Euro-Stars

Der Rekord-Rumäne

22.06.2024 • 14:56 Uhr
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Radu Drăgușin gegen Kevin de Bruyne und Manchester City. Reuters

Radu Drăgușin ist Rumäniens Hoffnungsträger bei der EM. Im Winter avancierte der Spurs-Innenverteidiger zum teuersten rumänischen Spieler aller Zeiten.

Hinter Radu Drăgușin liegt ein turbulentes Frühjahr. Insbesondere die ersten Tage des Jahres waren geradezu schicksalhaft für den 22-jährigen Innenverteidiger. Drăgușin hatte sich im Herbst 2023 in Italien bei Serie-A-Klub FC Genua ins Rampenlicht gespielt, gleich mehrere renommierte europäische Klubs zeigten Interesse am Rumänen. Am 9. Jänner verständigte sich der hoch aufgeschossene Innenverteidiger mit Tottenham auf einen Wechsel, gab mündlich die Zusage für einen Winter-Transfer.

Dann meldete sich der FC Bay­ern, der verzweifelt nach einem Innenverteidiger suchte, der so wie Drăgușin auch rechts in der Viererkette spielen kann. Als sich die Münchner beim Abwehrspieler meldeten, war der Rumäne gemeinsam mit seinem Berater Florin Manea bereits auf dem Weg zum Flughafen – man glaubt es kaum. Die beiden brachen die Fahrt ab, um die Entscheidung neu zu überdenken. Drăgușin beriet sich mit seiner Familie, wartete auf das schriftliche Angebot der Bayern, das letztendlich erst in der Nacht eintraf und deutlich über dem Gehaltsangebot der Spurs lag. Drăgușin schlief über die Entscheidung und beschloss am nächsten Morgen um 8 Uhr früh, dass er zu seinem Wort stand und zu Tottenham wechseln will. „Ich kann es nicht glauben, dass wir Bayern absagten“, bezog Drăgușin-Berater Manea danach Stellung und betonte: „Ich weiß nicht, wie viele das Bayern-Angebot, das wir erhielten, abgelehnt hätten. Es waren viele, die es überhaupt nicht glauben konnten, dass wir Bayern absagen. Wir waren uns einig, dass das der Schritt in die richtige Richtung ist.“ Die Bayern holten stattdessen Eric Dier, just von den Tottenham Hotspurs – und wurden glücklich mit dem Engländer, Drăgușin fand zunächst überhaupt nicht in Tritt beim Londoner Traditionsverein und kam nach zwei Monaten nur auf acht Einsatzminuten, noch dazu verteilt auf drei Spiele. Zuletzt schaffte es der Osteuropäer in die Startelf und deutete an, warum er den Spurs 25 Millionen Euro Ablöse wert war, was ihm zum teuersten rumänischen Spieler aller Zeiten machte, gleichzeitig deutete er auch an, warum die Bayern ihn auf dem letzten Drücker holen wollten.

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Drăgușin zeichnet nicht nur eine kompromisslose Zweikampfführung aus… Reuters

Sportliche Familie

Drăgușin ist beidfüßig, kann in der Viererkette mehr oder minder auf allen Positionen spielen, ist robust, dank seiner 1,91 Meter kopfballstark, trotzdem schnell und hat durchaus auch Qualitäten im Aufbauspiel. Der Rumäne ist der Prototyp des modernen Verteidigers. Drăgușin wurde am 3. Februar 2002 geboren und stammt aus einer sportbegeisterten Familie, beide waren rumänische Nationalspieler: Mutter Svetlana im Basketball, sie schaffte es 1992 sogar zum Draft der Women’s NBA, wurde allerdings nicht gepickt, Vater Dan war rumänischer Volleyball-Nationalspieler. Die sportlichen Gene der Eltern schlugen auch bei Drăgușins Schwester Meira durch, die nach ihrer Mutter kommt und Basketball spielt.

Heimweh

Radu Drăgușin jedenfalls begann im Alter von sieben Jahren Fußball zu spielen, sein Cousin brachte ihn zum Verein Sportul Studențesc, einem Bukarester Studentensportverein, mit elf Jahren wechselte er zum FC Regal Bukarest. Im Sommer 2018 stand Drăgușin als 16-Jähriger erstmals vor der Wahl, zwischen mehreren Angeboten von Top-Vereinen auswählen zu können: Großklubs wie Paris St. Germain, Atletico Madrid und Juventus Turin wollen den rumänischen Teenager verpflichten, Drăgușin entschied sich für Juventus. Die „Alte Dame“ ließ sich die Verpflichtung von Drăgușin 260.000 Euro kosten.

Anfangs, als Drăgușin im Juventus-Internat untergebracht war, hatte der Teenager starkes Heimweh und tat sich schwer, Fuß zu fassen in Turin, dann kamen seine Mutter und seine Schwester nach, woraufhin sich der Rumäne dann doch gut beim norditalienischen Klub einlebte.

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…er kann auch etwas Ball, was ihn im Winter zum begehrten Spieler machte. Reuters


Nach einem Jahr bei Turins U17 berief ihn Trainer Maurizio Sarri im Oktober 2019 mit 17 Jahren zum Trainingskader der ersten Mannschaft. Ein Debüt bei den Profis verhinderte in der Saison 2019/20 eine Corona-Infektion sowie eine Muskelermüdung. Sein Profi-Einstand gab Drăgușin schließlich am 2. Dezember 2020, als er im Alter von 18 Jahren von Juve-Trainer Andrea Pirlo im Champions-League-Gruppenspiel gegen Dynamo Kiew eingewechselt wurde, es folgten drei weitere Einsätze für Juve, in der Coppa Italia spielte er zwei Partien über die volle Distanz.

Fußballer des Jahres

Im Sommer 2021 verlängerte Juventus Drăgușins Vertrag bis 2025 und lieh ihn erst zu Sampdoria Genua und dann zu Salernitana aus, ehe der Innenverteidiger schließlich beim FC Genua landete. Die Genuesen verpflichteten den Rumänen nach einer einjährigen Leihe im Sommer 2023 letztlich fix für knapp zehn Millionen Euro.

Beim FC Genua ging die Karriere von Drăgușin dann durch die Decke. Er stieg zum A-Nationalspieler auf, bis eben im Winter 2023/24 Vereine wie Newcastle, Tottenham, Napoli und AC Milan am Defensiv-Allrounder interessiert waren – und letztlich zu spät auch die Bayern in den Poker einstiegen.
Wenn Drăgușin, inzwischen Rumäniens Fußballer des Jahres 2023, sein Potenzial umsetzt, könnte bald schon das nächste Wettbieten um den modernen Innenverteidiger anstehen. Zuzutrauen ist ihm alles.

Radu Drăgușin

Geburtsdatum: 3.2.2002
Nationalität: Rumänien
Position: Innenverteidiger
Verein: Tottenham Hotspur
Marktwert: 25 Millionen Euro
Leistungsdaten Verein: Serie A: 40 Spiele, 2 Tore, 1 Vorlage; Serie B: 38 Spiele, 4 Tore; Coppa Italia: 9 Spiele; Premier League: 9 Spiele; Champions League: 1 Spiel;
Leistungsdaten Nationalteam:
15 Spiele, Debüt am 25.3.2022;
EM-Historie: Keine
Größte Erfolge: Sieger Coppa Italia (2020/21, zwei Einsätze);
Ehrungen: Rumäniens Fußballer des Jahres (2023)
Besonderheit: Löste im Winter Adrian Mutu als teuersten rumänischen Spieler aller Zeiten ab.