Kultur

Der geduldige Gärtner des Klebstoffs

30.09.2025 • 17:13 Uhr
Der geduldige Gärtner des Klebstoffs
Aus einem Stoff schöpft Spitzar schier endlos viele Formen. STIPLOVSEK(10) 

Marco Spitzar sprach mit der NEUE über seinen Weg vom Schulabbrecher zum Unternehmer und Künstler.

Marco Spitzars Medium ist der handelsübliche Klebstoff. In den mit der amorphen, farblosen Masse gefüllten Tuben findet er das Potenzial, in Einheit verborgene Vielfalt auszudrücken.

Der geduldige Gärtner des Klebstoffs
Der Künstler in seinem Atelier in Dornbirn Schwefel vor dem Werk „Blumen gießen“ (2025).

Eine zeitintensive Praxis, denn der Klebstoff lässt sich nicht beschleunigen, er zwingt zur Geduld. So wirkt der Schwarzacher beim Besuch in seinem Dornbirner Atelier wie ein Gärtner des Künstlichen, der Dutzende Werke in ihrem Werden betreut. Dort trocknen Fäden in einer Art Aufzucht, während fortgeschrittene Arbeiten Richtung Reife härten.

Der geduldige Gärtner des Klebstoffs
Mit dieser Vorrichtung „züchtet“ er Fäden aus Klebstoff.

Da ihn Schütten nicht ans gewünschte Ziel bringt, arbeitet Spitzar über Flächen gebeugt. Etwa beim großformatigen Bild „Blumen gießen“, das er in mehr als 12 Stunden durchgehender Flaschenführung auf Naturleinen bannte. So entstehen Linien, die haptisch Höhen und Tiefen formen. „Mich interessiert, wie das Material reagiert. Ich lasse es laufen, aber ich kontrolliere zugleich, wohin es sich bewegt“, schildert der Vater zweier Kinder.

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Kleber und Leinen fügen sich zu einer organisch anmutenden Landschaft.

Tennislehrer in Rimini

Schon während der Schulzeit an der Grazer Kunstgewerbeschule experimentierte er mit Kleber. Der Weg dort hin war ein eigenes Abenteuer.

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Spitzar, geboren 1964, verbrachte die ersten Lebensjahre in der deutschen Stadt Nordhorn, nahe der niederländischen Grenze. Erst als sein Vater eine Stelle bei der Textilfirma Getzner annahm, zog er als Kind ins Walgau. Nachdem er mit 15 die Schule abgebrochen hatte, reiste der Jugendliche für ein Jahr durch Südeuropa. Den Unterhalt verdiente sich Spitzar mit gelegentlichen Jobs, etwa als Organgenpflücker in Süditalien oder Tennislehrer in Rimini. „Es war toll. Heute kann man sich gar nicht mehr vorstellen, wie günstig damals alles war“, schwärmt der 61-Jährige.

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Von Griechenland über Jugoslawien führte ihn ein Zug nach Graz. Dort erzählten Jugendliche im Stadtpark, dass am nächsten Tag die Aufnahmeprüfung der Kunstgewerbeschule stattfindet. Kurzerhand angemeldet, bestand Spitzar die Prüfung und fand den Einstieg in die Welt der Kunst.

Akademie

„Andreas Kronthaler, mittlerweile Witwer der Modeschöpferin Vivienne Westwood, war mein Mitschüler und Mitbewohner. Ausserdem bin ich immer wieder nach Wien gefahren, um Bruno Gironcolis Bildhauer-Klasse an der Akademie für Bildende Künste beizuwohnen.“ Dort sei er nach Abschluss in Graz ohne Prüfung als Student aufgenommen worden.

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Der Alltag in der Klasse war dennoch eine Herausforderung. Auch die monumentalen Skulpturen der Mitstudenten passten nicht zu seiner Haltung. „Es war mir zu groß, zu männlich, zu viel Kraftmeierei. Ich wollte etwas anderes.“ Statt riesige Objekte zu bauen, drehte er Filme, produzierte kleine Skulpturen und organisierte Ausstellungen.

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Agentur

Beruflich verschlug es den Künstler in die Welt der Werbung. Seinen späteren Geschäftspartner, Sergej Kreibich, lernte er aber nicht in Europa, sondern im Senegal, kennen. „Am Nationalfeiertag begleite ich meine damalige Freundin zu einer Feier in die Botschaft nach Dakar. Sergej sprach dort mit Vorarlberger Dialekt, so haben wir uns kennengelernt.“ Ende der 1990er-Jahre folgte die Gründung der gemeinsamen „Agentur Spitzar“.

In diesen geschäftstüchtigen Zeiten rückte die Kunst vermehrt in den Hintergrund. Erst 2013, 15 Jahre nach seiner letzten Schau, stellte er in der Harder Galerie.Z erneut aus.

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2014 ist Spitzar bei der Agentur ausgestiegen. „Ich bin halt doch Künstler und das Management getriebene Gewerbe war mir zu viel.“ Mit dem ein Jahr später gegründeten „Studio Spitzar“ ist er noch immer unternehmerisch tätig, nur mit wesentlich mehr Fokus für seine Passion.

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Diese führte ihn Anfang September nach Wien. Unter dem Titel „Was hängen bleibt“ stellte der Kunstraum Splitart Klebearbeiten des Schwarzachers gemeinsam mit Skulpturen Gironcolis aus. Die nächste Ausstellung folgt am 6. November in Zürich. Dort lädt die Binelli Group in ihrem Kunstraum zur Schau „The Dome of Gravity“.

Für Spitzar ist es eine weitere Gelegenheit, seine geduldige Praxis sichtbar zu machen. „Ich werde beim Klebstoff bleiben. Für mich ist das eine ganze Welt, die sich nie erschöpft.“