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Der wahre Wert der Pilze

01.08.2020 • 18:55 Uhr
Hansjörg Kevenhörster hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Welt der Pilze ganz genau zu erkunden.  <span class="copyright">Dietmar Stiplovsek</span>
Hansjörg Kevenhörster hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Welt der Pilze ganz genau zu erkunden. Dietmar Stiplovsek

Pilze sind viel mehr als Speise. Ohne sie gäbe es weder Pflanze noch Tier.


Pilze? Hören sie diesen Begriff, fallen den meisten Menschen Parasole ein, Steinpilze, Champignons oder Eierschwammerl. Besonders Gesundheitsbewussten vielleicht auch noch asiatische Shiitake-Pilze. Denken sie an die giftigen Exemplare, erwähnen sie Fliegen- oder Knollenblätterpilze. Dem einen oder anderen kommen vielleicht auch Fuß- oder andere Pilzerkrankungen in den Sinn, weil er oder sie damit bereits unliebsame Erfahrungen gemacht hat. In erster Linie denkt der Großteil der Menschen aber an die kleinen „Kerlchen“ im Wald und ihren Speisewert.

Eierschwammerl - hier zwei recht trockene kleine Burschen - werden von "Schwammerlägern" sehr geschätzt. <span class="copyright">Dietmar Stiplovsek</span>
Eierschwammerl - hier zwei recht trockene kleine Burschen - werden von "Schwammerlägern" sehr geschätzt. Dietmar Stiplovsek

Das möchten Hansjörg Kevenhörster und seine Kollegen vom Pilzkundlichen Verein Vorarlberg ändern. Denn Pilze sind allgegenwärtig und haben in der Natur eine überaus bedeutsame Funktion. „Es ist wichtig, dass diese bewusst gemacht wird, denn ohne Pilzschutz ist kein Natur- oder Umweltschutz möglich“, erklärt Kevenhörster. Um diese Aussagen verstehen zu können, muss erklärt werden, dass das, was die meisten Menschen für Pilze halten, nur deren Fruchtkörper sind. Der Hauptbestandteil des Pilzes ist das Myzel. Ein Geflecht, bestehend aus unzähligen Zellfäden – sogenannten Hyphen – das sich in der Erde großflächig ausbreitet. „Unter der Fläche eines einzigen Fußabdruckes befinden sich im Waldboden circa 500 Kilometer Pilzhyphen“, veranschaulicht Kevenhörster. Mit diesen Hyphen bilden Pilze mit weit über 90 Prozent aller Landpflanzen ein komplexes Netzwerk.

Das Myzel ist ein Geflecht aus unzähligen Zellfäden.  <span class="copyright">Shutterstock</span>
Das Myzel ist ein Geflecht aus unzähligen Zellfäden. Shutterstock

Internet des Waldes

Der gesamte Wald ist duch Pilze verbunden. Forscher nennen dieses Pilzgeflecht ‚das Internet der Natur‘, sagt der Pilzkundler. Dieses dient unter anderem der gegenseitigen Ernährung. Die Gruppe der Pilze, die diese Netzwerke bildet, nennt man Mykorrhiza. Sie versorgen in dieser symbiotischen Verbindung die Pflanzen mit Mineralien und Wasser. Im Gegenzug erhalten sie von ihnen Zucker. Die Pilzgeflechte im Erdreich sind also eine Voraussetzung dafür, dass die Pflanzen überhaupt existieren können. Nicht nur im Wald. Und damit werden sie auch für die Menschen lebensnotwendig. Wird das Myzel zum Beispiel durch zu starkes Bearbeiten des Bodens zerstört, richtet man enor­men Schaden in diesem fragilen System an.

Eine weitere Gruppe, die neben den Parasiten und den Mykorrhiza-Pilzen besteht, sind die Saprophyten. Sie haben eine ebenso wichtige Funktion. Sie sind die sogenannten Substratzersetzer. Das heißt, dass sie totes organisches Material abbauen. „Ohne diese Abbaufunktion würde die Menschheit innerhalb weniger Jahre unter dem täglich anfallenden biologischen ‚Abfall‘ der Natur buchstäblich ersticken“, führt Kevenhörster aus

Auf diesem Grashalm befinden sich Rostpilze.      <span class="copyright">Dietmar Stiplovsek</span>
Auf diesem Grashalm befinden sich Rostpilze. Dietmar Stiplovsek

Eigenes Reich

Dem 73-Jährigen ist es auch wichtig, dass Pilze nicht zu den Pflanzen gezählt werden. „Sie bilden ein eigenes Reich“, sagt er. Sie unterscheiden sich von Pflanzen dadurch, dass sie keine Fotosynthese betreiben und sich nur von organischen Stoffen ernähren. Mit schätzungsweise drei bis vier Millionen Arten sind die Pilze nach den Tieren das zweitgrößte Organismenreich der Erde. Es gibt circa sechs- bis zehnmal so viele Pilz- wie Pflanzenarten. Bisher sind weltweit erst rund 120.000 Großpilzarten bekannt und wissenschaftlich beschrieben. „In Vorarlberg gibt es mindestens doppelt so viele Pilz- wie Pflanzenarten“, erzählt der Feldkircher. Rund 3000 verschiedene Großpilzarten wurden kartiert. „Davon sind circa 300 essbar, 300 sind giftig, wovon zwölf als „tödlich giftig“ gelten. Circa 2400 sind ungenießbar“, erläutert er. Doch es gibt noch jede Menge Pilze – erkennbar zum Beispiel als weiße oder schwarze Flecken oder kleine Erhebungen auf Ästen oder Blättern – die wir nicht als solche wahrnehmen, beziehungsweise denen wir keine Aufmerksamkeit schenken.

Ein Narbiges Buchen-Eckenscheibchen auf einem Ast.         <span class="copyright"> Privat</span>
Ein Narbiges Buchen-Eckenscheibchen auf einem Ast. Privat

Möchte man Pilze doch wegen ihres Speisewerts sammeln, so ist es unabdingbar, dass man die Arten, die man mitnehmen möchte, genau identifizieren kann. „Zuerst muss man aber die tödlich giftigen kennen“, betont der Mann, der auch eine Ausbildung zum Pilzberater besitzt und bereits einiges zum Thema Pilze veröffentlicht hat. Nur so kann ausgeschlossen werden, dass man einen falschen, potentiell tödlichen mitnimmt. Die Fruchtkörper, hinter denen „Schwammerljäger“ her sind, werden vom Pilz zur Fortpflanzung gebildet. Wenn sie reif sind, stoßen sie Millionen von Sporen ab. „Es schadet dem Pilz nicht, wenn man diese Fruchtkörper erntet“, berichtet Kevenhörster. „Es ist so wie bei einem Apfelbaum. Dem macht es auch nichts, wenn die Äpfel gepflückt werden. Das ist wissenschaftlich bestätigt. Es ist keine Schutzbehauptung von Schwämmlern“, ergänzt er und lacht. „Klar wäre es prinzipiell besser, die zu jungen Pilze stehen zu lassen und nur ausgereifte zu ernten.“

Ein hervorragender Speisepilz - Ein Fichtensteinpilz.  <span class="copyright">Dietmar Stiplovsek</span>
Ein hervorragender Speisepilz - Ein Fichtensteinpilz. Dietmar Stiplovsek

Das Reich der Pilze sei außerdem die „Chemiefabrik“ der Natur, die den Menschen unzählige Vorteile bietet. „Schon heute leiten sich zehn der wertvollsten Medikamente von Pilzen ab, wie zum Beispiel das Antibiotikum Penicillin“, bringt er in Erinnerung. Auch die Herstellung unzähliger Lebensmittel wäre ohne Pilze gar nicht möglich. Schon „Ötzi“, der Mann aus dem Eis, habe vor 5200 Jahren einen Birkenporling als Medizin gegen seine Magenbeschwerden mit sich geführt. „Pilze werden sich unvorhersehbar weiterentwickeln. Sie zu ignorieren wäre sowohl eine verpasste Gelegenheit als auch ein gefährlicher Fehler“, ist sich der Fachmann sicher. „Jedem sollte bewusst sein, dass es die Vielfalt und Schönheit unserer heimischen Natur, die herrlichen Wiesen und Wälder Vorarlbergs mit all ihren Tieren und Pflanzen ohne Pilze überhaupt nicht gäbe. Deshalb ist der Lebensraum von Wildpilzen möglichst zu schonen und zu schützen.“

Der Lebensraum der Wildpilze muss geschont und geschützt werden. <span class="copyright">Dietmar Stiplovsek.</span>
Der Lebensraum der Wildpilze muss geschont und geschützt werden. Dietmar Stiplovsek.

Rohstoffe der Zukunft

Doch nicht nur das. Pilze werden von manchen auch als Rohstoffe der Zukunft gehandelt. Der Nüziger Ingo Scherag entwickelt gemeinsam mit Peter Metzler, einem der Geschäftsführer der Feldkircher Wasch- und Reinigungsmittelfirma Uni Sapon, Verpackungsmaterial auf Pilzbasis. Es kann zum Beispiel als Styropor-Ersatz verwendet werden. Mit diesem innovativen Konzept gewannen sie den „Energy Globe Award“ in Vorarlberg. Letztes Jahr wurden sie österreichischer Gesamtsieger in der Kategorie „Sustainable Plastic“. Auch Lampen oder Hocker aus gepresstem Pilzmyzel haben die beiden schon hergestellt. „Interessant ist für mich beim Pilzmaterial vor allem der ökologische Aspekt. Aus landwirtschaftlichen Abfallprodukten wie Stengeln oder auch Altpapier kann man in entsprechenden Formen und nach einer Trocknungsphase mit dem Pilzmyzel eine stabile Form durchwachsen lassen“, sagt Scherag. Das Material ist leicht und dennoch stabil, wasserabweisend und schwer entflammbar. „Vor allem ist es nach Ende der Nutzung rückstandslos kompostierbar.“ Weltweit wird an Material aus Pilzen geforscht. Der italinische Designer Maurizio Montalti, etwa, erzeugt aus ihnen unter anderem ein festes, lederartiges Material, aus dem er Stiefel fertigt. Das belgische Start-Up „Novobiom“ arbeitet an der Idee, mithilfe von Pilzen und deren Zersetzungkünsten Böden zu reinigen.

Die „Pilzbox“ von Uni Sapon mit ihrer ebenfalls biologisch abbaubaren Seife. <span class="copyright"> Privat</span>
Die „Pilzbox“ von Uni Sapon mit ihrer ebenfalls biologisch abbaubaren Seife. Privat

Pilzkundlicher Verein Vorarlberg

Der Pilzkundliche Verein ­Vorarlberg

wurde 2003 gegründet. Er hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Pilzkunde zu verbreiten. U.a. werden Informationsveranstaltungen durchgeführt. Die nächste, der „Pilz-Infotag“, findet am Sa, 19. September in Göfis statt. Geprüfte Pilzberater führen in kleinen Gruppen durch einzelne Gebiete des Göfner Waldes zur pilzkundlichen Information, Eine Anmeldung per Mail: oeuschi@vcon.at oder unter 0699/11056069 ist nötig.

Hansjörg Kevenhörstr hat sich mit Leib und Seele der Erforschung der Pilze verschrieben. <span class="copyright">Dietmar Stiplovsek.</span>
Hansjörg Kevenhörstr hat sich mit Leib und Seele der Erforschung der Pilze verschrieben. Dietmar Stiplovsek.

zur Person

Hansjörg Kevenhörster

73 Jahre alt, aus Feldkirch; verheiratet, drei Kinder. Schriftsetzer, geprüfter Pilzberater, Gründungsmitglied und Kassier des PIlzkundlichen Vereins, Autor zahlreicher Texte über Pize.