Kultur

“Kunstproduktion ist die gewaltigste überflüssige Anstrengung des Menschen” – Daniel Spoerri

08.11.2024 • 18:07 Uhr
Atelier Besuch bei der Künstlerin Christine Lederer in ihrem Atelier
Lederer mit Glasobjekten aus der Serie „Candy Dreams“.Serra

Die NEUE sprach mit Christine Lederer über ihren Werdegang und den Willen, trotz allem Kunst zu machen.

“Mein Atelier ist mein Safe-Space. Dort lasse ich mich mit meinen Gedanken nieder, um sie zu sortieren, zu verarbeiten. Es ist Produktionsstätte, Lager und Existenzsicherung zugleich”, so beschreibt Christine Lederer den Charakter ihres Schaffensortes. Er ist Teil der Büro- und Ateliergemeinschaft Sturnengasse 26 in Bludenz, in der neben ihr unter anderem die Fotografin Christa Engstler und die Künstlerin Dorothea Rosenstock wirken.

Atelier Besuch bei der Künstlerin Christine Lederer in ihrem Atelier
Serra

Wo einst Späne fielen

Früher befand sich im umfunktionierten Wohnhaus eine Tischlerei. Stahlträger an der Decke zeugen davon. Doch Späne fallen hier keine mehr. Lederer selbst hat ihr Atelier in verschiedene Arbeitsstätten aufgeteilt. Wie provisorische Wände, nur viel nützlicher, trennen Regale den Raum. Sie sind zum Bersten voll mit Büchern, früheren Werken und doch ordentlich. Sammelbänden mit Gesetzestexten aus den 70er Jahren, bunte Vulven aus Glas und eine umfassende Sammlung von Malinstrumenten geben Einblick in das Werden und Walten der Bludenzerin.

Atelier Besuch bei der Künstlerin Christine Lederer in ihrem Atelier
Serra

Die Kunst dem Kapitalismus verweigern

Die heimelige Stimmung täuscht eine Leichtigkeit vor, von der Lederer nur träumen kann. “Da ich meine Kunst dem Kapitalismus in unserer Region verweigere, sprich kein Geld damit verdiene, muss ich mir die Zeit des Kunstschaffens herausschälen und sie quer finanzieren”, gesteht die alleinerziehende Mutter.

Atelier Besuch bei der Künstlerin Christine Lederer in ihrem Atelier
Serra

Vom Handwerk zur Kunst

Möglich ist das, da Lederer dem Rat ihres Lokführer-Vaters folgte und nach dem Abschluss der HLW Rankweil einen Brotberuf lernte. An der Fachhochschule Augsburg studierte sie von 1999 bis 2004 Kommunikations-Design. Dort lernte die Künstlerin das grafische Handwerk, mit dem die Leben und Kunst finanziert. Gleichzeitig öffnete es der gebürtigen Innerbrazerin den Weg zur Akademie der Bildenden Künste in München. Denn als ein Professor Lederers Diplomarbeit sah, legte er ihr nahe, sich damit an dieser zu bewerben.

Atelier Besuch bei der Künstlerin Christine Lederer in ihrem Atelier
Werk mit Werkzeug im Wirkraum. Serra

Dort studierte sie von 2005 bis 2012 Bildhauerei in der Klasse von Olaf Metzel. 2007 wurde die Studentin Mutter und zog zurück nach Vorarlberg. Erst ein Jahr später begab sie sich pendelnd zurück ins Studium, das die Bildhauerin mit Auszeichnung abschloss.

Atelier Besuch bei der Künstlerin Christine Lederer in ihrem Atelier
Serra

Vom Druck der Existenzsicherung, Hausarbeit und Kindererziehung

In der Gegenwart verdient sich Lederer ihr tägliches Brot als selbstständige Grafikdesignerin. Ihr Alltag ist geprägt vom Druck der Existenzsicherung, Hausarbeit und Kindererziehung. “Inspirationen begegnen mir zwischen den Zeilen des Alltags. Sie fallen mir aber nur zu, wenn ich genügend Platz für meine Gedanken lasse. In der Kunst soll ich leicht und kreativ sein, aber das Leben ist anders. Ich nehme es mit Humor, arbeite hart und klammere mich an meine Vision”, gesteht die Unbeugsame. Mit Nachdruck verweist Lederer auf die Worte des kürzlich verstorbenen Künstlers Daniel Spoerri, die das “nicht anders können” fassen: “Der Sprung eines Wales aus dem Wasser ist die gewaltigste Muskelanstrengung im Tierreich; und man weiß bis heute nicht, warum er es tut. Vielleicht will er fliegen?! Kunstproduktion ist die gewaltigste überflüssige Anstrengung des Menschen. Und warum er es tut, weiß man auch nicht genau. Vielleicht will er aus der Haut fahren!”

Atelier Besuch bei der Künstlerin Christine Lederer in ihrem Atelier
Das Werk ist eine Anlehnung an das Gemälde “Der Ursprung der Welt” von Gustave Courbet. Serra

Hart und vulnerabel

Die Glasobjekte der Serie “Candy Dreams” spiegeln diesen spielerischen Ernst wider. Angelehnt an Geschlechtsorgane, zeigen sie unter anderem ein Phallussymbol oder ein großes Herz, bei dem es sich auch um ein Gesäß handeln könnte. “Sie sind den Gedanken entsprungen, wie wir Körperteile zuordnen, welchen Bedeutungen wir ihnen geben und welchen Zuschreibungen sie ausgesetzt sind. Es geht um das Perfekte in der Abbildung eines Körpers und um das Imperfekte”, berichtet die Feministin. Glas verleiht diesem Widerspruch zwischen Zeichen und Bezeichnetem Ausdruck: “Es ist trotz der Härte des Materials zerbrechlich und vulnerabel.”