Vergangenes, Gegenwärtiges und Zukünftiges

Heidi Salmhofer mit ihrer Kolumne in der NEUE am Sonntag.
Ich forsche gerne. Nicht im Sinne von „Ich entdecke neue Welten“ oder „befreie die Menschheit von der Bürde des Alterns“, sondern mehr in der Richtung: „Wer war vor mir hier auf der Welt, mit dessen Genen ich größtenteils mein eigenes Leben bestreite?“ Ich durchstöbere Tauf- und Sterbebücher, und im Zeitungsarchiv der Nationalbibliothek geht mein Herz auf. Ich lese alte Briefe meiner Großeltern und bin ganz entzückt, wenn ich Postkarten finde, in denen sich meine Urgroßeltern ihre Liebe gestanden oder sich über den Nachbarn beschwert haben.
Letztens habe ich mit meinem (erwachsenen) Lieblingsmenschen darüber diskutiert, inwiefern so eine Ahnenforschung überhaupt Sinn macht. Wie beeinflusst Vergangenes mein eigenes Jetzt? Ist es wichtig zu wissen, woher das lange Ohrläppchen, der Sinn für Humor oder etwaige Talente kommen? Grundsätzlich keimt beim Erforschen schon die eine oder andere Frage auf, ob man bestimmte Eigenschaften vorhergehender Salmhofers mitbekommen hat. Oder ist ein Teil meines Ichs das Ergebnis von Erziehungsmaßnahmen und Erfahrungen, die von einer Generation zur nächsten weitergegeben wurden? Ein bisschen wie ein kleiner, hoffentlich freundlicher Virus, der von Übertragung zu Übertragung ein wenig mutiert, sich entwickelt und den neuen Bedingungen anpasst.
Unsere Bedürfnisse, Erinnerungen und Wahrnehmungen haben wohl immer noch ein wenig Nachklang von all den Dingen, die unsere Vorfahren erlebt und gelebt haben. Das finde ich schön. Muss ich also wissen, wer meine Ahnen waren? Jain. Mich selbst unabhängig von meiner Vorgeschichte gestalten zu können, frei zu sein, ist wichtig.
Jedoch: Ein Blick zurück lehrt mich ein wenig über mich selbst, macht mich in der Gegenwart demütig und zeigt mir, wohin der Weg noch gehen könnte. Die Vergangenheit zu negieren oder gar zu verdrängen hält uns – glaube ich – davon ab, für unsere eigene Zukunft zu lernen. Ein Blick in die Vergangenheit zollt jenen Respekt, die vor uns ihr Leben gemeistert haben, und lässt ihr Erlerntes nicht im luftleeren Raum des Vergessens verpuffen. Im Großen wie im Kleinen.
Sich selbst nicht immer zu wichtig zu nehmen, zu erkennen, dass man nur deshalb existiert, weil irgendwann einmal ein Affe von einem Baum geklettert ist und festgestellt hat, dass er auf zwei Beinen besser seinen Blick über die Steppenlandschaft schweifen lassen kann, würde uns womöglich von manchem Größenwahn befreien. Vielleicht.
Heidi Salmhofer ist freiberufliche Theatermacherin und Journalistin. Sie lebt als alleinerziehende Mutter mit ihren Töchtern in Hohenems.