen. Und ohne die Unterstützung der USA, Frankreichs und Großbritanniens wäre die Attacke wohl wesentlich blutiger ausgefallen.

Interview Benjamin Davoodi
Interview Benjamin Davoodi

Wie beurteilen Sie die Antwort der Israelis?

Davoodi: Ich glaube, damit hat sich die Situation nun vorsichtig beruhigt. Beide Staaten haben Stärke demonstriert und ihre Position untermauert.

Der Iran zählt zu den stärksten Verbündeten der Hamas. Wie eng sind die Verbindungen des Mullah-Regimes zur terroristischen Organisation?

Davoodi: Waffenbrüder und Brüder im Geiste, mit denselben religiösen Motiven im Hintergrund. Fundamentaler Islamismus mit schiitischen Wurzeln zieht sich über den gesamten arabischen Raum. Das hat auch zum Bruch mit meinem Vater geführt, der selbst streng religiöse Werte vorgelebt hat. Ich habe alles hinter mir gelassen, bin mit 17 ins Montafon geflüchtet und zum Christentum konvertiert. Aber auch wenn ich vor dem Regime geflüchtet bin, bleibe ich Iraner. Und auch wenn ich den Terro­rismus der Hamas zutiefst verabscheue, kann ich die israelische Offensive im Gazastreifen mit dieser Vehemenz nicht gutheißen. Solange der Nahost­konflikt derartig radikal und fundamentalistisch ausgetragen wird – und ich spreche hier von beiden Seiten –, wird sich die Lage auch in 100 Jahren nicht entspannen.

Islamische Republik Iran

Die Islamische Republik Iran, gegründet nach der Revolution von 1979, wird von Ayatollah Ali Khamenei geführt und hat eine Bevölkerung von etwa 85 Millionen Menschen. Das Land kämpft mit einer Wirtschaft, die stark unter internationalen Sanktionen leidet, hervorgerufen durch Streitigkeiten über sein Nuklearprogramm. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) des Iran liegt bei rund 191 Milliarden US-Dollar.

Vor wenigen Monaten lehnten sich die iranischen Frauen gegen Teheran auf. Wie beeinflusst die aktuelle Situation den Aufstand der Jugend und der Frauen?

Davoodi: Für eine liberale Bewegung ist ein bevorstehender Krieg der Todesstoß. Die iranischen Frauen haben weltweit ein Zeichen gesetzt und sich trotz massiver Drohgebärden, auch durch die Revolutionsgarden, nicht den Mund verbieten lassen. Mit dem jetzigen „Säbelrasseln“ zeigt das Mullah-Regime seine Stärke. Einerseits gegenüber den umliegenden arabischen Ländern und andererseits gegenüber der eigenen Bevölkerung. Der Kampf der Frauen gegen die Unterdrückung oder eine vielleicht aufkeimende Kulturrevolution wird damit im Keim erstickt. Krieg bleibt Männersache und unterstützt die Agenden von Ajatollah Ali Khamenei und der persischen Führung.

„Auch wenn ich vor dem Regime geflüchtet bin, bleibe ich Iraner“
Benjamin lebt inzwischen im Montafon und absolviert eine Ausbildung im medizinischen Pflegebereich. Jan Natter

Geopolitisch zeichnet sich mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine ein Verschiebung der Machtblöcke ab. Russland spricht von einem Krieg gegen den Westen. Wie eng sind die Verbindungen zwischen Teheran und Moskau, vielleicht auch in Hinsicht auf die nukleare Bedrohung durch den Iran?

Davoodi: Ich persönlich glaube, dass der Iran durch Beziehungen zu Russland oder auch Nordkorea bereits im Besitz von Atomwaffen ist. Die Verbindungen zwischen Russland und dem Iran wurden seit Ausbruchs des Ukraine-Kriegs enger, was auch Raketentrümmer aus iranischer Produktion, die vom russischen Militär verwendet wurden, eindeutig belegen. Interessant ist vielmehr, dass angesichts der Eskalation im Nahen Osten der Krieg in der Ukraine vermehrt in den Hintergrund rückt. Das liegt auch an der uneingeschränkten Unterstützung Israels durch die USA.

Welche Rolle spielt Ihrer Meinung nach der Irak?

Davoodi: Man hat nach dem Krieg und dem Abzug der US-amerikanischen Truppen gesehen, dass das entstandene Machtvakuum schnell wieder von radikalen Islamisten gefüllt wurde. Ähnlich wie die Rückkehr der Taliban in Afghanistan. Die iranische Führung wird alles daran setzen, die Macht nicht aus der Hand zu geben.

Glauben Sie, dass die Zwei-Staaten-Lösung gescheitert ist?

Davoodi: Ich glaube, wenn sich der Iran zurückhält, gibt es eine Chance auf Stabilität. Solange der Hamas-Terror aber mit iranischen Mitteln befeuert wird, besteht keine Chance auf Frieden.

Sie äußern sich kritisch gegen ihre Heimat. Haben Sie keine Angst vor Konsequenzen?

Davoodi: Eine Rückkehr in den Iran ist für mich ausgeschlossen. Durch mein Bekenntnis zum Christentum würde mir dort die Todesstrafe blühen. Natürlich habe ich Angst. Aber weniger um mich selbst, vielmehr denke ich oft an meine Verwandten und Bekannten in meiner alten Heimat. Viel schlimmer ist aber, dass man als Iraner, gerade als junger Mann mit einem Bart, fast überall als Terrorist gesehen wird. Und genau so wenig wie alle Russen den Krieg gegen die Ukraine befürworten, stehen auch nicht 85 Millionen Iraner für ihre Regierung ein.

Interview Benjamin Davoodi
Jan Natter

Wie reagiert Ihr Umfeld im Montafon auf „Benjamin, den konvertierten Iraner“?

Davoodi: Die Vorurteile in Vorarl­berg begegnen mir fast täglich. Wenn ich meine Kette mit dem Kreuz trage, rücke ich ins Visier von Muslimen. Gleichzeitig bin ich in den Augen vieler auch kein „richtiger“ Christ. Fahre ich im Zug, beispielsweise in der Montafonerbahn, sitze ich meistens alleine. In den Köpfen der Menschen herrscht Angst gegenüber jenen, die ein anderes Aussehen mit sich bringen. Nur wenn ich als Mitglied der Trachtengruppe die Montafoner Kleidung getragen habe, wurde vorurteilsfrei mit mir umgegangen. Betrachte ich die aktuellen Entwicklungen, auch in der hiesigen Politik, glaube ich nicht, dass sich die Situation für Menschen, die, aus welchen Gründen auch immer, ihre Heimat verlassen mussten und ihren Beitrag in Österreich leisten wollen, bessern wird. Leider.