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Sicherheit auf wessen Kosten?

14.10.2024 • 11:00 Uhr
Bahnhof
Ein alltägliches Bild am dornbirner Bahnhof. Hartinger (6)

Während der Bahnhof Dornbirn für viele Menschen ein Ort ist, den sie lieber meiden, ist er für andere wiederum das einzige Obdach.

von Hannah Swozilek/Nathalie Schallert

An einem Abend im Oktober, wenn es stetig kälter und immer früher dunkel wird, hält sich wohl niemand gerne am Bahnhof Dornbirn auf. Doch für manche bleibt es bei keinem Kurzaufenthalt. Hier muss der Bahnhof Dornbirn zum Ersatz für ein Zuhause werden, wo das einzige Dach über dem Kopf der Öffentlichkeit gehört. Am Bahnhof Dornbirn sind Bilder von obdachlosen Menschen, die dick in Decken eingewickelt neben den Sitzbänken auf kalten, feuchten Betonböden harren, keine Seltenheit. Die Bänke selbst bieten dabei keine Zuflucht oder gar eine Fläche zum Schlafen. Zumindest nicht mehr.

Bahnhof
Eingehüllt in dicke Decken schlafen die Menschen auf dem Boden.

Aus der Mitte der Bank ragt ein prominenter Holzkeil hervor, der jeder Person, die dort zu liegen wagen sollte, den deutlichen Hinweis in den Körper hineindrückt, dass sie hier nichts zu suchen hat. Die Menschen, die ohnehin schon am Boden liegend Schlaf suchen, werden von der Polizei aufgeweckt und aus dem Blick der Öffentlichkeit getilgt. Ein sachtes Aufwecken muss dann der groben Hand oder der Schuhspitze weichen. Die Bilder dieser kalten Feindseligkeit, die Menschen ohne Zuhause den letzten Rest Komfort nimmt, zeigt sich in vielen Städten der Welt, und so auch am Dornbirner Bahnhof.

Bahnhof
Die Polizei Dornbirn wollte sich nicht zu dem Vorfall äußern.

Jene ohne Obdach

Als obdachlos gelten jene Personen, die keinen festen Wohnsitz haben und daher an öffentlichen Plätzen oder vorübergehend in Notunterkünften übernachten müssen. Davon zu unterscheiden sind wohnungslose Menschen, die zwar keinen eigenen Wohnraum haben, jedoch bei Freunden und Verwandten, in Hotels oder Frauenhäusern unterkommen können. Statistisch gesehen sind in Österreich Personen von 25 bis 64 Jahren mit einem Anteil von zwei Dritteln am meisten betroffen, wiederum zwei Drittel der Betroffenen sind männlich.
Soziale Wohnungslosenhilfen bieten einerseits Unterkunft, Verpflegung und Betreuung. Andererseits wird auch eine Wohnberatung zur Verfügung gestellt, um akut von Wohnungsverlust gefährdete Personen zu unterstützen.

Menschen in Not

Das gesellschaftliche Stigma einer selbstverschuldeten Obdachlosigkeit verbirgt, wie schnell Menschen mit Wohnungslosigkeit konfrontiert werden können. Von Naturkatastrophen, Schicksalsschlägen, steigenden Mietpreisen oder wirtschaftlichen Notsituationen können alle Menschen betroffen sein, und dementsprechend schnell kann jeder auch in Wohnungsnot geraten. Der öffentliche Raum wird dann für viele die einzige Möglichkeit für ein Dach über dem Kopf. Doch auch diese letzte Zuflucht scheint immer öfter verwehrt.

Feindselige Architektur

Holzkeile, welche die Sitzfläche einer Bank zerteilen, Steinkugeln, die das Liegen und Sitzen unter Überdachungen verhindern, oder eiserne Zäune, die den regensicheren Platz unter einer öffentlichen Treppe versiegeln. Diese Art von Architektur, die den Aufenthalt unerwünschter Personen im öffentlichen Raum erschweren oder gar verhindern soll, nennt sich „defensive“ oder „feindselige“ Architektur, oder schlichtweg „Anti-Obdachlosen-Architektur“.

Bahnhof Dornbirn
Die Stadt Dornbirn bezeichnet die Trennteile auf den Bänken als “Armstützen”.

Ziel dieser Architektur ist es, öffentliche Fläche mit bestimmtem Stadtmobiliar so abweisend wie möglich zu gestalten, um unerwünschte Personen, meist obdachlose Menschen, fernzuhalten. Das Argument, das dafür spricht: die Erhöhung der örtlichen Sicherheit, und das Verhindern von Verunreinigung oder Straftaten.

Dementsprechend erscheint es auch reizvoll, derartige Maßnahmen an einem Hotspot wie dem Bahnhof Dornbirn anzuwenden und den öffentlichen Raum dort wieder sicherer zu gestalten.

Sicherheit und Sitzkomfort

Weshalb werden am Bahnhof Dornbirn Anti-Obdachlosen-Maßnahmen ergriffen? Für die Stadt Dornbirn steht besonders ein Aspekt im Vordergrund: die Sicherheit und der Komfort der Fahrgäste. Mit bis zu 30.000 Personen, die an einem Werktag das Areal benutzen, sei der Bahnhof Dornbirn die meistfrequentierte Mobilitätsdrehscheibe Vorarlbergs. Dementsprechend groß ist die Nachfrage nach genügend Raum und Sitzmöglichkeiten. Zudem würde der Bahnhof vielen Menschen als Treffpunkt dienen, auch jenen, wie die Stadt Dornbirn gegenüber der NEUE erklärt, die eher am Rande der Gesellschaft stehen. Dadurch entstehenden Problemen soll mit unterschiedlichen sozialen Organisationen wie der Offenen Jugendarbeit oder dem Kaplan-Bonetti-Haus vorgebeugt werden.

Alexandra Achatz – Leiterin Notschlafstelle – Thema: derzeitige Kälte und Kältetelefon/Notschlafstelle
Die Notschlafstelle Kolpinghaus in Bregenz.

Die Probleme, die sich nicht durch Vorsorge verhindern lassen, sollen von einer erhöhten Polizeipräsenz in Schach gehalten werden. Die NEUE fragte auch bei der Stadtpolizei Dornbirn für eine Stellungnahme nach, erhielt jedoch keine Antwort. Laut der Stadt Dornbirn soll an einer stetigen Verbesserung der Situation am Bahnhof und der Aufenthaltsqualität gearbeitet werden.

Das Ziel der Stadt Dornbirn lautet demnach, den Fahrgästen ein sicheres und komfortables Weiterkommen vom Bahnhof zu ermöglichen. Jedoch geschieht dies oftmals auf Kosten obdachloser Personen. Die im Herbst auf den Bänken angebrachten Armstützen, wie die Stadt Dornbirn die Holzkeile beschönigend betitelt, sollen dabei eine Blockierung der Infrastruktur durch „Dauergäste“ verhindern. Hilfsbedürftige Menschen sollten sich an die Sozialeinrichtungen vor Ort wenden. Es scheint eine klare Botschaft zu sein: Das Problem „Obdachlose Personen“ solle sich wegmanövrieren und den öffentlichen Raum für jene räumen, die wissen, wo sie hingehören. Doch wohin sollen die Vertriebenen ohne Obdach gehen, wenn ihnen der öffentliche Raum selbst feindlich gesonnen ist?

Ein Blick dahinter

Wie sinnvoll schätzt eine Expertin diese Anti-Obdachlosen-Maßnahmen ein? Corina Albrecht vom Kaplan-Bonetti-Haus in Dornbirn sieht die Funktionalität von Anti-Obdachlosen-Architektur kritisch. „Es gibt viele Menschen, die sehr einsam sind und an öffentlichen Orten nach Unterhaltung und Gesellschaft suchen“, erklärt Albrecht. Der öffentliche Raum sei für alle Menschen da, und durch defensive Architektur werde das Problem meist nicht gelöst, sondern maximal an einen anderen Ort verschoben. Ihrer Wahrnehmung nach schreckt defensive Architektur die Menschen nicht ab.

Bahnhof Dornbirn
Die Trennteile wurden auf allen Bänken montiert.


Ebenso würden die Maßnahmen in kälteren Monaten keinen Unterschied machen. „In den Wintermonaten finden die Menschen oft andere Möglichkeiten und sind deshalb nicht so sehr an öffentlichen Plätzen sichtbar“, meint Albrecht.

Im Kaplan-Bonetti-Haus gibt es laut Albrecht zwischen warmen und kalten Monaten keinen wirklich wahrnehmbaren Unterschied, jedoch wird bei kalten Temperaturen sehr darauf geachtet, immer freie Betten zur Verfügung zu haben, um Menschen in Not aufnehmen zu können. Dieses Angebot, betont Albrecht, gibt es aber 365 Tage im Jahr, nicht nur exklusiv zu kalten Temperaturen. „Für unsere Arbeit macht es keinen Unterschied“, sagt sie.

Sinnvoll helfen

Am ehesten helfen könne man betroffenen Personen, indem man sie auf soziale Angebote aufmerksam macht, oder explizit nachfragt, ob man ihnen helfen könne. „Ein Kältetelefon wie in den Großstädten gibt es bei uns nicht“, sagt Albrecht, „allerdings gibt es in Bregenz, Dornbirn und Feldkirch Notschlafplätze, auf die die Personen verwiesen werden können.“