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Das Grauen von Magdeburg und die Ohnmacht

22.12.2024 • 17:49 Uhr
People gather to lay flowers and light candles at the entrance of the Johannis church near the Christmas Market, where a car drove into a crowd on Friday evening, in Magdeburg, Germany, Sunday, Dec. 22, 2024. (AP Photo/Michael Probst)
Auch am Sonntag kamen hunderte Menschen, um an einer Gedenkstätte in der Nähe des Weihnachtsmarktes Blumen niederzulegen
AP Photo/Michael Probst

Die Todesfahrt von Magdeburg lässt uns verstört zurück. Das Motiv des Täters entzieht sich einfachen Erklärungsmustern, zugleich zeigt sich, wie verletzlich wir sind.

Um 19.04 Uhr, exakt 24 Stunden nach der Tat, läuteten alle Kirchenglocken in Magdeburg. Im Dom der Stadt versammelten sich Hunderte Menschen, um zu beten, viele, die keinen Platz mehr in der Kirche bekommen hatten, gedachten bei Regen und Eiseskälte auf dem Vorplatz der Opfer der Todesfahrt am Freitagabend.

Vielen der Teilnehmer des Gottesdienstes dürfte Bischof Gerhard Feige in seiner Andacht aus der Seele und dem Herzen gesprochen haben. „Traurig und wütend, ratlos und ängstlich, unsicher und verzweifelt, sprach- und fassungslos und tief betroffen lässt uns dieser brutale Anschlag zurück“, sagte Feige.

Während im Dom der Bischof über Unsicherheit und Ratlosigkeit sprach, tobte draußen freilich schon längst der mit scheinbaren Gewissheiten geführte Kampf um die Deutungshoheit der Motivlage. Für die einen ist der 50-jährige Arzt, der sein Leihauto fast 400 Meter durch die Menschenmenge auf dem Magdeburger Weihnachtsmarkt gesteuert hat, ein Ex-Muslim, der sich auf die Seite der AfD geschlagen hat und Deutschland für seinen zu laxen Umgang mit Islamisten bestrafen wollte. Für die anderen ist Taleb A. ein dschihadistischer Schläfer, der nach seiner Flucht aus Saudi-Arabien die deutschen Asylbehörden fast zwei Jahrzehnte lang geschickt täuschte, um schließlich zu einem geeigneten Zeitpunkt zuzuschlagen.

Dass wir als Menschen selbst in Fällen, die so widersprüchlich und schwierig zu begreifen sind wie die Todesfahrt von Magdeburg, versuchen, die Dinge in einem Schwarz-Weiß-Raster zu fassen, ist nachvollziehbar. Dem Bösen einen Namen zu geben, nimmt ihm zumindest teilweise seinen Schrecken, die Gründe für sein Handeln zu erkennen gibt uns die Hoffnung, uns dagegen wappnen zu können.

Ähnlich wie der Fall des norwegischen Rechtsextremisten Anders Breivik, der mehr als 70 junge Menschen in einem Ferienlager tötete, entzieht sich die Todesfahrt von Magdeburg aber jeder Rationalität und noch so verqueren Logik. In die politischen Motive der Täter mischen sich krude Verschwörungstheorien und wohl auch psychotische Zustände.

Das macht es nicht nur für die Sicherheitsbehörden schwierig, sondern auch für uns als Gesellschaft. Belebte Orte lassen sich durch bauliche Maßnahmen besser schützen, durch eine umfassendere Gefährderansprache können viele potenzielle Täter vermutlich schon frühzeitig aus dem Verkehr gezogen werden. Und manchmal würde es wohl schon reichen, wenn die Behörden anders als im Fall von Magdeburg einlaufenden Hinweise auf eine mögliche Bedrohung lückenlos nachgehen, anstatt sie in der Maschinerie des Apparats verlaufen zu lassen.

Doch die Todesfahrt von Taleb A. führt uns auch schmerzlich vor Augen, dass trotz all dieser dringend nötigen Maßnahmen immer ein Restrisiko bleiben wird. Freiheitliche Gesellschaften sind verletzlich und können keinen absoluten Schutz bieten.