Allgemein

Kickl, KI, Corona und Kontroversen

04.08.2024 • 11:00 Uhr
Kickl, KI, Corona und Kontroversen
NEUE-Chefredakteur Joachim Mangard im Gespräch mit Gesundheits- und Sozialminister Johannes Rauch. Stiplovsek (6)

Minister Rauch im exklusiven Gespräch: Vom Ende der Tunnelspinne, politischen Kontrahenten und den Herausforderungen in Gesundheit und Soziales.

Magnus Brunner wurde als EU-Kommissar nominiert. Kritiker sehen darin einen „Kuhhandel“ und ein Zugeständnis der Grünen. Wie ist Ihr Eindruck dazu?

Johannes Rauch: In einer Koalition sind Verhandlungen und Kompromisse normal und legitim. Ich halte Magnus Brunner für einen guten Kandidaten. Wir haben erfolgreich am Finanzausgleich und der Gesundheitsreform zusammengearbeitet. Kompromisse zu finden und Vereinbarungen zu treffen, ist ein integraler Bestandteil der Politik.

Die Amtszeit der Regierung neigt sich dem Ende zu – gegen Ende schlug die Koalition, wenn man an die Aktionen von Umweltministerin Leonore Gewessler denkt, lautere Töne an. Wie lautet ihr Resümee?

Rauch: Dass wir fünf Jahre durchgehalten haben, hat uns niemand zugetraut. Vom ersten Jahr an wurden wir alle sechs Wochen totgeschrieben. Wir haben extrem viel weitergebracht. Jetzt ist Wahlkampf, und da profilieren sich alle Parteien, aber die Sachpolitik stand bei uns immer im Vordergrund. Wir haben eine ökologische Steuerreform umgesetzt, eine Milliarde Euro pro Jahr zusätzlich für die Gesundheitsreform und die Pflege bereitgestellt. Die Familien- und Sozialleistungen werden jetzt Jahr für Jahr automatisch erhöht. Mit dem Wohnschirm haben wir ein Instrument geschaffen, das bereits Rückstände bei der Miete und bei Energiekosten für 100.000 Menschen abgedeckt hat.

Blicken wir zurück nach Vorarlberg: Greenpeace hat die „Tunnelspinne“ als „Betonschatz“ von Österreich ins Visier genommen. Müssen wir uns von solchen Großprojekten verabschieden?

Rauch: Diese Projekte stammen aus einer anderen Zeit. Die Tunnelspinne würde über 400 Millionen Euro kosten. Das Geld müssen wir dringend in Pflege und Spitäler investieren. Die Bedingungen ändern sich, und die Politik muss darauf reagieren. Das sture Festhalten an überholten Projekten ist nicht mehr zeitgemäß. Wenn sich Grundvoraussetzungen verändern, muss man flexibel reagieren.

Kickl, KI, Corona und Kontroversen
An überholten Projekten festzuhalten findet Minister Rauch stur und nicht mehr zeitgemäß.

Wie stehen sie zum Alleingang der Umweltministerin bei der S18? Untergräbt sie damit nicht demokratischen Prozess?

Rauch: Eine große Mehrheit der Bevölkerung in Lustenau lehnt die S18 ab. Leonore Gewessler bietet eine umweltverträglichere Alternative an. Sie hat dem Land eine goldene Brücke gebaut, um sich von diesem überdimensionierten Straßenbauprojekt zu verabschieden. An der S18 festzuhalten, ist Unsinn. Die technischen und naturschutzrechtlichen Gegebenheiten machen dieses Projekt unmöglich. Die S18 wird nie kommen und würde auch im Lustenauer Riedboden versinken. Auch in Sachen Renaturierung hat meine Kollegin auf EU-Ebene bewiesen, dass es an der Zeit ist zu handeln. Wir müssen nur auf die aktuellen Starkwetterereignisse achten. Die Hangrutschungen in Stuben und der Silvretta sind Auswirkungen eines menschengemachten Klimawandels.

Welche Herausforderungen und Erfolge sehen Sie rückblickend auf Ihre Amtszeit als Minister?

Rauch: Die größte Herausforderung war der Einstieg während der Pandemie. Mir war es wichtig, wieder etwas Gelassenheit in das Corona-Management zu bringen und die letztlich unglückliche Impfpflicht abzuschaffen. Zu meinen Highlights zählen die Gesundheitsreform und die Maßnahmen gegen die Preisschocks des Ukraine-Kriegs, mit denen wir die Menschen unterstützt haben. Ein besonderes Projekt für mich persönlich ist „Gesund aus der Krise“, das schon für 22.000 junge Menschen psychologische Unterstützung geboten hat. Wir haben es geschafft, das Gesundheitssystem zu stabilisieren und soziale Sicherheit in schwierigen Zeiten zu gewährleisten.

Kickl, KI, Corona und Kontroversen
Ein besonderes Projekt für Minister Rauch ist “Gesund aus der Krise”, welches schon 22.000 jungen Menschen psychologische Unterstützung geboten hat.

Wie sieht es mit dem Ärztemangel und der schwierigen Situation in der Pflege aus?

Rauch: Wir haben in bestimmten Bereichen zu wenig Kassenärzte. Die Gesundheitsreform wird hier in den nächsten Jahren deutliche Verbesserungen bringen. Es gibt bereits Fortschritte mit mehr Bewerbungen für Kassenarztstellen. Und wir müssen die Menschen aus den Ambulanzen bringen, also ambulante Behandlungen wieder stärker außerhalb der Krankenhäuser ermöglichen. Auch in der Pflege haben wir Maßnahmen ergriffen, um die Arbeitsbedingungen zu verbessern und mehr Personal zu gewinnen. Es ist wichtig, die Arbeitsbedingungen attraktiv zu gestalten, um Fachkräfte zu halten und Neue zu gewinnen.

Was sagen Sie zur Konkurrenzsituation mit der Schweiz, die attraktivere Arbeitsbedingungen im Gesundheitsbereich bietet? Wie steht es um Ausbildungsentschädigung?

Rauch: Wir müssen die Arbeitsbedingungen in Österreich so attraktiv wie möglich gestalten. Mit der Pflegereform haben wir die Bezahlung verbessert und für alle ab 42 eine sechste Urlaubswoche eingeführt. Auch Ausbildungsentschädigungen für alle Pflegeberufe haben wir eingeführt. Wir brauchen aber auch Zuwanderung aus Drittstaaten, um den Bedarf zu decken. Die Konkurrenz zur Schweiz bleibt bestehen, aber wir können durch attraktive Arbeitsbedingungen dagegenhalten. Und wir arbeiten an Modellen, bei denen junge Menschen einen privilegierten Zugang zum Medizinstudium erhalten, wenn sie sich verpflichten, als Kassenärzte und Ärztinnen oder in öffentlichen Spitälern zu arbeiten.

Kickl, KI, Corona und Kontroversen
Leidenschaftlich spricht Minister Rauch über mögliche Änderungen in der Pflege.

Wie beurteilen Sie die Forderungen nach einer Bannmeile um das Landeskrankenhaus Bregenz zum Schutz vor Belästigungen bei Abtreibungen?

Rauch: Ich unterstütze die Forderung nach einer Bannmeile. Belästigungen im Umfeld eines Krankenhauses sind unzumutbar. Es braucht eine bundesgesetzliche Regelung, um dies zu ermöglichen. Demonstrationsfreiheit ist wichtig, aber sie darf nicht dazu führen, dass Frauen in schwierigen Situationen belästigt werden.

Bundespräsident van der Bellen fand in seiner Eröffnungsrede deutliche Worte. Wie beurteilen Sie die Polarisierung im Diskurs?

Rauch: Die aktuelle Polarisierung schadet der Gesellschaft. Politik sollte lösungsorientiert und nicht destruktiv sein. Es geht darum, die Lebensbedingungen der Menschen zu verbessern und nicht nur Klientelpolitik zu betreiben.

Sprechen Sie hier auch die Linie der FPÖ unter Kickl an?

Rauch: Ich habe die FPÖ in meinem politischen Leben 30 Jahre lang kennengelernt. Eine gemäßigten FPÖ gibt es nicht, das ist ein Märchen. Kickl möchte eine Autokratie errichten, die sich an Ungarn orientiert. Pressefreiheit, Frauenrechte und die Unabhängigkeit der Justiz wären massiv eingeschränkt. Das will ich in Österreich nicht haben. Wir haben eine parlamentarische Demokratie, die erstritten und erkämpft wurde. Diese gilt es zu schützen und zu verteidigen.

Kickl, KI, Corona und Kontroversen
Minister Rauch findet dass eine gemäßigte FPÖ ein “Märchen” ist.

Hat die Linke es versäumt, Lösungen für Migration und Ausländerfragen anzubieten?

Rauch: Die schwarz-blaue Regierung hat keine Lösungen geliefert. Es braucht eine differenzierte Debatte und Lösungen. Österreich benötigt qualifizierte Zuwanderung, insbesondere in der Pflege, um den Bedarf zu decken. Eine pauschale Ablehnung von Migration ist nicht zielführend. Es gilt, Probleme klar zu benennen und Lösungen zu finden, um den Sozialstaat tragfähig zu halten.

Die Wahl von Lena Schilling ins EU-Parlament hat für viel Diskussion gesorgt. Wie steht es um die Trennung von Privatem und Politischem?

Rauch: Lena Schilling wird sich im Europäischen Parlament beweisen müssen. Ihre Arbeit und ihr Einsatz für den Klimaschutz sind wichtig. Die Vorwürfe und Angriffe auf ihre Person waren überzogen und teilweise ungerechtfertigt, was auch ein Urteil des Presserats belegt.

Künstliche Intelligenz ist in aller Munde. Welche Gefahr geht von ihr im demokratischen Prozess aus?

Rauch: Die Beeinflussung durch Social Media und KI ist ein großes Problem. Ganze Trollarmeen versuchen, KI-gestützt Wahlen zu beeinflussen. Es braucht politische Antworten und Maßnahmen, um diese Entwicklungen zu kontrollieren und die Demokratie zu schützen. Die Verbreitung von Des- und Falschinformationen muss eingedämmt werden. Die technischen Möglichkeiten, die KI bietet, erfordern eine Regulierung, um Missbrauch zu verhindern.

Glauben Sie an eine Fortsetzung der schwarz-grünen Koalition in Vorarlberg?

Rauch: Die Grünen haben in der Sozial-, Mobilitäts- und Energiepolitik in Vorarlberg enorm viel erreicht. Eine Fortsetzung dieser Koalition wäre positiv für Vorarlberg. Die Konstellation hat Zukunft.

Kickl, KI, Corona und Kontroversen
Sozialminsiter Rauch sieht Potenzial für eine zukünftige Weiterarbeit zwischen den Grünen und ÖVP.

Werden Sie in Zukunft „mehr arbeiten und weniger twittern“?

Rauch: Mehr arbeiten als in den letzten Jahren? Das geht sich nicht aus. Und diese Aussage stammt von einem Landeshauptmann, mit dem die Zusammenarbeit stets erfolgreich und vertrauensvoll war.