„Schon Siebenjährige sind von Catcalling betroffen“

Catcalling ist eine noch relativ unbekannte Form von Belästigung und sogar Gewalt an Frauen und Mädchen.
catcalling
Der Begriff bezeichnet verbale oder nonverbale Belästigungen, die auf der Straße oder im öffentlichen Raum stattfinden. Es handelt sich dabei um unaufgeforderte Kommentare, Pfiffe, Gesten oder Handlungen, die in der Regel sexuell konnotiert sind und sich oft auf das Aussehen einer Person beziehen. Diese Form der Belästigung wird meist als respektlos, unangenehm und grenzüberschreitend empfunden.
Im Rahmen der 16 Tage gegen Gewalt an Frauen und Mädchen gilt es durchaus, auch andere Formen der Gewalt aufzuzeigen, die vielleicht nicht so bekannt sind. Dazu zählt unter anderem das sogenannte „Catcalling“. Die NEUE hat sich diesbezüglich mit Mariella Sigg vom Verein „Catcalls of Vorarlberg“ und Angelika Atzinger vom Verein Amazone zum Gespräch getroffen.
Catcalling ist eine Art der sexuellen Belästigung, erklärt Mariella Sigg. „Das sind unangenehme Zurufe, die auf offener Straße, oder im öffentlichen Raum passieren. Das Ganze geht meist von Fremden aus. Es ist aber schwierig festzulegen, wo genau es anfängt und wo es aufhört.“ Es würde davon abhängen, ab wann für die jeweils betroffene Person eine Grenze überschritten werde. „Grundsätzlich ist jeder Kommentar, der Unwohlsein auslöst, ein Catcall“, erklärt sie.

„Von Catcalling sind meist weibliche Personen betroffen“, fügt Angelika Atzinger hinzu. Die Personen, von denen die Zurufe ausgehen, seien hingegen hauptsächlich Männer. Aber wieso heißt es eigentlich Catcalling? Der Begriff bezieht sich auf das Rufen nach einer Katze, da die Laute und Pfiffe sehr stark daran erinnern.
“Vielen ist gar nicht bewusst, dass Catcalling verbale Gewalt ist.”
Angelika Atzinger, Verein Amazone
Die Idee kam in Linz
Vor circa einem halben Jahr gründete Sigg „Catcalls of Vorarlberg“, in dem Anliegen, auf das Problem aufmerksam zu machen und Betroffenen eine Plattform zu bieten. Die Idee dazu kam bei einer Demonstration in Linz „Ich habe auf dem Boden einen Catcall gelesen und wurde neugierig. Auf Social-Media habe ich dann mitbekommen, dass für ‚Catcalls of Linz‘ Nachfolgerinnen gesucht werden. So hat sich das ergeben“, lacht Sigg. Nachdem sie zurück nach Vorarlberg gezogen war, griff sie das Thema auch hier auf.

Mittlerweile bietet sie Workshops zum Thema an, bei denen Betroffene in den Austausch gehen und Außenstehende Neues lernen können. „Der direkte Austausch ist wichtig. Fragen können ganz anders beantwortet werden. Das Lernen im kleineren Kreis ist wesentlich.“
Für Sigg ist es wichtig, Betroffenen das Gefühl zu vermitteln, dass sie nicht alleine sind. „Ich komme aus der Gastro-Szene, da bekomme ich dieses Thema natürlich hautnah mit“, erzählt sie. Bei den Workshops in der Amazone haben Mädchen und junge Frauen die Möglichkeit, sich sowohl gemeinsam mit Mariella Sigg, als auch untereinander auszutauschen. Sie würden dadurch das Gefühl bekommen, nicht alleine zu sein.
Worte auf dem Boden
Das sogenannte „Ankreiden“ ist die gängigste Methode von „Catcalls of Vorarlberg“, um auf das Thema aufmerksam zu machen. Dabei werden Catcalling-Begriffe im öffentlichen Raum mit Kreide auf den Asphalt geschrieben.
„Hier wird ein großes Publikum sensibilisiert“, findet Sigg. Doch was ist das Ziel dieser Rufe? „Ich glaube, das hat viel mit Macht zu tun. Sie tun es, weil sie können, weil sie mit ihrer Macht Leute verunsichern wollen.“ Catcalling ist nicht strafbar, rechtliche Konsequenzen ziehen die abfälligen Zurufe keine mit sich. „Gerade deshalb ist es, glaube ich, vielen gar nicht klar, dass es eine Grenzüberschreitung, oder sogar Gewalt ist“, findet Angelika Atzinger.

Beleidigungen hingegen wären strafbar. „Es ist eine Art verbaler Gewalt“, fügt Sigg hinzu. „Ich bin schon der Meinung, dass es strafbar werden sollte. Es ist natürlich etwas schwierig, weil man eben nicht genau sagen kann, wo es anfängt. Ich glaube aber, dass es nochmals mehr zu Diskussionen führen würde, wenn es strafbar gemacht werden würde“, ist sich Sigg sicher. Spanien gilt für sie als Vorbild. Dort ist Catcalling bereits jetzt strafbar. „Es muss noch viel geschehen, bis allen bewusst wird, was da eigentlich passiert“, sind sich die beiden Frauen einig. „Gewalt an Frauen ist ein Riesenthema, ein großes Problem, über das noch viel zu selten gesprochen wird.“
Auch Kinder betroffen
Auch weibliche Catcaller gibt es. „Das ist allerdings ein sehr kleiner Prozentanteil“, so Sigg. Das eigentlich größere Problem, als die unangenehmen Zurufe an sich sei das negative Gefühl und der Scham, der danach zurückbleibe. „Oftmals sind die Catcalls nur der Anfang von etwas. Dieses Problem kennen meist Frauen. Für betroffene Männer ist es nur eine Aussage, die in diesem Moment zwar kurz unangenehm ist, es wird aber nicht weitergedacht. Oftmals nehmen sie es auch als gar nicht so störend wahr, es wird eher darüber gelacht.“

Betroffen davon sind Frauen in jedem Alter, schon erschreckend junge Mädchen machen Erfahrungen mit Catcalling. „Wir bekommen teilweise Nachrichten zugesendet, in denen Siebenjährige von ihren Erfahrungen berichten“, erzählt Sigg. Auch Atzinger berichtet von erschreckenden Erfahrungsberichten. „Wir hatten letztes Jahr zum Weltmädchentag am Kornmarktplatz eine Aktion. Da haben uns teilweise zehnjährige von sexualisierten Kommentaren erzählt. Das hat mich wirklich schockiert.“

Gerade bei solch jungen Mädchen würden diese Aussagen oftmals sogar im engeren Familienkreis, oder in der Schule fallen. „Es ist wohl einfacher, die Mädchen und Frauen zur Verantwortung zu ziehen, als zu Männern zu sagen: Mach das nicht mehr“, so Atzinger.
Richtige Reaktion?
„Man muss in den Austausch gehen können. Männer sollten sich nicht sofort angegriffen fühlen, wir wollen sie nicht alle beschuldigen“, findet Atzinger. Mariella Sigg zieht die Männer jedoch auch zur Verantwortung. „Ich finde, sie sollten mehr für Frauen einstehen, denen so etwas passiert. Auch in Gruppen könnten sie sich gegenseitig konfrontieren, wenn sie Catcalling mitbekommen.“
Eine richtige Reaktion auf Catcalling gibt es laut den beiden nicht. Egal, ob man weggehe, die Person anspreche, oder einfach nichts mache: Alles sei richtig. „Wenn man die Person ansprechen will, sollte man aber auf jeden Fall beim ‚Sie‘ bleiben, damit die Distanz gewahrt wird“, erklärt Sigg.

Auch Leute in der Umgebung ansprechen und um Hilfe bitten, sei eine Option. „Wenn man solch eine Situation mitbekommt, sollte man sich auf jeden Fall um die betroffene Person kümmern und fragen, ob alles in Ordnung ist.“ Den beiden ist wichtig zu betonen, dass Catcalling nicht von Hautfarbe oder Nationalität abhänge. Es ziehe sich durch alle Nationalitäten und Gesellschaftsschichten gleichermaßen. „Mir ist bewusst, dass das Ankreiden nicht komplett zum Umdenken führt. Es ist aber durchaus ein Anfang und regt zum Nachdenken an“, findet Mariella Sigg. „Vielleicht geht durch die Botschaften auf dem Boden jemand Nachhause und googelt, was Catcalling ist. Das ist ein Anfang.“
hilfe bei gewalt
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