Joe Bidens Tage der Entscheidung

Nach dem Duell-Debakel muss Biden nicht nur seine Wähler, sondern zuerst seine Partei von sich überzeugen. Die Zeit drängt, denn auch die Geldgeber werden nervös.
Biden trotzt Kritik: ‘Ich gehe nicht’
„Niemand drängt mich raus. Ich gehe nicht.“ Das soll US-Präsident Joe Biden laut einem „New York Times“-Bericht am Mittwoch zu seinem Wahlkampfteam gesagt haben. Dabei soll er Rückhalt von seiner Vizepräsidentin Kamala Harris bekommen haben: „Wir werden nicht zurückweichen. Wir folgen der Führung unseres Präsidenten. Wir werden kämpfen und wir werden gewinnen.“
Letzteres ist spätestens seit dem ersten TV-Duell vergangene Woche alles andere als sicher. Biden machte im CNN-Studio den Eindruck eines uralten, langsamen und verwirrten Mannes. Daher zweifeln viele Demokraten an den Erfolgsaussichten ihres Kandidaten.
Zweifel an Bidens Eignung
Der Präsident kämpft schon lange mit schlechten Umfragewerten, in denen er seinem Kontrahenten Donald Trump unterliegt. Erste Befragungen nach Bidens Fernseh-Debakel fielen sogar noch schlechter aus. Eine Umfrage des „Siena College“ ergab, dass 74 Prozent der Wähler Biden für zu alt für das Amt halten. Nur noch 43 Prozent der Befragten würden für ihn stimmen. 49 Prozent würden hingegen Trump wählen.
Trotz allem will Biden weiterhin Präsidentschaftskandidat bleiben. Nach dem Fernsehauftritt hüllte sich sein engstes Umfeld in Schweigen. Von einem Kandidatenwechsel will im Weißen Haus offiziell niemand etwas wissen. Am Mittwoch traf sich der Präsident mit demokratischen Gouverneuren, um ihnen noch einmal zu versichern, dass er nicht an einen Rückzug denke. Danach stellten die Gouverneure sich vor die Presse, um ihre Unterstützung für den Präsidenten zu bestätigen. „Wir haben ihn während der Coronakrise, dem wirtschaftlichen Wiederaufbau und all den anderen Herausforderungen unterstützt. Die Gouverneure stehen hinter ihm und wir arbeiten zusammen“, sagte ihr Sprecher Tim Walz.
Unterstützung trotz Kritik
Auch die Gouverneure Gretchen Whitmer (Michigan), Josh Shapiro (Pennsylvania) oder Gavin Newsom (Kalifornien), die als mögliche Ersatzkandidaten gehandelt werden, stellten sich hinter Biden. „Er ist mit vollem Einsatz dabei. Joe Biden stand hinter uns, jetzt stehen wir hinter ihm“, sagte Newsom.
Andere gewichtige demokratische Stimmen äußerten sich jedoch kritischer. Die ehemalige Sprecherin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, bezeichnete Bidens Duell-Auftritt gegenüber dem TV-Sender „MSNBC“ als eine „schlechte Nacht“ und sagte: „Ich finde es legitim zu fragen, ob das ein einmaliger Vorfall oder ein Gesundheitszustand ist.“ Auch mehrere demokratische Abgeordnete des Repräsentantenhauses forderten einen neuen Kandidaten. Wer das sein könnte, bleibt allerdings ungewiss.
Nicht nur Wähler und Parteifunktionäre sind nervös, sondern auch die großen Spender der Demokraten. Weil es in den USA keine öffentliche Parteienförderung gibt, sind Parteien auf finanzielle Unterstützung von großen Unternehmen und Organisationen angewiesen. Einer der wichtigsten Financiers der Demokraten ist Reed Hastings, Mitgründer der Streaming-Plattform Netflix. Er fällte ein klares Urteil: „Biden muss zur Seite treten, um einem dynamischen demokratischen Anführer Platz zu machen. Um Donald Trump zu schlagen und unsere Sicherheit und unseren Wohlstand zu erhalten.“ Er spricht damit zahlreichen Spendern aus der Seele, die sich bedeckt halten. Einen offenen Konflikt mit dem Partei-Establishment will man vermeiden.
Weitere Pläne
Laut „New York Times“ setzt Bidens Team voll auf die kommenden Tage. Der Unabhängigkeitstag am 4. Juli (Donnerstag) und die dazugehörigen Auftritte am Wochenende sollen bestmöglich genutzt werden. Außerdem gibt Biden am Freitag dem Fernsehsender „ABC“ ein Interview. Dort soll er zeigen, dass sein blamabler Duell-Auftritt nur ein Ausrutscher war. Weitere Fehler kann sich der 81-Jährige jedenfalls nicht mehr leisten, wenn er im Rennen bleiben will.