„Kein Wort mehr zu meinem Leben“

Vergangenen Samstag war die Uraufführung von „Wunsch und Widerstand“ im Vorarlberger Landestheater zu sehen.
Das Stück von Thomas Arzt erkundet die Überlebensgeschichte vom in Feldkirch geborenen Max Riccabona, dessen Biografie vom Nationalsozialismus stark gezeichnet war. Aufgrund der Nürnberger Gesetze wird Max Riccabona zum „jüdischen Mischling“ erklärt und 1942 ins KZ Dachau gebracht, wo er dem Lagerarzt Dr. Rascher bei seinen grausamen Menschenexperimenten assistieren musste.
Doppelter Riccabona
Regisseur Stefan Otteni betrachtet die Familiengeschichte der Riccabonas und die gesellschaftspolitischen Entwicklungen in Teilen und aus der Distanz heraus ohne Anspruch auf Wahrheit oder Vollständigkeit. Die Figur des Max Riccabonas gibt es doppelt auf der Bühne, er sitzt an der Bar, trinkt und erzählt dem Barkeeper aus seinem Leben, das auf der Hauptbühne in Fragmenten an ihnen vorbeizieht. Vorstellungen vermischen sich mit der Wirklichkeit, die der gealterte Max Riccabona lieber für sich behält, hat er doch keine Worte, um das Grauen zu beschreiben. Er wünscht sich lieber die schönen und leichten Dinge herbei, die Liebe fliegt als Allegorie herein und im Wunschtraum wird er zum Piraten auf der Suche nach der Zeit.
Als Rechtsanwalt schimpft und verflucht Max den Richter, der sich auf dem absurd hohen, mit schwarzen Ordnern gefüllten Regal vor ihm auftürmt. Im Plädoyer über die Geschichtsvergessenheit wird der Richter zum Nazi, Wasser wird raufgeschüttet, Wasser wird runtergeschüttet und die Verhandlung endet im Rauswurf Riccabonas, der durch seine psychischen Dauerfolgen der KZ-Haft seine Zulassung verliert. Frauen spielen Männer und Männer spielen Frauen. Schwarz gekleidete Feldkircher Bürgerinnen singen Heimatlieder und verkörpern den gewachsenen Patriotismus und Antisemitismus in der Zeit vor 1938. Immer wieder geraten die Erinnerungen durcheinander oder verschwimmen, das subjektive Erleben der Figuren kommt zum Vorschein. „Ist das jetzt deine Erinnerung oder meine?“

Nicht fertigerzählt
Ottenis Inszenierung beruht auf der Textvorlage des oberösterreichischen Schriftstellers Thomas Arzt, der umfangreiche Recherchen zur Biografie von Max Riccabona anstellte. Das Stück beleuchtet hauptsächlich die Geschehnisse aus den Jahren von 1935 bis 1945, neben Riccabonas Zeit bei der Wehrmacht und der Gefangenschaft im Konzentrationslager wird der Fokus auf die Zusammenhänge der Familien Perlhefter und Riccabona gelegt.
Szenen wechseln schnell, manches nur angerissen, Sätze werden nicht zu Ende gesprochen, genauso wie die Geschichte der Riccabonas nicht zu Ende erzählt wird. Fragen bleiben offen, die vielschichtige Biografie splittet sich auf in Fragmente einzelner Tage. Es geht nicht um Antworten, nicht um eine Person, die akkurat ihre Erfahrungsberichte für die Nachwelt bereithält, sondern um die Schwierigkeit der Erinnerung selbst.
Riccabona wird in mehrere Identitäten zerlegt, die er sich alle nicht ausgesucht hätte, aber dennoch ertragen muss. Mit dem als Barkeeper getarnten Therapeuten redet er über „die dumme Vorstellung der Wahlfreiheit seiner Identität“.
Rückblenden
Fast durchgehend stehen der ältere und der jüngere Max Riccabona gemeinsam auf der Bühne, einer der sich erinnert und einer, der erinnert wird. Der alte Max schaut dem jungen zu, wie der auf der Feier zu Ehren seines Vaters mit dem Puppentheater versucht, die Verhältnisse der Firmengeschichte aufzudecken. Auch der Vater spielt mit, bis das Spiel in Handgreiflichkeiten endet. Der alte Max beobachtet, wie sich die Eltern Anna Perlhefter und Gottfried Riccabona kennenlernen und wie er selbst 1915 in den Krieg hineingeboren wird. Später erfindet Gottfried mit dem Puppentheater seiner als jüdisch geltenden Frau eine neue Abstammung.
Max erinnert sich, wie der Feldkircher NS-Bürgermeister Erwin Hefel 1938 in seiner Rede über Erlösung und Befreiung spricht, während hinter ihm die Sonne bedrohlich blendend aufsteigt. Er spricht über sich, als den „zärtlichen Sohn“ vor dem Krieg, der seine Zukunft im Exil sah, aber für die Mutter geblieben ist. Genauso sitzt der alte Max gleich daneben und beobachtet, wie der junge Max nach der Gefangenschaft zu den Eltern zurückkehrt.
Mehrmals wird seine Zeit im Konzentrationslager umkreist, aber immer wieder abgeblockt, bis Riccabona schließlich zusammenbricht. Der eiserne Vorhang fällt und aus Riccabonas Unterbewusstsein dringen die schlimmen und schrecklichen Momente durch. Im Transport nach Dachau spricht er mit James Joyce über die große Angst. In der Dunkelheit kommen die Erinnerungen an den Lagerarzt Sigmund Rascher schematisch zum Vorschein.
Dietmar Pröll spielt den unmittelbaren und ruhelosen älteren Max in seinem Schmerz und seiner Zerrissenheit. In der Frage nach seiner Identität verliert er sich in Träumereien. In seiner Piratenversion sitzt er im Puppentheater und schwenkt die Totenflagge, bis seine fürsorgliche und helfende Schwester Dora (Maria Lisa Huber) sie ihm entreißt. Luzian Hirzel spielt den jungen Max als Student, Soldat und Häftling. Maria Lisa Huber, Nurettin Kalfa, Julian Sark und Silke Buchholz wechseln hervorragend in den vielen Rollen, vom Bürgermeister zum Barkeeper, vom Richter zum Lagerarzt oder vom Onkel zur Pflegerin.
www.landestheater.org