Elfmeterschießen: Der einsamste Job im Fußball

Wie kann man sich als Schütze den Druck nehmen und wie kann die Mannschaft helfen? Sportpsychologe Alois Kogler gibt Antworten.
„In seiner Haut möchte ich jetzt nicht stecken.“ Das denken sich wohl viele Zuschauer vor dem TV-Kastl während eines Elfmeterschießens, wenn gerade nicht weniger als die Erwartung einer ganzen Nation auf den Schultern des Schützen lastet. Zudem ist es für einen Fußballer eine ungewohnte Situation: „Es gibt im Fußball, der ein Teamsport ist, nichts Belastenderes, als die Einzelaufgabe, wo es um Sieg oder Niederlage geht“, sagt der Grazer Sportpsychologe Alois Kogler. „Der Elfmeterschuss ist das genaue Gegenteil von Teamgeist – das ist man in einem ganz anderen mentalen Zustand. Man ist nicht mehr Teil der Mannschaft, sondern ganz alleine.“ Zwar könne man den Tormann täuschen, oder umgekehrt – aber man könne nicht antizipieren. „Während des Spiels braucht der Fußballer eine weite Wahrnehmung, im Elferschießen eine sehr enge – er muss extrem fokussiert sein.“
Der Schlüssel zum Erfolg
Dies könne man laut Kogler, der viele Jahre mit dem ÖFB-U21-Nationalteam zusammengearbeitet hat, aber trainieren. „Am besten lässt sich die Belastung ausschalten, indem man im Training hundert Elfer in mehreren Varianten schießt. Dadurch erlangt man Selbstvertrauen und Sicherheit und kann sich selbst den Druck zumindest ein wenig nehmen.“ Zudem sei der Schütze gegenüber dem Tormann grundsätzlich im Vorteil. „Wenn er den Ball platziert dorthin knallt, wo er es sich vorgenommen hat, ist der Goalie schon aufgrund des Verhältnisses zwischen Ballgeschwindigkeit und Reaktionszeit chancenlos.“ Wobei der Tormann psychologisch einen Bonus hat. Hält er den Elfer nicht, war der Schuss zu scharf oder zu platziert oder er erriet die Ecke nicht. Als quasi alles halb so schlimm. Hält er hingegen, kann es spielentscheidend sein und er wird als Held einer ganzen Nation gefeiert.
Strategie der Engländer
Mit dem 6:4-Sieg nach Elfmeterschießen im Viertelfinale über die Schweiz haben die jahrelang schwächelnden Engländer mit „der Entscheidung vom Punkt“ endlich Frieden geschlossen. Interessant ist dabei die sozialpsychologische Variante, der sich Coach Gareth Southgate und sein Team dabei seit 2021 bedienen. So hat jeder Elfmeterschütze einen Teamkollegen als „Beschützer“, der ihn nach dem Schuss abholt. Sprich, er geht ihm entgegen und begleitet ihn zurück zur Mannschaft, die im Mittelkreis wartet. Der Hintergrund: „Dadurch bleibt man auch in dieser Situation, wo jeder Schütze extrem angespannt und verletzlich ist, ein Teil des Teams. Er erfährt dadurch mehr Sicherheit und Schutz“, sagt Kogler. Das kann vor allem dann entscheidend sein, wenn der Schütze nicht trifft. Denn der Weg vom Elfmeterpunkt zurück zur Mittellinie kann als Buhmann der Nation, auf den sämtliche Augen und Kameras gerichtet sind, brutal sein.
Rolle der Fans, die Notwendigkeit des Trainings
Bleibt noch die Frage, ob es wichtig ist, dass man beim Elfmeterschießen als Mannschaft die eigenen Fans hinter dem Tor hat. Kogler: „Den meisten macht es nichts aus. Für einige, die vielleicht nicht so geübte Schützen sind und nicht den nötigen Fokus haben, kann es natürlich ein psychologischer Nachteil sein.“ Und die Rechnung ist einfach: Fällt nur einer der fünf Schützen um, kann das über Sieg oder Niederlage entscheiden. Deshalb ist sich Kogler auch sicher: „Beim Trainieren von Elfmeterschießen ist noch bei allen Nationen Luft nach oben.“