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Schule, jeder braucht seine Zeit

08.07.2024 • 10:16 Uhr
Neue Kopfkino Salmhofer Kolumne
Sonntags-Tagebuch von Heidi Salmhofer. NEUE

Heidi Salmhofer mit ihrer Kolumne in der NEUE am Sonntag.

Es ist wieder Zeugniszeit. Wie viele Kinder werden mit einem drückenden Bauchgefühl nach Hause marschieren, weil der Vorweis des Zeugnisses bei den Eltern Enttäuschung und Missmut auslöst? Ein Fünfer, der unmissverständlich ein eben nicht genügendes Lernverhalten ausdrückt. Entweder ist man zu doof oder zu faul.

Mir ging es früher nicht anders. Ich weiß noch, wie ich den Weg nach Hause hinausgezögert habe, in der Hoffnung, dass entweder ein Komet auf der Erde einschlägt und mein Notenproblem in den Hintergrund drängt oder eine Fee aus dem Gebüsch hüpft und mir drei Wünsche offeriert. Nichts davon geschah. Nie! (Im Nachhinein bin ich zumindest um das Ausbleiben des Kometeneinschlags ziemlich froh.) Zur Klarstellung: Meine Eltern waren nicht böse. Es war meine Schmach, die ich nicht vor meiner Mutter oder meinem Vater darlegen wollte. Ich gehörte zu den Kindern, die nicht doof (glaube ich zumindest), sondern faul waren. Faul im Hinblick darauf, dass im Alter zwischen 11 und 15 Jahren einfach ganz viele andere Dinge wichtiger für mich waren als Mathe oder gar Latein.

Freundschaften waren wichtig, den Platz in der Gesellschaft zu finden war wichtig, falsche Freunde zu erkennen und die richtigen zu schätzen. Den ersten Kuss bekommen war wichtig und festzustellen, dass Alkohol, in höheren Dosen genossen, ganz ungut ist. Tatsächlich war ich erst in der Lage, den Weg und die Idee für meine eigene Zukunft zu entwickeln, als ich mein soziales Umfeld gefestigt hatte. Mit 15 hatte ich einen Freundeskreis, der über das einfache „Wir gehen aus!“ hinausging. Ich hatte Freunde, mit denen ich tatsächlich über alles reden konnte. Innerhalb dieses Austausches und der damit einhergehenden Festigung meines Ichs wurde mir klar, was ich in meinem Leben wollte. Später.

Ich war also jemand, der länger in der Schule gebraucht hat, dafür aber viel an sozialer Kompetenz erlernt hat. Das ging aber nur mit Eltern, die vorwurfsfrei blieben und nicht meine schulischen Leistungen mit allgemeiner Lebensinkompetenz gleichstellten. Der Glaube an mich war immer da. Wäre das nicht gewesen, wäre mein Selbstbewusstsein angeknackst worden; wer weiß, wie mein Weg dann gelaufen wäre. Dafür bin ich dankbar, für dieses Vertrauen in mich.

Ich glaube, wir sollten unseren Kindern mehr Vertrauen entgegenbringen, weniger Panik haben, dass sie in der Gesellschaft nicht zurechtkommen, und ihnen immer und egal wie zeigen, dass wir sie liebhaben und ihnen so gut es geht ihre Zeit zur Wegfindung geben. Und jetzt: Schöne Ferien! Ihr seid großartig!

Heidi Salmhofer ist freiberufliche Theatermacherin und Journalis­tin. Sie lebt als alleinerziehende Mutter mit ihren Töchtern in Hohenems.