Vom Leben und Sterben: „Corpus Homini“ und die Kunst der Fürsorge

Verena Linder ist Hausärztin in Frastanz. Anatol Bogendorfer hat sie für seinen neuen Film „Corpus Homini“ bei ihrer Arbeit am Menschen begleitet. Die NEUE sprach mit ihr über den Film, Gott, das Leben und Sterben.
Von der Arbeit am menschlichen Leib handelt “Corpus Homini”, der neue Film des Linzer Regisseurs Anatol Bogendorfer. Entstanden ist ein “kaleidoskopisches Porträt” über Arbeiten der Fürsorge, das Einblick in das Wirken einer Hebamme aus Salzburg, Hausärztin in Frastanz, Sexarbeiterin in Wien und Bestatterpaars in Niederösterreich gewährt. Sie alle bewegen sich im Spannungsverhältnis zwischen menschliche Nähe und professioneller Distanz. Die NEUE sprach mit der in Frastanz praktizierenden Ärztin Verena Linder über den Film und seine Fragen, weit über die Leinwand hinaus.

Schwangeren, Geschlagenen und Sterbenden zur Seite stehen
Seit zehn Jahren ist Linder als Hausärztin in Frastanz tätig. Fast gleich lang, wie Regisseur Bogendorfer den Wunsch hegte, einen Film über körpernahe Tätigkeiten zu drehen. Schon als er sich am Telefon vorstellte, haben sie sich gut verstanden. Als der Kunstschaffende die Ärztin persönlich besuchte, sah er sich ihre Arbeitsabläufe wie “ein Praktikant” an. Für die Medizinerin war aber entscheidend, wie er mit der Frage der Schweigepflicht umgeht: “Was ich mit den Patienten bespreche, ist sehr intim. Verlässt es den Raum?”. Der Filmemacher hatte eine einfache Lösung parat. So wurden die Patienten vor der Praxis gefragt, ob es ihnen recht ist, gefilmt zu werden und je nach Antwort in verschiedene Räume aufgeteilt. “Bogendorfer ist wirklich sehr sensibel und vorsichtig”, zeigt sich Linder begeistert. So hat er auf dramatische Inszenierungen verzichtet und “einfach meinen Alltag dokumentiert”, schildert die Ärztin. Ein Alltag, in dem sie Schwangeren, Geschlagenen und Sterbenden zur Seite steht: “Das ist das Interessante an der Arbeit als Hausarzt.”

Sterben im Kreis der Familie
Linder lebt und praktiziert in zwei verschiedenen Orten: “Wenn ich durch den Ambergtunnel fahre, habe ich mit der Arbeit abgeschlossen, aber nicht immer.” Etwa, wenn die Ärztin Sterbende in ihren letzten Lebensmomenten begleitet. Für sie ist klar, dass es wie die Geburt zum Leben gehört. Mit dem Unweigerlichen konfrontiert, empfindet es Linder als etwas Schönes, wenn Familien zulassen, dass Sterbende im Kreise ihrer Angehörigen aus dem Leben scheiden können. Begleitend steht sie ihnen zur Seite. Klärt über die Stadien des Leidens auf. Schildert, wie lange sie noch am Leben sein werden und lindert Schmerzen: körperliche wie seelische. Auch danach legt sie großen Wert darauf, an der Totenschau teilzunehmen.

Die Dankbarkeit fehlt
Die Allgemeinmedizinerin wollte sich ursprünglich der Psychiatrie widmen. Heute ist sie froh über ihren Weg, denn das geistige Leiden kommt in ihrer Arbeit nicht zu kurz: “Wenn die Psyche nicht ausgewogen ist, verstärken sich Beschwerden.” Als Ärztin und praktizierende Katholikin ist Linder davon überzeugt, dass ein mehr an Bräuche und Riten innere Qualen lindern könnte und bemängelt deren Rückgang: “Die Dankbarkeit fehlt. Wir haben genug zu essen, Wasser aus der Leitung und die Meisten können sich das Wichtigste leisten. Die Menschen sind trotzdem unglücklich. Das macht mich traurig.” Dass es der Psyche guttut, wenn man mit Kindern vor dem Schlafengehen darüber spricht, wofür man dankbar ist oder Sterbenskranke salbt, steht für sie außer Frage.
Glaube an etwas Höheres
Eine Frage, der sie mit Faszination und Glaube nachgeht, ist die nach dem allmächtigen Gott: “Wer bitte hat den faszinierenden menschlichen Körper produziert, wenn nicht er? Da muss es etwas Größeres geben.” Der Weltkirche diagnostiziert Linder einen Mangel an Begeisterung für das Leben als etwas Schöne. “Es geht mir nicht in den Sinn, wie manche so unachtsam damit umgehen”, seufzt die eigentliche Frohnatur.
Achtsamkeit
Bekehrung kommt der Medizinerin nicht in den Sinn. Vielmehr wünscht sie sich, dass ihre Patienten achtsamer mit ihrem Körper umgehen. Etwa in dem man Rückenschmerzen mit Schwimmeinheiten kontert und auf die Ernährung achtet: “Bei allem hinterfragt man, was man tut, aber was in einem Hamburger oder einer Milchschnitte drinsteckt, ist für viele uninteressant. Ich würde mir wünschen, dass jeder einmal am Tag selber etwas mit Gemüse kocht.”

Professionelle Sensibilität
Linder konnte die Dokumentation, deren Premiere-Tour am 04. November im GUK Feldkirch startet, bereits sehen. Es freut sie zu sehen, wie alle Beteiligten mit professioneller Sensibilität ihrer Arbeit am und mit den Menschen nachgehen: „Das ist das Leben an sich und der Film hat es schön gezeigt.“ Daher hofft die Ärztin, dass er junge Menschen motivieren wird, sich der Medizin zu widmen.
Vorführungen in Vorarlberg
GUK Kino
Feldkirch
04. November, 18. Uhr
Spielboden
Dornbirn
05. November, 19:30 Uhr
15. November, 19:30 Uhr, mit Gespräch zum Thema Sexualassistenz