„Eine Bühne für die Vielfalt der Kulturen“

Interview. Yener Polat, Gründer und Obmann des Interkulturellen Vereins Motif, über 20 Jahre engagiertes Laientheater.
Der interkulturelle Verein Motif feiert dieses Wochenende sein 20-jähriges Bestehen im Bregenzer Theater Kosmos. Auf dem Programm steht die Premiere des neuen Stücks „Hirtensalat und Torte“.
Wie kam es zur Gründung des Theatervereins?
Yener Polat: Schon in der Türkei war ich ein leidenschaftlicher Theaterfreund, habe viele Stücke gesehen und selbst an der Universität Theater gespielt. Als ich 1988 nach Österreich kam, besuchte ich gleich in der ersten Woche mit meiner Frau eine Aufführung an der Kulturbühne Ambach in Götzis. Obwohl sich mein Deutsch auf „Ich liebe dich“ beschränkte, habe ich das Stück sehr genossen. 2001 offenbarte ich der bedeutenden türkischen Schauspielerin Yıldız Kenter meinen Wunsch, ein Theater aufzubauen. Auf ihre Frage, wie ich mir das vorstelle, gab ich die Antwort: Ich werde kleine Holzer sammeln. Sie müssen nur angezündet werden, damit ein Feuer entsteht. Dann wird dieses Theater nie ausgehen.

Wie kam es zum metaphorischen Funkenflug?
Polat: 2003 gab sie ein ausverkauftes Gastspiel im Landestheater. Es war genial und hat viele Tore geöffnet. Ich habe dann immer wieder Schauspieler für Aufführungen und Workshops eingeladen. Etwa 2005 mit Ali Poyrazoğlu, wodurch sich die Gruppe gebildet hat.
Was war eure erste Aufführung und wie ging es euch dabei?
Polat: In unserem Gründungsjahr spielten wir mit Martin Grubers aktionstheater ensemle „Schlachtfest“, viermal in Bregenz, viermal in Wien. Unsere größte Schwierigkeit war sicher, dass davor fast niemand von uns Bühnenerfahrung hatte und für viele unklar war, was auf sie zukommt.

Wie wurde das Theater Motif in Vorarlberg aufgenommen?
Polat: Ein Beamter meinte damals noch, wir Türken seien zum Arbeiten in Österreich, nicht um Theater zu spielen. Unsere Anträge auf Förderung, etwa für Kinder- und Jugendprojekte, blieben oft unbeantwortet. Dass es aufwärtsging, verdanken wir Wegbegleitern wie Eva Grabherr, Eva Häfele, Ekkehard Muther oder Juliane Alton. 2006 begann unsere bis heute andauernde Kooperation mit dem Landestheater. Mit dem leitenden Pädagogen Michael Schiemer sind wir eng verbunden.

Was ist die Gegenwart des Vereins?
Polat: Wir haben ungefähr 40 aktive Mitglieder, die Hälfte sind Kinder und Jugendliche. Seit wir vergangenes Jahr unser Probelokal in der Bregenzer Kirchstraße verlassen mussten, proben wir jetzt meistens im Kultursektor Elektra. Die Erwachsenen- und Jugendgruppe produziert jeweils ein Stück pro Jahr, der Kinderclub ein bis zwei, die wir dann bis zu 20 Mal im Jahr aufführen.

Auf welche Inszenierung sind sie besonders stolz?
Polat: „Spiel um Zeit“ von Arthur Miller. Das Stück basiert auf der wahren Geschichte eines Mädchenorchesters in Auschwitz. Im Rahmen dessen sind wir auch nach Auschwitz, Dachau und Mauthausen gefahren.

Gibt es Schauspielende, die sie mit Stolz erfüllen?
Polat: Mit Nurettin Kalfa spielt zum ersten Mal in der Geschichte Vorarlbergs ein Kind von Gastarbeitern im Ensemble des Landestheaters, bei „Amerika“ sogar in der Hauptrolle! Er ist ein unglaubliches Vorbild. Auch wenn ich mir so etwas schon früher vorgestellt habe, es mit den eigenen Augen zu erleben ist etwas ganz Besonderes für mich. Es zeigt, dass Motif eine Bühne für die Vielfalt der Kulturen biete.
Wo sehen von Motif in zehn Jahren?
Polat: Ich wünsche mir, dass Motif dann eine feste Größe im Kulturbetrieb ist, nicht nur in Vorarlberg, sondern darüber hinaus.
Sie wollen ihr Amt in ein bis zwei Jahren ablegen. Was raten sie potenziellen Nachfolgern?
Polat: Nicht aufgeben und kämpferisch bleiben. Man darf die Freude an der Arbeit mit Menschen und die Kraft der Bühne niemals verlieren.
Stimmen zu 20-Jahre Theater Motif:

“Die Arbeit von Motif bewundere ich seit vielen Jahren – konsequent, unterhaltsam und anspruchsvoll. Herzlichen Glückwunsch zum Jubiläum und bitte noch viele weitere tolle Projekte!”
– Brigitte Walk, Walktanztheater
“Herzlichen Glückwunsch zum Jubiläum!
Motif ist ein wichtiger Partner – für das vorarlberg museum und viele andere Institutionen. Durch die Zusammenarbeit können wir unser Programm erweitern und neue Zielgruppen ansprechen. Wir schätzen den Austausch und die gemeinsamen Projekte sehr. Vielen Dank und alles Gute für die Zukunft!”
– Fatih Özçelik, Vorarlberg Museum
“Für mich ist dieses Theater mehr als eine Bühne – es ist Familie, Heimat und ein Ort der echten Begegnung. Yener Polat leitet dieses Theater mit einer beeindruckenden Mischung aus Herzblut, Leidenschaft und einem unerschütterlichen Glauben an das Potenzial jedes Einzelnen. Es ist bewegend zu sehen, wie junge Menschen hier über sich hinauswachsen – auf und hinter der Bühne. Ich selbst habe hier als Amateur angefangen, Regie geführt und gelernt, was es heißt, Theater wirklich mit Menschen zu machen – unabhängig von Herkunft oder Erfahrung.” – Nurettin Kalfa, Schauspieler

“Die Produktion Gehen und Kommen, die im letzten Jahr in Bregenz uraufgeführt wurde, hat mich mit dem Theater Motif zusammengebracht. Davor habe ich das Theater vor allem über Yener Polat gekannt und gewusst, dass es Aufträge an Vorarlberger Autor*innen wie mich vergibt. Die Arbeit an Gehen und Kommen hat mich ein nach wie vor brisantes gesellschaftspolitisches Thema, der Frage des Umgangs mit der sogenannten Gastarbeitsmigration und ihren Folgen, nochmal anders als bislang erfahren lassen. Das Theater organisierte für meine Recherchen Workshops, und mir wurden sehr viele Geschichten erzählt. Gleichzeitig wurde mir bei der Umsetzung des Stücks sehr viel Freiheit gegeben.
Erfahren habe ich dadurch, wie Theater ein Ort der Verständigung über und einer Befragung von Geschichten und Erinnerungen sein kann. Der Premierenabend von Gehen und Kommen bleibt für mich bis heute unvergesslich. Für die Zukunft wünsche ich Motif, dass es ein solcher Ort der Befragung von Geschichte und Gegenwart bleibt – und es weiterhin vielen Menschen jeden Alters erlaubt, die Lust und Freude am Theater zu entdecken.” – Amos Postner, Autor

“Motiv ist wie eine Schule, die das Leben vieler Menschen berührt hat. In dieser Schule lernt man zunächst sich selbst kennen und dass man sich durch die Theaterkunst ausdrücken kann. Die Erinnerungen, die man dort sammelt, die Freundschaften, die man dort für sein Leben gewinnt, bilden den wertvollsten Schatz. Ich bin dankbar für Motif und alle, die sich dafür einsetzten.” – Suat Ünaldi, Schauspieler