Die gemeine Laus als Friedensbringerin

Heidi Salmhofer mit ihrer Kolumne in der NEUE am Sonntag.
Ich bin der Meinung, dass die Natur recht genau weiß, warum sie was anstellt und warum sie gewisse Lebensformen bastelt. Wieso sie aber meinte, dass Läuse notwendige Mitbewohner dieser Erde sind, hat mich einiges an Überlegungen gekostet. Tochter kommt mit juckendem Haupt von der Schule nach Hause und prompt finden wir diese lästigen Haarbewohner. Da unsereins, seit die Volkschulzeit vorbei ist, nicht mehr präventiv Läuseshampoo hortet, bin ich zuerst mit Nissenkamm und Essig den Übeltätern entgegengetreten. Während der Behandlung hat meine Kopfhaut gejuckt und ich war belustigt über meine körperliche Überreaktion. Das Shampoo aus der Apotheke (dessen Preis eine betroffene fünfköpfige Familie dazu nötigen könnte, einen Kredit aufzunehmen) beseitigte den Rest des blutsaugenden Viehwerks. Meine Kopfhaut juckte noch immer. Rein zur Beruhigung habe ich meine Haare durchforstet, in dem festen Glauben, mir das Kitzeln am Kopf einzubilden. Nix da! Also auch ich – und kurz darauf Tochter zwei mit Läusetötungsshampoo unter der Dusche. Bis heute ist aber die Paranoia geblieben und ich werde mir wohl noch ein bis fünf Mal eine Anti-Insekten-Kur gönnen müssen, damit der emotionale Schaden wieder behoben ist.
Um mir den Schrecken zu nehmen, versuche ich ebenso, nach Gründen zu suchen, warum dieses Igittigitt-Brrrrr überhaupt existent ist. Vogelfutter sind sie nicht. Auch tragen sie nicht dazu bei, unliebsame Schuppenschichten von der Kopfhaut zu entfernen, noch sind sie niedlich anzusehen, und um als zukünftige Proteinzufuhr zu dienen, sind sie einfach zu klein. Also warum?
Unvermittelt muss ich an diverse Natur- und Umwelt-Dokumentationen denken, in denen sich Primaten liebevoll lausen. Eine zärtliche Begegnung unter Schimpansen, die gleichzeitig auch den Zusammenhalt, die Gruppenbildung und die schimpansische Gesellschaftsstruktur fördert. Aha! Denke ich mir. Eine logische Schlussfolgerung war also, Läuse haben maßgeblich dazu beigetragen, dass sich Primaten nicht zu oft gegenseitig die Zähne zeigen.
Läuse sind Friedensbringer für in Gruppen lebende Säugetiere, vorzugsweise für jene mit Händen und Fingern. Der Homo sapiens hat sich einfach zu schnell entwickelt, und die Natur hat noch nicht überrissen, dass aus dem „Sich-lausen“ längst ein „Sich-streicheln“ geworden ist. Ergo: Ich gehe davon aus, dass wir uns einfach noch viel mehr streicheln müssen für gesellschaftlichen Zusammenhalt. Dann checkt es auch die Natur und die Laus kann nach getaner Arbeit zufrieden von dannen ziehen. Ein Hoch auf die Friedenslaus.
Heidi Salmhofer ist freiberufliche Theatermacherin und Journalistin. Sie lebt als alleinerziehende Mutter mit ihren Töchtern in Hohenems.