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Stille – Eine Schweigeminute mit Umarmung

15.06.2025 • 15:00 Uhr
Stille – Eine Schweigeminute mit Umarmung
NEUE

„Mama! Kinder sind in einer Schule umgebracht worden!“ Meine Tochter steht vor mir, in ihren Augen spiegeln sich Trauer und Tränen.

Von Heidi Salmhofer
neue-redaktion@neue.at

Zu den schrecklichen Nachrichten kursieren auch Videos im Internet – Kinder, die in Todesangst vor Schüssen flüchten. Kaum eines davon steht in direktem Zusammenhang mit den Morden in Graz. Aber das spielt für die Gefühlswelt meiner Tochter keine Rolle. Es sind Kinder. In einer Schule. Sie hat Angst, dass es auch ihre sein könnte. Sie hört sich die Trauerfeier an. Die Ansprachen. Die Stimmen der Geschwister und Mitschüler der getöteten Kinder – und sie weint. Die Schule – der Ort, an dem man Freunde trifft, lernt und lacht. Wo das größte Drama vielleicht ein Clinch mit einer Lehrerin oder einem Mitschüler ist. Und selbst dieser beim Spaghetti-Essen zu Mittag schon wieder (fast) vergessen. Der Ort, an dem man über Jungs kichert, genauso wie man die Augen verdreht, wenn einer mal wieder seine pubertären Macho-Allüren raushängen lässt. Der Ort, an dem man höchstens vor einem Fünfer Angst hat – und das ist schon unangenehm genug.

Diesen Ort der Stabilität hat es erschüttert. Eine Mauer ist eingerissen worden. Wie rede ich darüber? Wie gebe ich meiner Tochter das Gefühl – und auch mir –, dass dieser Ort weiterhin existiert? Und wie tue ich das, ohne den Verlust, diese unsägliche Trauer, diesen Schmerz der Betroffenen kleinzureden? Ich sitze auf dem Bett meiner Teenie-Tochter, schweige kurz, halte sie fest. Und dann sage ich ihr, dass ich ihre Angst verstehe. Dass ich mir auch Sorgen mache. Und dass es jetzt und heute ganz normal ist, sich so zu fühlen. Aber wir können etwas tun. Alle zusammen. In Hohenems. In Vorarlberg. In Österreich. In Europa. In der Welt.
Uns zuhören. Respektvoll sein. Miteinander. Man muss sich nicht lieben. Man muss sich nicht einmal mögen. Aber niemals respektlos sein. Wir Salmis machen das einfach weiterhin so. Und wenn ein kleiner Funke von dieser Art, wie meine Tochter anderen begegnet, auf den Nächsten überspringt, und dann auf den Nächsten, und den Nächsten… Dann hilft das vielleicht. Dass diese Welt ein bisschen weniger wütend, ein bisschen weniger ängstlich ist. Das ist ein schöner Gedanke. Ich halte meine Tochter. Ganz fest. Und trauere. In aller Stille. Mit all jenen, die ein Kind verloren haben. Mit all jenen, deren Welt aus den Fugen geraten ist. Wir denken an euch. In Trauer. In Stille. Mit Kraft.

Heidi Salmhofer Portrait Kopfkino
Heidi Salmhofer ist freiberufliche Theatermacherin und Journalis­tin. Sie lebt als alleinerziehende Mutter mit ihren Töchtern in Hohenems.