Früher war der Schulweg anders

Früher war nichts besser, wenig klüger und schon gar nicht leichter. Meine Oma hatte ihr angeschnupftes Stofftaschentuch griffbereit im Ärmel verstaut und fürsorglich ein freies Plätzchen herausgefiltert, in das auch Klein-Heidi ihre Rotznase vergraben konnte.
Von Heidi Salmhofer
Mein Vater hat mich ohne Helm im Beiwagen seines Motorrads herumkutschiert, und Anschnallen im Auto war sowieso etwas für Angsthasen. Das war nicht besser, nur mit einer gehörigen Portion Glück verbunden – nämlich dass ich ein gutes Immunsystem hatte und auf dem Land nicht besonders viel Verkehr herrschte.
Ich glaube auch nicht, dass die Menschen fürsorglicher oder weniger gewaltbereit waren. Im Gegenteil: Im Wirtshaus bekam gerne mal einer auf die Kappe, und im Dorf wurde und über jede Andersartigkeit gemosert – bis hin zur kompletten Ausgrenzung.
Heute hören, lesen und sehen wir nur mehr. Durch Fernsehen, Internet und die permanente Möglichkeit, überall seinen Senf dazugeben zu können, realisieren wir: So klug wie wir Menschen glauben zu sein, sind wir gar nicht. Deshalb neige ich auch nicht dazu, seufzend zu romantisieren, dass früher doch alles besser war.
Außer – dass wir unseren Kindern immer mehr Selbstständigkeit nehmen. Ich durfte zum Beispiel noch alleine von der Schule nach Hause gehen, wenn ich mich schlecht fühlte, zum Arzt musste oder irgendeine andere Angelegenheit meinen Schulalltag unterbrach. So und so fand der Weg zur Schule von Anfang an ohne elterliche Begleitung statt. Heute sind wir so verschreckt, dass für jedes Futzelchen an kindlicher Bewegung außerhalb des schulischen Umfelds (während der sogenannten Aufsichtspflicht) sofort Mama oder Papa parat stehen
Wir nehmen den Kindern damit einen großen Teil ihrer Selbstwahrnehmung auf dem Weg zum Erwachsenwerden – und einen Teil des Lernprozesses, auf sich selbst aufpassen zu können. Auch der Schulweg – das Treffen von Freunden, das Quatschen und Palavern, das Trödeln und Lachen ohne elterliche Begleitung –ist ein so wichtiger Moment der Eigenständigkeit, den wir unseren Kids nehmen. Das war – glaube ich – früher wirklich etwas geschickter.
Es sei denn, der Schulweg führt über die A1 – dann würde ich mein Kind übrigens auch begleiten. Strikt. Aber sonst? Gehen sie alleine. Sinnbildlich dafür, dass sie sich ihren Lebensweg auch Großteils selbst freischaufeln müssen – damit sie ihren eigenen gehen und nicht jenen, der ihnen vorbereitet wurde.
P.S.: Mir geht das Taschentuch meiner Oma gerade nicht mehr aus dem Kopf. Das war so normal – und jetzt ist es so … brrrrrr.