Kultur

Überbordende Spielfreude und pulsierende Energie

24.03.2025 • 13:16 Uhr
Meisterkonzert Stuttgarter Kammerorchester
Das Stuttgarter Kammerorchester mit Dirigentin Nil Venditti.Mittelberger

Beim Bregenzer Meisterkonzert am vergangenen Samstag durfte das Publikum unter der Stabführung der türkisch-italienischen Dirigentin Nil Venditti ein ganz außergewöhnliches Konzert erleben. Auch das hochmotivierte Stuttgarter Kammerorchester und die Paganini-Preisträgerin Sayaka Shoji machten den Abend zum unvergesslichen Erlebnis.

Das Stuttgarter Kammerorchester, das stehend musizierte und statt der sperrigen Notenpulte nur kleine iPads verwendete, begrüßte seine Dirigentin herzlich. Die war ganz unprätentiös, aber durchaus entschieden hereingeschritten und hatte das Publikum mit einem gewinnenden „buonasera, Bregenz!“ willkommen geheißen. Mit sprudelnder Eloquenz hatte sie das erste Stück rasch selbst erklärt, hatte sich dann umgewandt und den Aviso zu einem wahren musikalischen Klangfeuerwerk gegeben. „Was für ein Temperament!“, dachte sich das staunende Publikum!

Farbige Impressionen

Fazil Says Chamber Symphony für Streicher aus dem Jahr 2015 ist einfach ein gutes Stück. In einem ersten Abschnitt voller glutvoll-geschmeidiger Arabesken entwickelte der bekannte türkische Pianist und Komponist ein Klangstück von der süßen Schwere eines Rosenparfums. Die pulsierenden Figuren im 7/8-Takt machten dem akkurat musizierenden Orchester sichtlich Spaß und wurden von der Dirigentin mit tänzerischen Bewegungen noch unterstrichen. Darauf folgte eine märchenhaft verträumte Passage, wo man denken mochte, der vom Mondlicht beschienene Palast des Sultans begänne matt-silbern zu glitzern. Den dritten Abschnitt hatte Fazil Say dem alten Istanbuler Stadtviertel Sulukule gewidmet, das einstmals von Roma bewohnt war und wo lebhafteste Szenen samt Streitereien auf dem Basar charmant in Musik abgebildet waren. Das leidenschaftliche Dirigat der jungen Dirigentin, die Spielfreude des bestens eingespielten Orchesters und die bildhaft sprechende Musik, all dies entlockte dem faszinierten Publikum einen ersten großen jubelnden Beifall.

Meisterkonzert Stuttgarter Kammerorchester
Mittelberger

Mendelssohn zuerst

Nun wäre eigentlich Mozart auf dem Programm gestanden. Weil aber die Solistin just nicht auffindbar war – seltsam, aber auch das soll vorkommen – entschied man sich, Mendelssohns zehnte Streicher-Sinfonie in h-Moll jetzt, schon vor der Pause, zu spielen. Mit sehr inspiriertem Tempi und entschiedenem Gestaltungswillen gelang es Nil Venditti auch hier, der zarten Musik eine prägnante Gestalt zu verleihen. Feine Klangkultur und schön ausgesungene Melodiebögen ließen einen wunderbar großen Spannungsfaden entstehen und der Blick auf kleine, aber feine Details, die aus dem Schlagschatten der lichtdurchfluteten Melodiebögen heraustraten, machten aus dem Stück des gerade einmal vierzehnjährigen Komponisten zu einem wahren Blumenstrauß an Ideen. „Ein Feuergeist wie Mendelssohn selber!“ – mochte man sich über Nil Venditti denken, und: „sie wagt alles …und gewinnt!“

Ein langsames Zusammenfinden

Nun war das Violinkonzert Nr. 5 in A-Dur KV 219 von W. A. Mozart angesetzt. Sayaka Shoji, Wunderkind aus Japan, Paganini-Preisträgerin und mittlerweile international gefragte Solistin betrat – wegen ihrer Verspätung etwas unsicher – den Saal und musste sich im wahrsten Sinne erst „akklimatisieren,“ denn mit einem derart inspirierten Orchester und einer derart dynamischen Dirigentin schien sie nicht gerechnet zu haben. Und so war fast der halbe erste Satz ganz aufseiten ihrer Partner, bis sie dann – bei der ersten Kadenz – „richtig anzukommen vermochte“ und auf ihrer Stradivari mit bestechend schönem Ton und feinem Gestaltungswillen das Publikum in ihren Bann schlug. Den melodischen zweiten Satz gestaltete sie klangschön und im Menuett und besonders im Schluss-Satz konnte auch sie ihr Temperament zeigen. Als Zugabe beschenkte sie das Publikum mit Variationen über „nel cor più non mi sento“ von Niccolo Paganini und entlockte damit das nächste begeisterte „Bravo!“ des Abends.

Meisterkonzert Stuttgarter Kammerorchester
Violinistin Sayaka Shoji und Dirigentin Nil Venditti (r.).Mittelberger

Ein letzter Höhepunkt

Mit dem Divertimento für Streichorchester von Béla Bartok erreichte dieser beglückende Konzertabend einen neuen Höhepunkt. Diese tänzerische Musik, die viel exotisches Flair verströmt, war so richtig nach Nil Vendittis Geschmack. Viele heikle Tempoübergänge, schroffen Gegensätze zwischen piano und forte, Taktwechsel, all diese dirigentischen Herausforderungen traf bei ihr auf unbändigen Gestaltungswillen und mit ihrem fordernden und entschiedenen Dirigat wagte sie viel und gewann alles: eine durch und durch überzeugend interpretierte Musik und dadurch das Ohr und das Herz einer faszinierten Hörerschaft. Im zweiten Satz verlangte sie ein derart „unerhörtes“ pianissimo, dass man die sprichwörtliche Stecknadel hätte fallen hören können und im dritten Satz gab sie der überbordenden Spielfreude und der pulsierenden Energie der Musik freien Lauf. Nichts schien schwierig, nichts schien dem ungemein lustvollen Musizieren im Weg zu stehen. Mit dem letzten Taktschlag drehte sich die Dirigentin im Abschlag zum Publikum, öffnete die Arme und konnte Körbe voller Ovationen ernten. Erfrischt, fasziniert und inspiriert strömte das Publikum in die klare Frühlingsnacht. „Buona notte, Bregenz!“

Thomas Thurnher