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Brauchen wir das „Aus vom Verbrenner-Aus“?

09.06.2024 • 14:00 Uhr
ABD0010_20221028 – BACKNANG – DEUTSCHLAND: ARCHIV – 02.06.2017, Baden-WŸrttemberg, Backnang: Der Auspuff eines Autos mit Dieselmotor. (zu dpa “Verkehrsminister Wissing begrŸ§t Kompromiss zum Verbrenner-Aus”) Foto: Christoph Schmidt/dpa +++ dpa-Bildfunk +++. – FOTO: APA/Deutsche Presse-Agentur GmbH/Christoph Schmidt
Ab 2035 soll keine Neuzulassung für Fahrzeuge möglich sein, wenn diese mit fossilen Brennstoffen betrieben werden müssen. apa/schmidt

Anfang der Woche entflammte die Diskussion um das Verbrenner-Aus ab 2035 erneut. Die EU-Wahl-Spitzenkandidaten und Passanten am Dornbirner Marktplatz beziehen Stellung.

Österreichweit hatten 2022 – aus diesem Jahr stammt der aktuellste CO2-Monitoringbericht – mehrheitlich (59 Prozent) der neu zugelassenen Pkw einen reinen Diesel- oder Benzinmotor. Das soll sich ändern: Ab 2035 dürfen EU-weit nur noch Neufahrzeuge mit CO₂-neutralen Kraftstoffen zugelassen werden.

Das stört Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP), der Anfang der Woche einen „Autogipfel“ im Kanzleramt einberief und das „Aus vom Verbrenner-Aus“ forderte (siehe Factbox). Damit wurde, kurz vor der heutigen EU-Wahl, die Diskussion um die Verbrenner-Verordnung neu angeheizt. Die NEUE am Sonntag hat bei den Vorarlberger EU-Wahl-Spitzenkandidaten nachgefragt, was sie zum Verbrenner-Aus ab 2035 denken und wie sich Österreich innerhalb der EU zu diesem Thema positionieren sollte.

ABD0135_20240603 – WIEN – …STERREICH: Der Chefškonom der Industriellenvereinigung Christian Helmenstein, Bundeskanzler Karl Nehammer (…VP), Steiermarks Landeshauptmann Christopher Drexler (…VP) und Arbeits- und Wirtschaftsminister Martin Kocher (…VP) am Montag, 3. Juni 2024, wŠhrend einer PK nach einem Runden Tisch zu “Technologieoffenheit und Deregulierung – Weichenstellung fŸr den Industrie- und Automobilstandort Europa” im Bundeskanzleramt in Wien. […]
Sie positionierten sich gegen das Verbrenner-Aus: Christian Helmenstein (IV), Karl Nehammer, Christopher Drexler und Martin Kocher (alle ÖVP). APA/HELMUT FOHRINGER

Technologieoffenheit

„Es gibt technologische Entwicklungen in Richtung ‚grüne Verbrenner‘. Wieso sollte man diese durch ein generelles Aus für Verbrennermotoren ab 2035 ausschließen?“

Christiane Schwarz-Fuchs, ÖVP

Christine Schwarz-Fuchs (ÖVP) plädiert für einen „technologieoffenen Zugang“ und argumentiert: „Es gibt technologische Entwicklungen in Richtung ‚grüne Verbrenner‘. Wieso sollte man diese durch ein generelles Aus für Verbrennermotoren ab 2035 ausschließen?“ Ihrer Meinung nach sollte in der EU zur Erreichung der Klimaziele auf alternative Antriebe und Übergangstechnologien gesetzt werden. Explizit erwähnt sie die Wasserstofftechnologie, zu der „weiter geforscht und entwickelt“ werden sollte. „Auch die benötigte Zeitspanne muss mit einkalkuliert werden, die gebraucht wird, um die Lade- und Betankungsinfrastruktur für die Autos der Zukunft aufzubauen“, gibt Schwarz-Fuchs zu bedenken.

Joachim Fritz EU-Wahl-Kandidat FPÖ
Joachim Fritz. FPÖ

Kein Fan des Verbrenner-Aus ist auch Joachim Fritz (FPÖ). „Es ist nicht vernünftig, eine funktionierende und für die breite Bevölkerung leistbare Technologie zu verbieten.“ Technologieoffenheit ist auch für ihn erstrebenswert: „Wir brauchen Verbesserungen und Weiterentwicklungen beim Verbrennermotor und bei den Batterien der E-Autos. Auch die Wasserstofftechnologie hat großes Potenzial.“ Auf EU-Ebene soll Österreich „verbündete Regierungen suchen und gemeinsam gegen das Verbrenner-Aus und für eine vernünftige Lösung eintreten“. Fritz geht auf Angriff: „Es ist zu wenig, wenn Bundeskanzler Nehammer kurz der EU-Wahl auf einem ‚Show-Gipfel‘ gegen das Verbrenner-Aus auftritt und seine EVP-Fraktion im EU-Parlament gleichzeitig für das Verbrenner-Verbot stimmt.“

Vorreiterrolle

Johannes Hartmann (Grüne) sieht das anders. Eine Umsetzung des Verbrenner-Aus hält er für „dringend notwendig“. „Wo kommen wir denn hin, wenn wir uns an fossilen, ineffizienten Technologien festklammern, statt die Klimakrise ernst zu nehmen und Maßnahmen für eine lebenswerte Zukunft zu setzen?“, fragt er sich. Geht es nach Hartmann, sollte Österreich „Vorreiter in Sachen Klima- und Umweltschutz“ werden und auf EU-Ebene den Green Deal vorantreibt und dem Renaturierungsgesetz zustimmen. Eine Spitze in Richtung ÖVP hat er ebenfalls in petto: „Die Haltung der ÖVP ist nicht weniger als eine Absage an die Zukunft von uns jungen Menschen.“

Brauchen wir das „Aus vom Verbrenner-Aus“?
Johannes Hartmann. hartinger

„Raus aus dem Verbrenner, raus aus Öl und Gas, und im Verkehrssektor auch raus aus Benzin und Diesel.“ Diese Position vertritt Philipp Kreinbucher (SPÖ). Das geltende Neuzulassungsverbot für Autos mit Verbrennungsmotor ab 2035 samt Ausnahmen sehe ich als Innovationstreiber für die europäische Autoindustrie und damit als wirtschaftsstärkenden Faktor“, vertritt er seine Position. Gleichzeitig fordert er den Ausbau alternativer Energiequellen: „Hier braucht es mehr Anstrengungen in der Forschung, beim Ausbau der Infrastruktur und eine Reindustrialisierung in Europa, um Schlüsseltechnologien aus China zurückzuholen und die Abhängigkeit von China im Bereich Akkutechnologie und Halbleitertechnologie zu reduzieren.“ Dazu fordert Kreinbucher auf EU-Ebene Investitionen in die Forschung, den Ausbau der Ladeinfrastruktur und einheitliche europäische Standards. „Die Debatte der ÖVP ist billigster Populismus und wird von der Wirtschaft und Automobilindustrie klar beantwortet werden“, gibt es auch von Kreinbucher eine Spitze an die ÖVP.

„Die Haltung der ÖVP ist nicht weniger als eine Absage an die Zukunft von uns jungen Menschen.“

Johannes Hartmann, Grüne
Philipp Kreinbucher neuer Vorarlberger Spitzenkandidat bei EU-Wahl
Philipp Kreinbucher. stadler

„Verpenner-Aus“

Christoph Gruber (Neos) fordert ein „sofortiges ‚Verpenner-Aus‘ bei Innovation, Standort und Klimaschutz“. Wer bremse, riskiere einen Verlust an Wirtschaftskraft und Zukunft: „Gerade der Standort Österreich verliert im EU-Vergleich in den letzten Jahren kontinuierlich an Boden, unter anderem, weil die ÖVP krampfhaft an veralteten Technologien festhalten will und sich so der Zukunft verschließt.“ Gruber stellt klar, dass es kein Verbot von Verbrennern ab 2035 gebe: „Ganz technologieoffen will die EU lediglich, dass Neuwagen ab 2035 CO2-neutral sind. Das bedeutet, Verbrenner-Motoren, die mit CO2-neutralem Treibstoff betankt werden, bleiben ausdrücklich erlaubt.“ Hinter den beschlossenen Maßnahmen würden die Neos stehen, denn eine klimaneutrale Zukunft sei unumgänglich, und Wirtschaft und Bevölkerung müssten jetzt schon wissen, welche Maßnahmen in Zukunft gelten.

Christoph Gruber EU-Kandidat Neos
Christoph Gruber. Neos

Verbrenner-Aus ab 2035: Darum geht’s

EU-Verordnung
Um das große EU-Ziel der Klimaneutralität bis 2050 zu erreichen, beschloss die EU ein Verbot der Neuzulassung für alle Pkw und leichten Nutzfahrzeuge bis 3,5 Tonnen, die nicht mit CO₂-neutralem Treibstoff fahren. All jene Fahrzeuge, die vor 2035 erstmals für den Verkehr zugelassen wurden, dürfen nach aktuellem Stand weiterfahren.

Nehammers Autogipfel
Gegen diesen Beschluss wollte Bundeskanzler Karl Nehammer eine gemeinsame Vorgangsweise festlegen. Dazu lud er am Montag zu einem runden Tisch ins Bundeskanzleramt ein. Dazu waren Vertreter aus Politik und Wirtschaft eingeladen, unter anderem Wirtschaftsminister Martin Kocher (ÖVP) und IV-Ökonom Christian Helmenstein.

Umfrage: Was halten Sie vom Verbrenner-Aus ab 2035?

Brauchen wir das „Aus vom Verbrenner-Aus“?
Anka Busch. hartinger

Anka Busch: Ich bin gegen das Aus für Verbrenner. Jetzt bin ich aber aus Deutschland, wo das Thema noch größer ist als hier. Gerade in Baden-Württemberg, dem “Technik-Land” schlechthin, geht es ja um viel. Wenn der Verbrennermotor vor dem Aus stünde, kommen wir mit der Innovation gar nicht mehr hinterher. Andernfalls soll man sich aber auch an das halten, was die EU vorgibt. Wofür haben wir sonst ein vereinigtes Europa?

Brauchen wir das „Aus vom Verbrenner-Aus“?
Jovan Trisic und Constantin Müller. hartinger

Jovan Trisic und Constantin Müller: Das Jahr 2035 halten wir für einen guten Zeitpunkt. Wir sehen das positiv. Wenn aber Verbrennungsmotoren verboten werden sollen, müssen bis 2035 Alternativen her. Elektroautos müssten billiger werden. Wenn man sich die Preise von Elektroautos ansieht, ist schon klar, wieso sich ein Auto mit Dieselantrieb für den Großteil der Bevölkerung noch lohnt. Gut wäre außerdem, wenn auch in Österreich Elektroautos produziert würden. Dann hätte auch die heimische Wirtschaft etwas davon.

Brauchen wir das „Aus vom Verbrenner-Aus“?
Alexandra und Roland Anierobi. hartinger

Alexandra und Roland Anierobi: Wir sind gegen das Verbrenner-Aus. Woher soll man den Strom für die ganzen Elektroautos hernehmen? Es ist einfach bislang nicht ausgereift. Auch was die wirkliche CO₂-Bilanz beim Elektroauto angeht. Bis in 20 Jahren halte ich diesen Schritt für realistisch, wenn bis dahin die Infrastruktur stimmt und die Reichweite ausreichend zugenommen hat. Wichtig ist auch der wirtschaftliche Aspekt: Für einen Ottonormalverbraucher ist ein Elektroauto noch viel zu teuer – das geht sich maximal als Firmenauto aus.

Brauchen wir das „Aus vom Verbrenner-Aus“?
Erfan Sakha und Alessandro Matella. hartinger

Erfan Sakha und Alessandro Matella: Wir denken, dass die Frist bis 2050 verlängert werden sollte. Grundsätzlich ist das Aus für Verbrennungsmotoren aber eine gute Sache. Der Übergang könnte auch fließend gestaltet werden, etwa mithilfe von hybriden Antrieben. Dann, ab 2050 oder 2060 sollte der Umstieg auf Elektromotoren aber geschafft sein. Außerdem wäre es besser die Produktion im eigenen Land zu haben, anstatt zu importieren – sowohl für die heimische Wirtschaft als auch für die Umwelt.

Brauchen wir das „Aus vom Verbrenner-Aus“?
Walter de Meijer. hartinger

Walter de Meijer: Ich spreche mich dafür aus, dass Verbrennermotoren weiterhin erlaubt sind. Diese werden schließlich immer besser und effizienter. Elektroautos haben momentan auch keine gute CO₂-Bilanz. Da müsste man wahrscheinlich 200.000 Kilometer fahren, bis sich das rentiert. (Anm. d. Red.: 45.000 – 60.000 Kilometer). Das Umschwenken des Bundeskanzlers ist aber meiner Meinung nach eine Strategie, der FPÖ ein paar Wähler abzugewinnen. Er hat die Entscheidung zuvor nämlich mitgetragen. Die ÖVP ist mittlerweile aber dafür bekannt, dass sie gerne Teile des FPÖ-Parteiprogrammes umsetzen will.

NEUE/Tobias Holzer und Pauline Paterno