Zehn Punkte, Demokratie neu denken

Heidi Salmhofer mit ihrer Kolumne in der NEUE am Sonntag.
Heute ist es wieder so weit: Die Österreicherinnen und Österreicher entscheiden, wer uns in den nächsten Jahren durch die gesellschaftlichen Aufs und Abs begleiten wird. Ich finde das großartig, denn das System der Demokratie ist einfach eine tolle Erfindung. Man muss nicht weit schauen, um zu sehen, was passiert, wenn demokratische Prozesse ausgehebelt werden und Macht einem einzigen Alphamännchen auf dem Silbertablett serviert wird. Plötzlich zählen persönliche Befindlichkeiten und private Lebensphilosophien mehr als die Interessen der Gemeinschaft. Diese werden den Menschen mit Gewalt und Täuschung übergestülpt wie eine Käseglocke, sodass es nur mit viel Anstrengung möglich ist, zu erkennen, was außerhalb dieser Glocke existiert und wahr ist.
Bei Wahlen die Person zu finden, die am besten für eine Gesellschaft steht, in der es allen möglichst gut geht – unabhängig von den eigenen Interessen – ist gar nicht so einfach (falls es das jemals war). Inhalte und Philosophien der Parteien verschwimmen zu einer einzigen, dicken Gulaschsuppe, und oft weiß man gar nicht mehr, wofür die einzelnen wirklich stehen. Ich bin dafür, den demokratischen Wahlprozess zu überdenken, und habe eine etwas krasse Idee: Wie wäre es, wenn wir ein Punktesystem einführen?
Jeder Wähler, jede Wählerin bekommt zehn Punkte, die frei auf die verschiedenen Parteien verteilt werden können. Alle Punkte an eine Partei geben oder sie nach den eigenen Vorstellungen einer fairen und guten Gesellschaft aufteilen – ganz wie man will. So könnten sich die Parteien wieder auf ihre eigenen Inhalte konzentrieren, statt sich zu verbiegen, dehnen und spreizen, um Wähler aus anderen Lagern zu ködern. Das würde bedeuten: Parteien bekämen keine Stimmen mehr, sondern eben Punkte. Wie spannend wäre das?
Ich fühle mich gerade extrem revolutionär mit diesem Gedanken. Beim Googeln habe ich allerdings gemerkt, dass klügere Köpfe schon früher über solche Wahlsysteme nachgedacht haben – und ich mich jetzt nicht mit stolz geschwellter Brust als DIE neue Politphilosophin betiteln kann. Aber mir würde ein solches System gefallen. Könnten wir darüber mal eine Volksabstimmung machen? Man sollte jedenfalls über neue Ansätze nachdenken.
Schlussendlich aber meine Wahlempfehlung: Wählt diejenigen, die für eine gute Gemeinschaft stehen und sich dafür einsetzen, dass jeder und jede ein gutes Leben führen kann. Jeder und jede! Also bitte, hinhören, hingehen – und bis dahin die zehn Punkte eben einer Partei geben. Momentan geht es ja nicht anders. Schönen Wahlsonntag!
Heidi Salmhofer ist freiberufliche Theatermacherin und Journalistin. Sie lebt als alleinerziehende Mutter mit ihren Töchtern in Hohenems.