„Europa ist das Angriffsziel Nummer Eins“

Cybersicherheit: Hacker haben Europas Industrie als Angriffsziel entdeckt.
Große IT-Konzerne sind in jüngster Zeit durch Massenkündigungen aufgefallen. Braucht die Branche keine Fachkräfte mehr?
MARCO PORAK: Ganz im Gegenteil. An dem Fachkräftemangel hat sich nichts verändert. Der Trend begleitet uns weiter. Bei IBM ist es in den vergangenen Monaten gut gelungen, junge Talente an Bord zu holen, denen wir wirklich gute Chancen zur Weiterentwicklung bieten.
IBM hat in den vergangenen Jahren Geschäftsteile abgegeben. Wofür steht IBM heute?
IBM besteht aus drei großen Teilen. Das ist einmal Technologie: unsere Hardware, unsere Software, unsere Cloud-Angebote. Auf der anderen Seite ist das Beratungsgeschäft. Die IBM ist einer der größten Anbieter von IT-Consulting. Der dritte Punkt ist eben Forschung und Entwicklung, wirklich die Innovation neuer Produkte wie Quantencomputer. In Österreich konzentrieren wir uns auf Technologie und Beratung. Unsere strategische Überschrift als Unternehmen ist „Hybrid Cloud und AI“. (AI steht hier für künstliche Intelligenz)
Im Bereich Cloud sind aber vor allem Microsoft, Amazon und Google aktiv. IBM bleibt in der Wahrnehmung im Hintergrund. Warum?
Wo wir hinwollen, ist eine hybride Cloud. Es geht uns dabei nicht darum, nur Gigabytes oder Prozessorleistung zu verkaufen, sondern um spezielle, industriespezifische Lösungen für Unternehmen. Da kann unsere Cloud eine Rolle spielen, ebenso wie jene von Microsoft, Amazon oder Google.

Der zweite Schwerpunkt ist künstliche Intelligenz. Hier hat IBM mit Watson früh einen Meilenstein gesetzt. Heute reden alle von ChatGPT, OpenAI und Midjourney. Wann hört man wieder etwas von IBM?
Der frühe Start im Bereich künstlicher Intelligenz führt dazu, dass praktisch in jedem Produkt von IBM AI enthalten ist. Der neueste Großcomputer von IBM hat direkt auf Chip-Ebene eine AI Engine, die es erlaubt AI-Aufgaben in Echtzeit zu erledigen. Projekte wie ChatGPT oder OpenAI sind beachtlich, doch für Unternehmensumgebungen aufgrund der enormen Größe der zugrunde liegenden Modelle nicht zweckmäßig. Alleine die Wartung von ChatGPT soll monatlich mehrere Millionen US-Dollar kosten. Das ist für Firmenkunden nicht der richtige Ansatz. Deshalb bieten wir hier kleinere Modelle, die auf die jeweiligen Aufgaben in Unternehmen spezialisiert sind.
Oft wird kritisiert, dass unklar ist, wie solche Systeme entscheiden. Experten fordern daher nachvollziehbare Algorithmen. Wie ist das bei IBM?
Seit dem sich IBM mit AI beschäftigt, achten wir sehr auf die ethische Seite. Wir haben uns selbst Regeln und Grundsätze gegeben, nach denen wir unsere AI entwickeln. Wir stellen auch Algorithmen kostenlos zur Verfügung, die AI-Modellen nachvollziehbar machen – und zwar nicht nur unsere, sondern auch jene von anderen Anbietern.
Zur Person
Marco Porak hat in Wien BWL studiert und ist seit 22 Jahren für IBM tätig.
Seine Karriere führte ihn durch zahlreiche Bereiche in dem als „Big Blue“ bezeichneten Konzern – vom Vertrieb bis zur IT-Beratung.
Aus der Zeit als Softwareentwickler hält er mehrere Patente.
Aufsehen erregt IBM auch mit kommerziellen Quantencomputern. Wie entwickelt sich das Geschäft hier?
Im Moment ist es nicht unsere Idee den Quantencomputer als Hardware-Produkt zu verkaufen. Vielmehr bieten wir Quantum-Rechenleistung als Service an. Über die IBM-Cloud kann jeder Leistungen von Quantencomputern aus der Cloud beziehen. Die Einstiegsvarianten sind sogar kostenlos. Für speziellere Anwendungen gibt es Premiummodelle, wo man dann entsprechend Rechenleistung kauft.
IBM stellt weiterhin eine sehr alte Technologie zur Verfügung: Magnetbänder. Was ist das Besondere daran?
Ich beginne vielleicht mit einem nicht augenscheinlichen, aber logischen Vorteil. Das Magnetband auf dem Daten unveränderbar gespeichert sind. Dazu kommt: Es braucht nur Strom, wenn die Daten aufs Band geschrieben oder vom Band gelesen werden. Das Speichern der Daten braucht keine Energie mehr. Ein weiterer Vorteil: Man kann sehr viele Daten auf kleinen Platz speichern und diese auch schneller wieder herstellen als mit jedem anderen Medium. Das ist bei großen Datenmengen sehr wichtig. Deshalb halten wir an der Technologie fest und entwickeln sie weiter – die Technologie ist also top modern.
Im Bereich Cybersecurity verschärft die EU die Regeln für Unternehmen. Reicht das, um Europas Wirtschaft vor den Angriffen zu schützen?
Security ist das Thema schlechthin. Es vergeht kein Termin, wo das nicht ein vorrangiges Thema ist. Der aktuelle globale Security-Report von IBM zeigt, dass Europa inzwischen Angriffsziel Nummer Eins für Erpressung ist. Eine weitere Erkenntnis: Oberstes Ziel der Angriffe ist die Fertigungsindustrie und nicht mehr die Finanzbranche. Warum? Weil die Fertigungsindustrie in Lieferketten organisiert ist. Und wenn man ein Glied der Kette angreift, leiden alle Unternehmen. Wir bieten hier die nötigen Tools und eine schlagkräftige Eingreiftruppe.