Kultur

„Ich wurde immer mehr ein politischer Mensch“

06.04.2024 • 23:00 Uhr
„Ich wurde immer mehr ein politischer Mensch“
Die Regisseurin Barbara Herold lebt seit 25 Jahren in Vorarlberg. Klaus Hartinger

Über 30 Jahre lang hat Barbara Herold als freischaffende Regisseurin gearbeitet, in den vergangenen 15 Jahren mit ihrer eigenen Gruppe dieheroldfliri. Nun verabschiedet sie sich vom Theater.

Sie haben mit dieheroldfliri vor 15 Jahren gemeinsam mit der Schauspielerin Maria Fliri Ihr eigenes Theater gegründet. Warum eigentlich?
Barbara Herold:
Es gab einen konkreten Anlass: die Geschichte der Soldatin Lynndie England im Irakkrieg, die 2004 zur Ikone des bösen Amerika geworden ist. Damals tauchten die Fotos auf, wo sie auf gefolterte irakische Häftlinge in Abu Ghuraib zeigt.

Was hat Sie daran interessiert?
Herold: Wie das medial ausgeschlachtet wurde, wie ihr Prozess verlaufen ist. Wieso eine junge Frau, die von einem männlich dominierten militärischen System dorthin geschickt wird und dort von ihrem Freund, einem älteren Soldaten, sexuell genötigt wird, plötzlich zur Täterin wird. Das war damals der Auslöser, dass ich begonnen habe, zum ersten Mal zu schreiben. Nachdem ich ein paar Seiten hatte, haben sowohl Maria als auch mein Mann Harald gesagt, das ist gut, mach’ da weiter.

Covergirl
Maria Fliri in “Covergirl”. Franz Nagel

Und das haben Sie gemacht …
Herold: Ja, damit habe ich 2004/2005 nebenher begonnen. Es hat dann eine Zeit lang gedauert, weil immer wieder neue Enthüllungen kamen. 2008/2009 war der Text fertig, und wir haben das Stück mit dem Titel „Covergirl“ produziert. Das war erst einmal ein Versuch. „Covergirl“ wurde übrigens an einigen Theatern nachgespielt, worauf ich schon stolz bin.

Wieso ging es dann weiter?
Herold: Wir haben sehr viele Vorstellungen von „Covergirl“ gespielt, 48, glaube ich. Wir waren auf vielen Festivals und haben einen Preis gewonnen. Das hat uns ermutigt, diese Zusammenarbeit fortzusetzen.

„Ich wurde immer mehr ein politischer Mensch“

Es sind in der Folge einige Stücke entstanden, bei denen der inhaltliche Fokus wieder auf Frauen lag. Kommen die im Theater zu wenig vor?
Herold:
Es ist besser geworden. Aber es gibt natürlich eine lange Tradition mit vielen männerlastigen Stücken und Ensembles. Inzwischen hat sich einiges getan, es gibt mehr Dramatikerinnen. Auf den Bühnen ist sichtbar, dass mehr Frauen beteiligt sind. Wir sind allerdings noch nicht da, wo wir sein sollten. Aber es gab noch einen Grund für eigene Stücke.

Zur Person

Barbara Herold
Geboren 1962 in München. Abitur, (abgebrochenes) Studium der Theaterwissenschaft. Ab 1986 Regieassistentin an der Badischen Landesbühne, 1989 erste eigene Regie. Seit 1991 freischaffende Regisseurin. Seit 1999 in Vorarlberg. 2008/09 Gründung der freien Theatergruppe dieheroldfliri und erste Produktion „Covergirl“. Verheiratet mit Harald Petermichl, lebt in Bregenz.

Welchen?
Herold: Es gab wenige Stücke, oder zumindest wurden sie mir nicht angetragen, die aktuelle Themen behandelt haben, von Menschen, die im Fokus der Öffentlichkeit sind wie Lynndie England. Unser Stück „Von Hollywood nach Uganda“ war etwa die Geschichte einer Glamour-Journalistin, die plötzlich politisch aktiv werden möchte und daher nach Afrika reist und dort über Kindersoldaten recherchiert. Derartiges gab es selten, und ich hatte das Gefühl, das ist eine Arbeit, die mir liegt und die ich tun will und muss. Ein politisches Statement zu hinterlassen, gewann an Bedeutung.

Warum war Ihnen das wichtig?
Herold: Maria Fliri und mir ging es darum, etwas zu schaffen, mit dem sich die Menschen beschäftigen, das sie bewegen sollte – aber immer mit Witz und Humor, manchmal mit etwas merkwürdigem Humor.

WG: VON HOLLYWOOD NACH UGANDA am 8.7. beim poolbar-Festival
Szene aus der Produktion “Von Hollywood nach Uganda”. Mark Mosman

Muss Theater einen gesellschaftspolitischen Inhalt haben?
Herold: Muss es nicht, für mich aber schon. Es gibt natürlich viele andere Möglichkeiten. Ich bin da völlig undogmatisch. Ich habe aber gespürt, dass es das Theater ist, das ich machen möchte. Ich wurde auch immer mehr ein politischer Mensch, immer mehr Feministin. Was den Feminismus betrifft, war ich eher eine Spätzünderin.

Inwiefern?
Herold: Als Berufsanfängerin mit Mitte 20 bis Ende 30 dachte ich, jetzt habe ich meinen Traumberuf, ich kann Regie führen, und mir werden keine Steine in den Weg gelegt, was natürlich nicht stimmte. Ich habe erst allmählich gemerkt, wie das ererbte Rollenbild mich prägt, dass ich strukturelle Benachteiligungen gar nicht wahrnehme. Daraus entstand das Begehren und auch die Wut, gewisse Themen zu bearbeiten. Das andere ist, dass ich das Gefühl habe, wenn ich in der freien Szene öffentliche Gelder beantrage, dann muss das einen Sinn für die Gesellschaft haben. Auch daher widmen wir uns politischen Themen.

„Ich wurde immer mehr ein politischer Mensch“
Barbara Herold 2004 bei einer Regie am Landestheater. Neue-Archiv

Was kann Theater in einer multimedialen Zeit eigentlich noch?
Herold: Echt sein, authentisch sein, sinnlich, Gefühle vermitteln …

Kann man Menschen heute noch mit Theater erreichen?
Herold: Diese Frage stellt sich immer wieder. Aber das Theater erfindet sich seit Jahrhunderten neu. Ich habe derzeit das Gefühl, dass es den Theatern wieder besser geht. Die große Krise war zu Corona-Zeiten, als das Publikum weggeblieben ist. Gerade im Kontrast zum Multimedialen ist es aber wesentlich, dass jeden Abend echte Menschen auf der Bühne stehen. Ich glaube schon, dass das Menschen erreicht. Deswegen ist Theater wichtig, und es gibt ja immer wieder neue Ansätze und Formen.

Das rote vom Ei_HeroldFliri
Szene aus der letzten Produktion “Das Rote vom Ei”. Mark Mosman

Sie arbeiten seit 1991 als freischaffende Regisseurin. Hat sich das Theaterpublikum in diesen über 30 Jahren geändert?
Herold: Unser letztes Stück, „Das Rote vom Ei“ (darin geht es um Abtreibung, Anm.), ist für mich extrem aktuell – auch durch die Vorarlberger Situation im Herbst. Dennoch waren wir in Feldkirch nicht so gut besucht wie bei vorhergehenden Produktionen. Ich hatte das Gefühl, dass einiges an üblichem Theaterpublikum nicht erschienen ist. Diese Fragen, warum kommt das Publikum, warum kommt das Publikum nicht, stellen sich allerdings schon immer.

Gibt es Antworten darauf?
Herold: Was es nicht mehr so gibt, ist das sogenannte Bildungsbürgertum, das ein Abo hat, selbstverständlich kommt und dann mal zufrieden ist oder mal weniger. Ich glaube, das Publikum wählt bewusster aus, was es sehen möchte, und reagiert spontaner.

aktionstheater premiere
Barbara Herold mit Ehemann Harald Petermichl. Neue-Archiv

Wie kann man junge Menschen für Theater interessieren?
Herold: Schwere Frage. Wobei manchmal doch einiges junges Publikum im Theater sitzt. Aber das Bedürfnis, das Publikum zu verjüngen, ist ein Dauerthema.

Sie übergeben nun die Leitung von dieheroldfliri an Maria Fliri. Warum?
Herold: Weil ich, obwohl ich Kunstschaffende bin, in der privilegierten Situation bin, in Pension gehen zu können. Es hat einmal damit zu tun, dass ich überzeugt bin, dass es im Leben eines Menschen eine wichtige Phase ist, wenn das Arbeitsleben endet, und man sich eine gute Zeit machen soll, bevor einen Krankheit oder Schicksalsschläge ereilen. Zum anderen merke ich, dass mich die ganze Produktionsarbeit rund um die Stücke mehr erschöpft und mir auch weniger Freude macht. Anfangs hatte diese Arbeit auch ihren Reiz. Jetzt spüre ich, dass sie mehr zur Last wird.

WG: Fotos groß
Barbara Herold (ganz links) 2016 mit dem Spielbodenchor. Neue-Archiv

Ist das ein endgültiger Abschied vom Theater?
Herold: Ja. Ich werde den Spielboden-Chor, der sozusagen gesamt in Pension geht, bei seinem Abschlusskonzert im Oktober arrangementmäßig noch betreuen. Im Moment habe ich vor, danach auf alle Fälle aufzuhören. Doch es gibt noch einen dritten Grund.

Welchen?
Herold: Ich bin auserzählt. Ich habe diese Arbeit immer gemacht, weil ich sie tun musste. Weil der große, innere Antrieb war, ich muss das erzählen, ich habe etwas zu sagen. Wenn man aber das Gefühl hat, jetzt muss ich darum ringen, etwas zu finden, was ich zu sagen habe, dann sollte man das vielleicht nicht mehr tun. Ich möchte nicht irgendwann so weit sein, dass die Menschen nicht mehr sehen wollen, was ich zu sagen habe. Da trete ich lieber rechtzeitig ab.