Survival unter der Kuschedecke

Heidi Salmhofer mit ihrer Kolumne in der NEUE am Sonntag.
Survival! Derzeit bin ich süchtig nach Abenteuer-Überlebenssituationen. Von der Couch aus, wohlgemerkt. Ich schaue Menschen im TV beim Bau von Sheltern zu, kommentiere ihr Können beim Feuermachen und ärgere mich über jeden aus Patschertheit nicht gefangenen Fisch. Unter der warmen Decke auf dem weichen Sofa, mit dem Luxus von Strom und einem den Naturgewalten trotzenden Dach über dem Kopf bin ich Survival-Expertin. Meistens würde ich alles anders machen und sowieso hätte ich nach zwei Tagen schon eine Blockhütte im kanadischen Wald aufgestellt, inklusive Plumpsklo, einen Bären mit bloßen Händen erwürgt und sein Fell vor meinen – selbstverständlich selbst gekachelten – Kaminofen gelegt. Im Übrigen hätte ich das alles alleine mit einem Schweizer Taschenmesser erledigt, das versteht sich von selbst. Aber weg von meinen schier unglaublichen Überlebensfähigkeiten, hin zur Reflexion darüber, warum man sich überhaupt bewusst solchen Extremsituationen aussetzt. In Gesprächen hört man meist diesen einen Satz: „Ich mache das, um meine eigenen Grenzen auszuloten und um mich selbst wieder zu spüren.“ Wir sind schon eine skurrile Spezies. Es gibt keine anderen Säugetiere, die gerne Nahtod-Erfahrungen machen. Wobei ich glaube, dass diese Experimentiererei mit dem Lebenserhaltungstrieb in unseren Breitengraden noch gar nicht so lange – im Verhältnis zur Menschheitsgeschichte – existiert. Über unzählige Jahrhunderte war unser Leben selbst ein täglicher Kampf darum, eben dieses möglichst lange aufrechtzuerhalten. Inzwischen haben wir alles; das Überleben ist keine Herausforderung mehr, und die Sehnsucht nach Einfachheit und dem Herunterbrechen unseres Daseins auf die Essenz des puren Seins steigt. Eine Auszeit ohne Handy und WLAN, keine hektischen Meetings, dafür Sternenhimmel und ein knurrender Magen. Zeit, die sich nur nach der auf- und untergehenden Sonne richtet und nicht nach dem Minutentakt unserer Smartwatch. Survival fasziniert uns, weil es uns eine Rückkehr zu den Wurzeln des Menschseins verspricht – in einer Welt, die uns oft zu weit von ihnen entfernt scheint. Unter der warmen Decke träumen wir – oder ich – davon, unser Können und unsere Instinkte zu beweisen. Wohlwissend, dass ich niemals den Mumm hätte, mich zur reinen Selbsterfahrung allein im australischen Outback aussetzen zu lassen. Da schreibe ich lieber darüber, eingewickelt in eine Kuscheldecke.
In diesem Sinne: Auf ein neues Jahr voller Abenteuer, Balance und der Fähigkeit, den kleinen Luxus im Alltag zu genießen!
Heidi Salmhofer ist freiberufliche Theatermacherin und Journalistin. Sie lebt als alleinerziehende Mutter mit ihren Töchtern in Hohenems.