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Windel, Leckerlis und eine alternde Dramaqueen

17.06.2024 • 10:37 Uhr
Neue Kopfkino Salmhofer Kolumne
Sonntags-Tagebuch von Heidi Salmhofer. NEUE

Heidi Salmhofer mit ihrer Kolumne in der NEUE am Sonntag.

Mein Wutzihund wird alt. 14 Jahre ist sie, und man merkt ihr inzwischen an, dass sie nicht mehr viel herumlaufen will, sie hört nicht mehr so gut (oder will nicht mehr hören, das könnte auch gut sein), und jetzt braucht sie auch noch eine Windel, weil halt nicht mehr alles so perfekt zurückgehalten werden kann wie in jungen Jahren. Sie ist extrem genervt deshalb, also wegen der Windel, nicht wegen dem Undicht-Sein. Einem Hund ist es ziemlich egal, ob ich den Teppich jetzt zum achten Mal diese Woche waschen muss oder meine Socken dreimal täglich wechsle, weil ich wieder in ein Versehen versehentlich hineingestiegen bin. Um die Qualität des heimischen Wohnerlebnisses wieder zu erhöhen, habe ich mich entschlossen, der alten Dame waschbare (der Umwelt zuliebe) Windeln zu kaufen. Im Gegenzug darf sie wieder am Sofa herumlümmeln.

Für mich schien das eine wirklich hervorragende Idee. Nur – da haben wir wieder den Beweis –, weil etwas in mein Lebenskonzept passt, heißt das noch lange nicht, dass das auch für andere Mitlebewesen gilt. Ich hatte noch nie einen derart beleidigten Hund im Haus. Wenn ich der Lady die Windel anziehe, steht sie erst einmal zehn Minuten entrüstet im Raum und bewegt sich nicht. Einzig ein vorwurfsvoller Blick wird mir mit erstaunlicher Ausdauer entgegengeworfen. Na gut, dann gibt es, für eine positive Assoziation mit dem Höschen, ein Leckerli. Das nimmt sie natürlich gönnerhaft an. Aber dann beginnt das Drama. Sie zeigt ihr theatralisches Talent besser als Dustin Hoffman. Der Po wird hin und her gewackelt, und die Hinterbeine humpeln. Beide! Gleichzeitig! Auf dem Weg zu ihrem Platz kippt sie zweimal um und macht jedem EM-Fußballspieler alle Ehre im Faken von Extremverletzungen. Dort liegt sie dann. Erst wenn sie merkt, dass ich keine Anstalten mache, sie hochzuheben, steht sie wieder auf. Dann wird – ohne Humpeln – zum Platz gegangen und eingeschnappt eingekuschelt.

Wie konnte ich nur!? Ich weiß, ich weiß. Aber man muss es doch so sehen: Jedes Lebensalter hat seine Vor- und Nachteile. In der Pubertät drehen die Hormone durch, dafür kann man zwölf Stunden durchgehend schlafen. Mit 30 hat man noch keine Wehwehchen, dafür steht man mitten im Arbeits- und Lebensentwicklungsstress, und im Alter muss man zwar Windeln tragen, dafür darf man auf die Couch (bildlich gesprochen).

Ich werde mit 98 ziemlich sicher auch eine Windel tragen, dafür mit einer Schachtel Pralinen „Bridgerton“, Staffel 50, bingewatchen. Ohne annähernd ein schlechtes Gewissen zu haben. Freu!

Heidi Salmhofer ist freiberufliche Theatermacherin und Journalis­tin. Sie lebt als alleinerziehende Mutter mit ihren Töchtern in Hohenems.