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Durch das Fernglas ins surrealistische Unterbewusstsein

07.06.2024 • 23:00 Uhr
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Rebecca Hammermüller im Bühnenbild von Crystin Moritz. Anja köhler

Mit (alb)traumhaften Bildwelten wurde „Der Sandmann“ von E.T.A. Hoffmann am Donnerstag in der Regie von Maria Lisa Huber in der Box des Landestheaters aufgeführt.

Der Wetterglashändler Coppola hat einen spiegelnden Karton über dem Kopf. Nathanaels Verlobte Clara erinnert mit den ungelenken Bewegungen an eine Marionette und das personifizierte Trauma (Silvia Salzmann) umschlingt Nathanael (Rebecca Hammermüller) im Tanz. Eingehüllt von dieser Präsenz wird Nathanael in eine verzerrte surrealistische Traumwelt geworfen, wo er von den dunklen Mächten nicht mehr loskommt und im Schlaf genauso wie im Wachzustand von einer plötzlichen Erinnerung überrollt wird. In Maria Lisa Hubers Inszenierung von „Der Sandmann“ ist das Publikum gleich mittendrin im Schauermärchen von E.T.A. Hoffmann.

Begegnungen

Es ist „der Sandmann“ aus seiner Kindheitsfantasie, den Nathanael mit in sein Erwachsenenleben schleppt und der sich allein durch eine flüchtige Begegnung mit Coppola wieder in den Vordergrund drängt. Das „Böse“, das er mit den dramatischen Ereignissen rund um den Tod seines Vaters verbindet, verwandelt sich in der Fantasie des jungen Nathanael von der erzählten Märchenfigur in eine reale abscheulich angsteinflößende Person, die er zuerst auf den Freund seines Vaters Coppelius und später auf den Wetterglashändler projiziert.
Eher ungewollt erwirbt Nathanael trotzdem ein Fernrohr, das sich in der Box des Vorarlberger Landestheaters zu einem wirklichen Zauberglas verwandelt. Einmal aufgesetzt – absurderweise hat sich Hammermüller ein Smartphone vor die Augen gespannt – wird das Publikum mitgenommen in die verworrenen Zustände, die sich in Nathanaels Innerem abspielen könnten. Angst und Trauma werden durch bizarre Videos der Wiener Fotokünstlerin Crystin Moritz auf die Bühne gebracht und verdeutlichen einen psychischen Zustand, der Nathanaels Realität derart verzerrt, dass er sich im Wahn komplett verliert.

Surrealistische Szenerie

In der Inszenierung versinken die Figuren in Polster, die Teile des Bühnenbilds werden umgebaut und lassen eine surrealistische Szenerie entstehen, die im Übermaß manchmal auch umständlich wirkt und dadurch vom Text ablenkt. Tänzerisch fließend löst sich die Handlung langsam aus der ­Theaterperformance heraus und Nathanael erzählt durch eine Stimme aus dem Off (Nico Raschner) von der tragischen Vergangenheit.

Rebecca Hammermüller spielt authentisch einen etwas verpeilten, impulsiven und lebensfremden Nathanael. Ann Mayer überzeugt in den verschiedenen Rollen mit ihrer starken Präsenz. In der sehr gelungenen Figur des Sandmanns fokussiert die Inszenierung das Unterbewusstsein, in dem Nathanael sein Trauma verarbeitet oder wie im Fall von Hoffmanns Geschichte eher vom Trauma verarbeitet wird. Während die maskierte Tänzerin zu Beginn noch im Hintergrund bleibt, übernimmt „der Sandmann“ mehr und mehr die Kontrolle über Nathanaels Gefühle und begleitet bildhaft und ohne Worte das Geschehen und die emotionalen Ausbrüche der Figuren.