Lesbische Liebe in der Mafia-Welt

Am Donnerstag feierte Gioachino Rossinis Oper „Tancredi“ Premiere im Festspielhaus. Regisseur Jan Philipp Gloger hat die im Jahr 1760 entstandene Geschichte ins Heute versetzt.
Zwei verfeindete Gruppen, die sich gegen einen gemeinsamen Feind verbünden. Eine arrangierte Hochzeit, um den Frieden zu sichern. Eine Braut, die jemand anderen liebt und durch ihre Verweigerung vom eigenen Vater zum Tod verurteilt wird. Ein Brief, dessen Inhalt nicht mitgeteilt wird und der falsch interpretiert für riesige Missverständnisse sorgt. Zwei Liebende, die nicht mehr zueinander finden und deren Konflikt erst im Tod gelöst wird.

Frischer Anstrich
Eine Opera seria, eine tragisch endende Oper also, die der erst 20-jährige Gioachino Rossini schuf und die doch mit jeder Note, jeder Koloratur, jeder Kantilene seinen unverwechselbaren Kompositionsstil offenbart. Das und noch viel mehr ist die Oper „Tancredi“, die zweite Festspielpremiere und Hausoper, die durch den Regisseur Jan Philipp Gloger einen frischen Anstrich bekommt und mit zwei wunderbar harmonierenden Frauenstimmen aufwartet.
Wie so oft ist die „Hausoper“ eher unbekannt, was an der oben beschriebenen krausen Handlung liegt, wie so oft wird sie glänzend und mit viel Aufwand umgesetzt, doch hat sie weiterhin ihre Tücken und besonders im zweiten Teil ihre Längen. Die Kürzungen, die draußen am See bei Webers „Freischütz“ vorgenommen wurden, hätten auch dieser Oper gutgetan, denn bis die schwer verwundete Titelfigur über die Bühne gerobbt ist und in sängerunfreundlich am Boden liegender Haltung ihr Leben ausgehaucht hat, vergeht viel Zeit. Rossini hatte nach der Uraufführung 1813 im Teatro La Fenice in Venedig (mit glücklichem Ende) für eine andere Aufführung in Ferrara ein zweites, tragisches Finale geschaffen, das auch in Bregenz gespielt wurde.

Mafia-Clans gegen Polizei
Das Libretto ist nach einer 1760 erschienenen Tragödie von Voltaire entstanden, die eine Rittergeschichte aus alter Zeit behandelt. Jan Philipp Gloger hat die Geschichte ins Heute versetzt, lässt zwei Drogenmafia-Clans aufeinander treffen, die sich gegen die Polizei verbünden und macht aus der Hosenrolle des Tancredi (also einer Frau, die einen Mann und tapferen Kämpfer spielt) gleich eine als Mann verkleidete lesbische Frau, die ihre Liebe mit Amenaide, der Tochter des Drogenbosses, leben will. Das geht erstaunlich gut auf und zeigt, dass sich schwelende Konflikte über die Jahrhunderte nur wenig verändert haben.
Dazu hat sein Bühnenbildner Ben Baur eine große südländische Villa auf die Drehbühne gestellt, mit Mädchenschlafzimmer (samt Plakat von David Bowie und kleinem Balkon), Küche, Kapelle, Waffenschrank, Folterkammer, Kokainlager, Muckibude und großem Patio mit Brunnen. Durch die mal langsame, mal raschere Drehung der Bühne ergeben sich Perspektivwechsel und Durchblicke und fließende Übergänge zwischen den Szenen. Im Laufe des Abends wird die Villa immer mehr demontiert, das Schlafzimmer ausgeräumt, bis zuletzt im fahlen Licht von Martin Gebhardt nur noch ein großer Haufen von Stühlen und Sesseln übrig bleibt („Chaos herrscht in diesem Haus“ heißt es denn in einer der letzten Szenen).

Die Liebe zwischen den beiden Frauen hat in dieser Mafia-Welt keinen Platz und ist verboten, ebenso wie gleich zu Beginn ein mit einem Pappschild „Gay“ versehener Mann gemeuchelt wird. Geschossen und gekämpft wird in dieser Oper ständig, dem stimmstarken und spielfreudigen bewährten Prager Philharmonischen Chor (einstudiert von Lukáš Vasilek) stehen dabei sieben Männer der Stunt Factory (mit der Kampfchoreographie von Ran Arthur Braun) zur Seite.
Die Kostüme von Justina Klimczyk sind natürlich auch aus unserer Zeit, hier wäre es gut gewesen, man hätte die rivalisierenden Clans auch optisch unterscheiden können. Mit Jeans und Bluse oder Blümchenkleid oder einem üppigen Brautkleid ist Amenaide gekleidet, Tancredi steckt in schwarzen Jeans und Hoodie und darf ab und zu ihre Haare lösen.

Gespür für Rossinis Figuren
Im Orchestergraben hat die Taiwanesin Yi-Chen Lin die Leitung der Wiener Symphoniker übernommen: Sie zeichnet die dunkleren, tragischen Farben mit Wärme und Intensität, hat aber auch das Gespür für die beweglichen spritzigen Figuren, die Rossini in jede seiner Partituren, seien sie tragisch oder komisch, einfließen lässt. Instrumentalsoli von Bläsern und ein warmer Streicherklang zeichnen das Orchester aus. In wunderbarer Symbiose singen die russische Mezzosopranistin Anna Goryachova als Tancredi und Mélissa Petit als Amenaide ihre Partien, dunkel glühend die eine, schlank, hell und innig, dazu mit verzweifelter Vehemenz die andere.
Die schwierige Partie des Argirio obliegt dem zwar beweglichen, doch recht eng geführten Tenor von Antonino Siragusa, Andreas Wolf (er singt im „Freischütz“ die kurze Partie des Eremiten) trumpft hier als ungeliebter Bräutigam Orbazzano auf. Die schlanke Mezzosopranstimme von Laura Polverelli wirkt etwas zu schwach für die Isaura, die hier von der vertrauten Freundin zur Mutter umgewandelt wurde.
Nach einem gut dreistündigen Opernabend ist das Publikum etwas ermattet und spendet freundlichen bis herzlichen Beifall. Weitere Aufführungen am 21. (Matinee 11 Uhr) und 29. Juli.
Von Katharina von Glasenapp