Kultur

„Wiedererkennbare und ausdrucksstarke Kunst“ – So gelingt Inklusion

02.02.2023 • 20:11 Uhr / 6 Minuten Lesezeit
Die Kuratorin Kathrin Dünser bei der Ausstellung "Direkt!". <span class="copyright">Miro Kuzmanovic </span>
Die Kuratorin Kathrin Dünser bei der Ausstellung "Direkt!". Miro Kuzmanovic

Der Künstler WolfGeorg ist Mitglied der Bregenzer Künstlervereinigung geworden. Im Interview spricht Kuratorin Kathrin Dünser über ein Herzensanliegen: die Art brut im Land.

Warum nennen Sie die Künstlerinnen und Künstler der Ausstellung „Direkt!“ „Außenseiter“ und „Künstler mit Unterstützungsbedarf“. Was für alternative Begriffe gibt es?
Kathrin Dünser: Seit Jahren wird darüber debattiert, welcher Sammelbegriff für nicht-akademische Kunst von Menschen mit psychischen Erkrankungen oder kognitiven Behinderungen angemessen ist. Der französische Kunstschaffende Jean Dubuffet (1901–1985) hat dieser ursprünglichen, „rohen“ Ausdrucksform den Namen „Art brut“ gegeben. Der englische Kunstwissenschaftler Roger Cardinal (1940–2019) fand hingegen „Outsider Art“ treffender. In den letzten Jahren gab es noch viele weitere Versuche, diese so ­unterschiedlichen Ansätze unter einem Begriff zu vereinen, darunter Zustandsgebundene Kunst, Individuelle oder ­Neurodiverse Kunst. Zufriedenstellend finde ich keinen. Die anhaltende Diskussion darüber führt uns vor Augen, dass wir noch einen langen Weg zur tatsächlichen Inklusion vor uns haben.

Zeichnungen von WolfGeorg. <span class="copyright">Markus Tretter</span>
Zeichnungen von WolfGeorg. Markus Tretter

Die Qualität der Art brut in Vorarlberg ist oft gleich gut, ja, vom Kunstwollen her besser als die konventionelle, akademisierte Kunst. Was können Künstler ohne Unterstützungsbedarf von dieser Ausstellung lernen?
Mit dem Titel „Direkt!“ rückt der direkte, ungefilterte künstlerische Ausdruck ins Zentrum, der nicht den Weg über den Verstand nimmt, sondern uns direkt ins Herz trifft. Kunst ohne intellektuellen Schutzpanzer, ohne akademisches Grundgerüst, ohne kunsthistorisches Vokabular. Nach dieser Natürlichkeit sehnen sich viele, daher waren es von Beginn an auch die akademischen Künstler, die sich für Art brut besonders begeistern konnten. Paul Klee interessierte sich zeitlebens für Kinderzeichnungen, Picasso für afrikanische Stammeskunst, und der Kreis um Monsignore Otto Mauer und die Galerie nächst St. Stephan pilgerte um 1970 nach Maria Gugging, wo sie sich mit den Ausdrucksformen und Werken der dort lebenden Künstler auseinandersetzten.

<span class="copyright">Markus Tretter</span>
Markus Tretter

Wie wird gesammelt? Wie oft gibt es Atelierbesuche? Wie gehen Sie mit Empfehlungen um? Was sind die Kriterien für die Qualität der Werke selbst?
Die Pandemie hat Atelierbesuche lange unmöglich gemacht. Im Moment sind es eher die finanziellen Einschränkungen, die ein stringentes Sammeln erschweren. Die Auswahlkriterien sind dieselben, wie für alle anderen Werke auch: Einzigartigkeit, Wiedererkennbarkeit, Ausdrucksstärke, ergänzt um eine unumstößliche Direktheit in der Bildsprache, die keine Rücksicht auf akademische Richtlinien oder Marktmechanismen nimmt. Die Museumssammlung ist das Gedächtnis des Landes, das muss bei Ankäufen stets mitgedacht werden. Auf der Suche nach Talenten, die im Verborgenen arbeiten, sind für uns Hinweise aus der Bevölkerung maßgebend. Ein schönes Beispiel ist eine Schenkung des Gestalters Reinhold Luger, der sich mit Freunden für einen humaneren Strafvollzug einsetzte. Im Rahmen dieser Bemühungen besuchte die Gruppe für einige Jahre die Feldkircher Justizvollzugsanstalt, um mit den dort Inhaftierten zu malen.

Weitere Arbeiten in der Ausstellung. <span class="copyright">Markus Tretter</span>
Weitere Arbeiten in der Ausstellung. Markus Tretter

Welche Rolle kommt Harald Gfader bei der Ländle-Art-brut zu?
In seinem Göfner Milk_Ressort zeigt Harald Gfader seit Jahren Art-brut-Positionen gleichwertig neben akademischer Kunst. Er ist 2015 an Andreas Rudigier, den Direktor des Vorarlberg Museums, herangetreten und hat ihn auf diese Lücke in unserer Sammlung hingewiesen. Er war somit der Impulsgeber für die Sammlungserweiterung.

Wie schätzen Sie die Bedeutung der Institutionen für Art brut im Land ein? Ich nenne Artquer (Erika Lutz), ARTeliers (Doris Fäßler, Christine Lingg), Lebenshilfe und Caritas.
Die Institutionen leisten einen wichtigen Beitrag, denn nicht alle Familien von Künstlern mit Unterstützungsbedarf können deren Begabungen erkennen oder haben die Ressourcen, die Talente angemessen zu fördern. Leider sind die Förderungen in diesem Bereich so knapp bemessen, dass es vom (oft unbezahlten) Engagement der Betreuer abhängt, ob die künstlerische Entwicklung gefördert und darüber hinaus die Werke auch auf dem Kunstmarkt vermittelt werden. Zwei Stunden kreatives Arbeiten machen noch keinen großen Künstler, ebenso wenig reicht es, dass die Werke existieren. Hier bedarf es einer besseren Vernetzung mit Institutionen und Galerien und eines Schulterschlusses der verschiedenen Abteilungen, die diese Projekte finanziell unterstützen. Bei der Suche nach weiteren Fördereinrichtungen sind wir auf die Mithilfe der Bevölkerung angewiesen. Die Ausstellung „Direkt!“ zeigt unsere bisherigen Ankäufe und Schenkungen, macht aber auch auf die Lücken aufmerksam und lädt so zur Vernetzung ein.

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Markus Tretter

Wie lässt sich die Art brut im Ländle mit Kunst z.B. der international wahrgenommenen Künstler von Gugging vergleichen?
Die Künstler in Gugging, um in Österreich zu bleiben, haben ein eigenes Haus, wo sie regelmäßig arbeiten können. Im zugehörigen Museum samt Galerie finden Ausstellungen statt, die von professionellen Publikationen begleitet werden. Ein anderes Beispiel ist das von Florian Reese ins Leben gerufene und von der Caritas finanzierte Atelier 10 in der Ankerbrotfabrik in Wien. Es bietet Künstlern mit Unterstützungsbedarf neben lichtdurchfluteten Arbeitsräumen eine Galerie sowie die professionelle Verortung in der zeitgenössischen Kunstszene mit Ausstellungen und Messebeteiligungen. Diese professionellen Rahmenbedingungen müssen wir in Vorarl­berg noch entwickeln. Am Beispiel des Vorarlberger Zeichners und Objektkünstlers WolfGeorg sehen wir, was alles möglich ist, wenn das Talent erkannt und intensiv gefördert wird!

Ausstellung „Direkt!“: Bis 11. Juni.

Wolfgang Ölz

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