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„Mittendrin aufhören, das gibt es nicht!“

04.05.2024 • 12:00 Uhr
„Mittendrin aufhören, das gibt es nicht!“
Annette Teichmann am Tresen ihrer „Anette Bar“ in Bregenz. Klaus Hartinger

Annette Teichmann, Chefin der Bregenzer „Anette Bar“, erzählte der NEUE von den Höhen und Tiefen ihres bewegten Lebens.

Es ist 20.30 Uhr, in eineinhalb Stunden gehen die Türen auf. Annette Teichmann steht in der nach ihr benannten Bar und schenkt einen „Anette Spezial“ ein, schön prickelnd und mit essbaren Rosenblättern.

74 Jahre ist sie alt, weit mehr als 50 davon verbrachte sie in der Gastronomie. Viele, nicht immer positive Erfahrungen hat sie hinter sich. Nichts davon sieht man Annette an: Stets ist sie perfekt gestylt und gekleidet, schwarzes, glänzendes Haar, sorgfältiges Make-up und natürlich ihr Markenzeichen, die knallrote Brille. Dazu immer ein schickes Outfit. Die eine oder andere Zigarette darf auch sein. Zur Mode hat Annette Teichmann eine Affinität, ist sie doch gelernte Schneiderin. Die Gesellenprüfung bestand sie mit Auszeichnung. Eigentlich sollte es danach nach Wien gehen, doch sie wurde jung schwanger und blieb in Vorarlberg. Während Annette arbeitete, kümmerten sich ihre Eltern um ihre kleine Tochter. „Das hat super gepasst, meine Tochter und mein jüngster Bruder sind nur fünf Jahre auseinander. Das war also wunderbar.“

„Mittendrin aufhören, das gibt es nicht!“
Die Dame des Hauses: Annette öffnet die Tür zur Bar.Klaus Hartinger

Einstieg in die Gastronomie

Dann kam der Anruf einer Verwandten in der Schweiz: Ob Annette wohl sonntags in deren Gasthaus aushelfen könne? „Meine Mutter hat mich gar nicht gefragt und einfach zugesagt“, erzählt die gebürtige Höchsterin lachend. „Ich habe dort an einem Sonntag mehr verdient als während der Woche als Schneiderin. Mit 19 Jahren hatte ich schon drei Bausparverträge. So bin ich dann in die Gastronomie geschlittert.“ Erst in der Schweiz, dann im Liechtenstein, später in Luxemburg, wo sie später mit ihrem damaligen Mann und mittlerweile zwei Töchtern lebte. „Der war zwar Bankdirektor, ich habe aber trotzdem mehr verdient.“

Über weitere, nicht immer einfache Stationen landete sie auf Mallorca, wo Annette mit ihrem Mann eine Diskothek besaß. 1996 wurde die Ehe geschieden. Es ging zurück nach Vorarlberg, wo die Powerfrau 2010 ihre „Anette Bar“ in Bregenz eröffnete, damals noch in der Anton-Schneider-Straße. „Das war eine tolle Location, wir mussten aber raus, weil die Eigentümer andere Pläne mit dem Haus hatten. Also sind wir 2015 ins GWL umgezogen und haben dort schnell eine neue Bar zusammengebaut. Das war eine wilde Geschichte“, erinnert sich die Chefin mit einem Grinsen. „Jetzt sind wir im zehnten Jahr, und es wird natürlich nicht einfacher in der Gastronomie. Als wir im GWL aufgemacht haben, war ich eigentlich schon in Rente. Die war aber winzig, also musste ich natürlich trotzdem weiterarbeiten.“

Hat sie nie daran gedacht, die Nachtgastronomie aufzugeben? „Nein. Denn glücklicherweise ist das etwas, das ich gut kann und das ich gerne mache. Und natürlich kann ich hier nicht einfach gehen, denn ich höre nicht mit Schulden auf. Es steckt eine Menge Geld drin. Allein das Lüftungssystem hat 45.000 Euro gekostet.“ Das habe man einbauen lassen, um in der Bar rauchen zu können. „Zwei Jahre später wurde das Rauchen in der Gastronomie verboten. Toll“, meint Annette nicht ohne Sarkasmus.

Auch abseits davon sei es nicht immer einfach in der Nachtgastro: „Bis vor ein paar Monaten ­lief es super, jetzt wird es ein bisschen schwierig. Aber die ganze Stadt jammert ja. Rundherum macht alles zu.“

„Mittendrin aufhören, das gibt es nicht!“
Klaus Hartinger

Ärger vor der Tür

Was Annette auch stört: „Es wird ja oft gesagt, dass es hier in der Bar viel Ärger gibt. Das stimmt so aber nicht. Darum haben wir ja extra Türsteher, die auch sehr genau sind. Aber oft kommt es vor, dass die abgewiesenen Gäste oben vor der Tür Stress machen. Das ist unangenehm, nicht nur für die Nachbarn, sondern natürlich auch für uns, denn wir bekommen die Schuld daran. Aber die Polizei weiß das mittlerweile.“

Trotz des guten Drahts zur Exekutive – Annette suchte den Kontakt auch schon von sich aus, um Präventivarbeit zu leis­ten – gehen die Vorfälle nicht immer gut aus. So geschehen vor einiger Zeit an einem Abend unter der Woche, an dem es keinen Türsteher gab. Annette ging nach oben vor den Eingang, um einen Streit zu schlichten. Auf dem Video der Überwachungskamera sieht man erst einen betrunkenen jungen Mann die Treppe hinunterfallen – und kurz danach Annette, mit dem Gesicht voraus, über alle Stufen. Das Blut spritzt, dann bleibt sie liegen.
„Ich wurde gestoßen“, ist Annette sich sicher, „der Täter behauptet aber, der Betrunkene hätte mich mitgerissen. Ich kann mich allerdings ganz genau an die Hand auf meinem Rücken erinnern.“

Schwere Verletzungen

„Der Sturz hätte auch auch anders ausgehen können. Ich hatte Glück im Unglück.“

Annette Teichmann

Der Sturz brachte Annette schwere Verletzungen ein, darunter mehrere Brüche. „Das war absoluter Mist, es hätte aber auch anders ausgehen können. Ich habe Glück im Unglück gehabt. Aber natürlich war ich danach eine ganze Weile außer Gefecht. Gerade mit der gebrochenen Schulter konnte ich ja absolut nichts anstellen“, erinnert sich die 74-Jährige. Der Prozess steht bevor.

Seit dem schlimmen Vorfall ist Annette vorsichtig. Sie geht auch nicht mehr allein nach Hause, obwohl sie in der Nähe wohnt: „Seit der Christian, ein Kollege aus der Gastronomie, um die Ecke vor seiner Haustür überfallen wurde, gehe ich immer in Begleitung heim“, sagt Annette.

„Heim“, das ist, vor allem in den Sommermonaten, das Boot, das sie zusammen mit ihrem Lebensgefährten besitzt. „Ich gehe morgens nach der Arbeit aufs Boot, schlafe dort, wenn mein Partner mit der Arbeit fertig ist, kommt er nach. Dann fahren wir raus und frühstücken. Das mag ich sehr gern, ich liebe diese Zeit“, schwärmt Annette. Genauso viel Leidenschaft hat sie natürlich für ihre zwei Töchter und die drei Enkel: „Die sind alle spitze!“

„Mittendrin aufhören, das gibt es nicht!“
Klaus Hartinger

Ruhiger wird es scheinbar nicht in Annettes Leben. Große Wünsche gibt es dennoch keine mehr: „Ich war auf der hal­ben Welt, habe viel erlebt, nicht immer nur Gutes. Ich war zwar nicht dumm, aber naiv. Heute ist das anders“, sagt sie lächelnd.

Und: „Wichtig ist, dass man nicht deppat wird. Ich nehme jeden Tag Vitamine, da habe ich eine Ausbildung gemacht und kenne mich gut aus. Und natürlich mache ich jeden Morgen ein Sudoku, und zwar, bis es fertig ist. Aber ich bin sowieso jemand, der die Dinge immer fertig macht. Mittendrin aufhören, das gibt es für mich nicht.“

Anette Bar

Leutbühel 2, Bregenz
Die „Anette Bar“ befindet sich im Kellergeschoss des Einkaufszentrums GWL und hat donnerstags bis samstags ab 22 Uhr geöffnet. Zutritt ab 21 Jahren.
Donnerstags gibt es oft Karaoke, allabendlich legen verschiedene DJs auf. Zudem gibt es auch immer wieder Livemusik. Infos auf www.anettebar.at.