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Bischof Benno über die tiefe Bedeutung von Weihnachten

24.12.2024 • 12:00 Uhr
Bischof Benno über die tiefe Bedeutung von Weihnachten
Bischof Benno Elbs machte sich für die NEUE-Leserschaft Gedanken zur Geburt Jesu und ihrer Bedeutung für unser Miteinander.
Hartinger

Der Feldkircher Diözesanbischof Benno Elbs schreibt über die tiefe Bedeutung von Weihnachten. Er verknüpft die Verborgenheit Gottes mit unserer Sehnsucht nach Erfüllung und Hoffnung und erklärt, warum die Geburt Jesu als Kind die größte Einladung zur Nächstenliebe und zum Glauben ist.

In einer jüdischen Erzählung wird vom kleinen Jeschiel berichtet, der mit seinem Freund Verstecken spielt und in seinem Versteck darauf wartet, von ihm gefunden zu werden. Als ihn aber nach längerer Zeit sein Freund immer noch nicht gefunden hat, kommt Jeschiel aus seinem Versteck. Doch da merkt er, dass sein Freund gar nicht mehr da ist; er hat, als es ihm zu lange dauerte, die Suche einfach abgebrochen und ist weggegangen. Da läuft Jeschiel mit Tränen in den Augen zu seinem Großvater Rabbi Baruch und erzählt ihm davon. Rabbi Baruch antwortet, ebenfalls gegen die Tränen ankämpfend: Ja, das ist gewiss nicht schön von deinem Freund. Aber auch Gott geht es ähnlich: Er verbirgt sich und keiner will ihn suchen.

Bischof Benno über die tiefe Bedeutung von Weihnachten
Bischof Benno Elbs. Hartinger

Anhand dieser Geschichte, die bei Martin Buber überliefert ist und auf die auch Joseph Ratzinger einmal Bezug nahm, können wir, finde ich, das Weihnachtsfest neu und tiefer verstehen. Manchmal scheint es in der Tat, als ob sich Gott gut verstecken würde. Wo ist Gott im Leid?, fragen viele. Wo ist er in meiner Krankheit oder beim Tod eines lieben Menschen? Wo ist er, wenn Länder einander den Krieg erklären und die Gewaltspirale immer weitergetrieben wird? Es scheint, als ob sich Gott zurückgezogen hätte aus der Welt und auch viele Menschen aufgegeben hätten, ihn zu suchen – wie der Freund des kleinen Jeschiel.

Warum wird Gott ein Kind?

Das Weihnachtsfest aber sagt uns: Gott ist da mitten unter uns, „versteckt“ in einem Kind. Ein besseres Versteck hätte er sich, so könnte man meinen, kaum aussuchen können. Wer hätte zu denken gewagt, dass sich der ewige Gott in der zerbrechlichen Gestalt eines Kindes zeigt? Wer hätte auf die Idee kommen können, dass der allmächtige Gott „an die Windeln der Ohnmacht sich bindet“ (John Henry Newman)? Jahrhundertelang haben sich Menschen darüber Gedanken gemacht, warum Gott ausgerechnet als Kind auf Erden erschienen ist und nicht etwa als reicher König oder starker Weltenherrscher. Bernhard von Clairvaux hat im 12. Jahrhundert eine, wie ich finde, unübertroffen schöne Antwort darauf gefunden.

Er hat in einer seiner Predigten Weihnachten das „Angebot der Liebe“ genannt. Damit wollte er sagen: Gott wird deshalb ein Kind, damit sich auch die Hartherzigen und die, die von Friede und Versöhnung nichts wissen wollen, wenigstens durch das Angebot der Liebe eines Kindes umstimmen lassen. Gott wurde also deshalb ein Kind, weil er wusste, dass nichts unser Herz so sehr anspricht und berührt wie ein kleines Kind. Gibt es jemanden, der sich dem Angebot der Liebe eines Kindes ernsthaft entziehen kann? Durch die Geburt Jesu versucht Gott, in der Gestalt eines Kindes Liebe, Zuneigung und Zärtlichkeit in den Herzen der Menschen zu entfachen. Das ist im Grunde die höchste und äußerste Form der Einladung, die er aussprechen kann.

Mittelpunkt der Solidarität

Von da her hat Weihnachten im Grunde eine ganz einfache und zu Herzen gehende Botschaft: Gott kommt zu uns. Er lässt sich von uns finden, um uns den Weg zum Leben in Fülle zu zeigen. Aus vielen Begleitgesprächen weiß ich, wie sehr sich Menschen sehnen nach Sinn und Erfüllung – und wie oft diese Sehnsucht offenbleiben muss. In solchen Situationen sind es dann nicht selten wir selber, die sich verstecken. Wir kaschieren den Schmerz über ungestillte Lebenshoffnungen hinter glitzernden Fassaden. Ebenso neigen wir dazu, persönliche Kränkungen, den Kummer über zerbrochene Beziehungen oder die Trauer über den Tod eines geliebten Menschen voreinander zu verstecken.

Regelmäßig erfahre ich, wie diese Themen gerade zu Weihnachten besonders aufbrechen. Wie an keinem anderen Fest trifft in diesen Tagen die Erfahrung der Unvollkommenheit des eigenen Lebens auf die Hoffnung nach Heil und Heilung. Weihnachten wirft auch ein Schlaglicht auf verborgene Armut und verstecktes Leid. Der Schriftsteller und Shoa-Überlebende Elie Wiesel schrieb einmal: „Überall dort, wo Menschen verfolgt werden, wo sie leiden und hungern – dieser Ort muss im selben Moment zum Mittelpunkt des Universums werden.“ Diejenigen, die gewöhnlich am Rande der Gesellschaft und unserer Aufmerksamkeit stehen, die sich voll Scham verstecken und im Verborgenen leben und leiden, sollen zum Mittelpunkt unserer Solidarität werden.

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Der Stall von Bethlehem – Schauplatz der Geburt Jesu und Symbol der Liebe zu den Menschen.Shutterstock

Menschlicher und gottvoller

Vielleicht kann man, in Anlehnung an diesen Gedanken, Weihnachten auch so beschreiben: Gott kommt zur Welt und in unser Leben und macht alles, was uns niederdrückt und Sorgen macht, zu seinem Mittelpunkt. Wenn Gott Mensch wird, wirft er sich nicht nur einen Mantel um. Er wird wirklich Mensch mit allem, was das Menschsein ausmacht, auch im Negativen. Jesus kennt von klein auf Armut, Flucht, Ausgrenzung und Ablehnung und solidarisiert sich darin mit den Armen, Geflüchteten, Ausgegrenzten und Abgelehnten aller Zeit, auch der unseren.

Diese Solidarität Gottes mit dem Schicksal der Menschen soll auch Auswirkungen haben auf das soziale Miteinander in unserer Gesellschaft. Der Blick auf das Kind in der Krippe lädt uns ein und fordert uns auf, auch unser Herz weit werden zu lassen für unsere Mitmenschen. Das kann schon im Kleinen beginnen und bereits dort große Wirkung zeigen. Ganz berührend habe ich das zum Beispiel erlebt, als ich zu einem Seniorennachmittag in einer Vorarlberger Gemeinde eingeladen wurde. Dort habe ich gespürt, dass Menschen einen guten Ort finden, zu dem sie kommen können mit ihrem Bedürfnis nach Austausch, Gemeinschaft und Heimat. Viel Wertschätzung war dort erlebbar, viel Freude und große Dankbarkeit.

Nächstenliebe

Ich wünsche uns allen, dass die Geburt Jesu uns dazu anspornt, die Nächstenliebe, das Miteinander und unseren Glauben zu stärken und zu vertiefen. Gott ist Mensch geworden, um unser Leben menschlicher und gottvoller zugleich zu machen. Im Kind in der Krippe macht Gott sich klein, um uns herauszulocken und einzuladen, neue Wege des Glaubens und Hoffens zu beschreiten. Seit der Geburt Jesu im Stall von Bethlehem gilt: Wer den Himmel sehen will, muss sich bücken zu einem Kind. Wer in das Gesicht eines Neugeborenen blickt, blickt in das tiefste Geheimnis Gottes.

Von Herzen wünsche ich Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, ein frohes, gesegnetes Weihnachtsfest.

Bischof Benno Elbs

Zur Person

Geboren am 16. Oktober 1960 in Bregenz, aufgewachsen in Langen bei Bregenz. Theologiestudium mit Promotion an der Universität Innsbruck. Diplom in Logotherapie und Existenzanalyse. 1986 Priesterweihe, von 1986 bis 1989 Kaplan in Bregenz-Mariahilf und Religionslehrer. Ab 1. September 1989 Spiritual des Bischöflichen Studieninternats Marianum, ein Jahr später Rektor. Ab 1994 Pastoralamtsleiter der Diözese Feldkirch, ab 2005 Generalvikar, ab 2011 Diözesanadministrator. Seit 2013 Bischof von Feldkirch. Im September 2023 wurde Elbs als Interimsleiter für den vakanten Bischofssitz der Erzdiözese Vaduz (FL) bestellt. Er wird auch als Nachfolger von Kardinal Christoph Schönborn gehandelt, der sich im neuen Jahr als Wiener Erzbischof zurückzieht.