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“Fähigkeiten wurden falsch eingeschätzt”

15.04.2022 • 18:58 Uhr
Die "Moskwa" auf einem Foto von 2013
Die “Moskwa” auf einem Foto von 2013 (c) APA/AFP/VASILIY BATANOV

Mit “Moskwa” ging das wichtigste Schiff der russischen Schwarzmeerflotte unter.

Es war ein Verwirrspiel – am Ende ist zumindest eines klar: Die “Moskwa”, 1982 in Dienst gestelltes und wichtigste Schiff der russischen Schwarzmeerflotte, ging unter.

Das Verteidigungsministerium in Moskau bestätigte entsprechende Berichte, mit seiner Version der Dinge: Die “Moskwa” habe bei schwerer See “Stabilität” verloren, während man sie abschleppte. Zuvor habe es eine Explosion an Bord gegeben, die das Schiff aber nicht habe untergehen lassen, so die Erklärung. Seitens der Ukraine heißt es, man habe dem knapp 190 Meter langen Raketenkreuzer der “Slawa”-Klasse mit Anti-Schiff-Raketen vernichtende Schläge zufügen können.

Der Stolz der russischen Flotte

Jeremy Stöhs, Militärstratege und stellvertretender Direktor des “Austrian Center for Intelligence, Propaganda and Security Studies” (ACIPSS), erklärt im Interview mit der Kleinen Zeitung die Bedeutung des Schiffs, im Ukraine-Krieg: “Prinzipiell verfügt die russische Marine nicht mehr über allzu viele große Kampfschiffe. Obwohl Russland in den vergangenen Jahren viel in die Rüstung investierte, gibt es für die in den 1970er-Jahren entworfenen Schiffe dieser Art bislang keine Nachfolger.”

Jeremy Stöhs vom "Austrian Center for Intelligence, Propaganda and Security Studies"
Jeremy Stöhs vom “Austrian Center for Intelligence, Propaganda and Security Studies”Sonstiges

Stöhs weiter: “Die ‘Moskwa’ war seit der Annexion der Krim und der Zerstörung der ukrainischen Marine das Flaggschiff der Schwarzmeerflotte. Sie hatte große politische Bedeutung. Ein Kriegsschiff ist nationales Territorium – das bedeutet: Dort, wohin ein Kriegsschiff fährt, ist auch das Land, das dahinter steht, präsent. Nach der Sperre des Bosporus als Zugang zum Schwarzen Meer durch die Türkei war es von noch größerer Relevanz für Russland, dass das Schiff vor Ort war.”

Man dürfe nicht vergessen, dass gerade in der aktuellen, womöglich entscheidenden Phase des Krieges der überraschende Untergang eines Flaggschiffs, das den Namen der russischen Hauptstadt trägt, verheerend wirkt. Es sei “bemerkenswert”, dass nun 40 Jahre nach dem Falklandkrieg und dem Ende des argentinischen Kreuzers “Belgrano” wieder ein großes Kriegsschiff untergegangen ist. Stimmt die Version der Ukraine, wäre das ein großer Coup für ihre Streitkräfte, die begrenzte Kapazitäten für die Zerstörung von Zielen auf See hat.

"Fähigkeiten wurden falsch eingeschätzt"
Kleine Zeitung

Auch Frederick B. Hodges, Ex-Oberkommandierender der US Army Europe, nannte den Untergang der “Moskwa” eine “große Sache”, die Russland davon abbringen könnte, die Ukraine mit Landungsoperationen von See aus anzugreifen. Überraschungen zugunsten der Ukraine seien jedenfalls weiter möglich, wie Stöhs betont: “Sie gehen mit den vorhandenen Mitteln sehr klug um.”

Stöhs schließt eine Explosion an Bord der “Moskwa” nicht aus, geht aber eher davon aus, dass die Ukraine bei der Attacke auf das eine Milliarde Euro teure Schiff “R-360 Neptun”-Raketen eingesetzt hat: Diese sind bemerkenswerterweise ein Derivat russischer Raketen. Die “Moskwa” selbst hatte 16 Seeziel-Flugkörper an Bord, diese könnten bei einem Treffer eine verheerende Kettenreaktion ausgelöst haben.
Von der ukrainischen Post wurde das Schiff auf Briefmarken verewigt: Diese zeigen einen wehrhaften ukrainische Soldaten, der der “Moskwa” den Mittelfinger zeigt – ein Vorfall auf der “Schlangeninsel”, 300 Kilometer westlich der Krim.

Defizite im Kampf von See aus

Welche Defizite der russischen Streitkräfte offenbarte der Verlust der “Moskwa”? “Die ‘Moskwa’ dürfte zu nahe an Land gefahren sein, nun hat Russland den Preis dafür bezahlt. Fähigkeiten und Abwehr der Ukrainer wurden falsch eingeschätzt bzw. unterschätzt. Generell scheint auch Einsatzbereitschaft und Training der russischen Marine nicht auf dem Standard anderer Seestreitkräfte zu liegen. Putins Einheiten haben bislang noch keine amphibische Landung durchgeführt – das ist wohl zu riskant.”

Offenbar als Vergeltung für den Verlust will Russland jetzt verstärkt die ukrainische Hauptstadt Kiew unter Beschuss nehmen. Bei einer Attacke sei laut russischem Verteidigungsministerium in der Nacht auf Freitag eine Fabrik getroffen worden, in der Raketen gebaut und repariert würden. Dazu gehörten auch Anti-Schiff-Raketen.