Kultur

Trojanows Zeitreise mit “Open End“

29.11.2023 • 23:00 Uhr
Trojanow
Trojanow

Interview. Autor Ilja Trojanow spricht über die Utopie in seinem neuen Roman, mit dem er am Wochenende bei den Montforter Zwischentönen in einer musikalisch-literarischen Performance aus dem üblichen Zeitempfinden ausbricht.

Die Montforter Zwischentöne haben ursprünglich eine 24-Stunden-Performance mit Ihrem neuen Buch „Tausend und ein Morgen“ angekündigt. Jetzt wird die Roman-Performance doch in zwei Blöcken stattfinden…
Ilija Trojanow: 24 Stunden ist ja nur so ein Schlagwort. Es geht nicht darum, dass es 24 Stunden sind, sondern es geht darum, dass der gesamte Roman gelesen wird und mit Musik in Verbindung gebracht wird, weil es ein utopischer Roman ist und weil zur Utopie auch gehört, die üblichen Zeitvorgaben zu sprengen. Das heißt, auch mal in einen anderen Fluss hineinzukommen und ein anderes Zeitempfinden zu erleben.

Wie bereiten Sie sich auf sowas vor?
Trojanow: Wir sind mit den Musikern zusammen den ganzen Roman durchgegangen. Das Ganze ist wie eine Komposition. Bis in die Mikrostruktur des Textes. Wir haben Leitmotive entwickelt. Es ist ein erstaunliches musikalisches Panorama von Barockmusik bis hin zu russischer Musik von Anfang des 20. Jahrhunderts, Jazz, karibische und indische Töne, Balkanrhythmen, aber auch Toneffekten. Also es ist die ganze Bandbreite musikalischer ­Ausdrucksformen, um den Roman auf einer akustischen Ebene nochmal anders abzubilden und natürlich auch um spannende Wechselwirkungen zwischen Text und Musik zu entwickeln.

Also der Roman spielt in der Zukunft?
Trojanow: In der Zukunft und in der Vergangenheit. Der Roman spielt in einer besseren Welt in der Zukunft, aus der Menschen zurückreisen in Epochen, die wir kennen, zu den Piraten, nach Indien, zur russischen Revolution …

Warum reisen die Figuren dahin? Was ist das Ziel?
Trojanow: Weil sie den Menschen aus früheren Generationen helfen wollen, ihren Zustand und ihre Lebensumstände zu verbessern. Weil sie ihnen helfen wollen, das zu verwirklichen, was sie in der Geschichte versäumt haben.

Also ändern sie die Vergangenheit und die Zukunft?
Trojanow: Es gibt multiple Universen. Die theoretische Physik geht ja im Moment davon aus, dass es möglicherweise eine Vielzahl von Paralleluniversen gibt. Und so ist es auch bei mir im Roman. Es ist natürlich ein Gedankenexperiment, das sollte man nicht zu ernst nehmen. Ich schlage nicht vor, dass die Leute in Feldkirch in die Vergan­genheit reisen und diese verändern.

Was können Sie noch vom Roman verraten?
Trojanow: Entscheidend wichtig vielleicht, dass die Menschen eine seltene Gelegenheit haben, in einen musikalisch-literarischen Tag hineinzusteigen und nach Belieben wieder hinauszusteigen. Das finde ich sehr schön. Das Publikum kann kommen und gehen, wann es will. Man kann das einfach mal ausprobieren. Man kann länger bleiben. Man kann gehen. Man kann wieder kommen. Das finde ich das Charmante daran. Es ist ja ein ungewöhnliches Angebot, anders mit einer Lesung und einem Konzert umzugehen, als es üblich ist und zu schauen, wie man selber darauf reagiert. Manche Leute werden süchtig und bleiben die ganze Zeit.

Also geht es nicht darum die Geschichte von Anfang zum Ende zu hören?
Trojanow: Es gibt keine Vorgaben. Es ist einfach ein Angebot jenseits der üblichen Zeitnormierungen mit Open End. Die Leute können es gestalten, wie sie möchten. Weil der Roman sehr viele in sich abgeschlossene Szenen hat und die Wechselwirkung mit der Musik sehr dramatisch ist, ist es eigentlich egal, wann sie kommen.

Eignet sich der Roman „Tausend und ein Morgen“ durch diese abgeschlossenen Szenen also besonders gut für dieses Format?
Trojanow: Es gibt Romane, die aus einer einzigen Erzählung bestehen, und es gibt Episoden-Romane – das ist so einer – mit vielen unterschiedlichen Szenen. Also man kann sehr gut fast zu jeder Zeit einsteigen und wird sich bald einhören.

Was war Ihnen da beim Schreiben wichtig?
Trojanow: Die Motivation war, etwas Positives zu schreiben – voller Zuversicht – weil wir im Moment in Zeiten leben, in denen ständig Weltuntergänge beschworen werden. Ich wollte einen Roman schreiben, der sich mal damit beschäftigt, wozu wir in der Lage wären mit dem Potenzial des Menschen, etwas Besseres aufzubauen.

Also ein Gegenentwurf zu den ganzen Dystopien?
Trojanow: Genau.

Wie haben Sie die Zusammenarbeit mit den Musikern erlebt?
Trojanow: Grandios, weil man spürt, dass Musik etwas Magisches hat. Sie hebt einen auf, trägt einen durch die Nacht. Oder durch den Tag. Musik hat besondere Fähigkeiten. Ohne Musik, glaube ich, ginge das nicht. Die Musiker – drei Geschwister – sind zudem sehr dynamisch und haben ein dramatisches Talent. Das macht Riesenspaß.

montforterzwischentoene.at