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Felchen-Misere bringt Fischer in Not

30.07.2022 • 19:42 Uhr
Heuer ist es heiß, die Kieselalge breitet sich aus. Vielleicht könnte das (auch) ein Grund für die leeren Felchen-Netze sein. Albert Bösch fährt nur noch sporadisch für Felchen raus..<span class="copyright">Dietmar Stiplovsek</span>
Heuer ist es heiß, die Kieselalge breitet sich aus. Vielleicht könnte das (auch) ein Grund für die leeren Felchen-Netze sein. Albert Bösch fährt nur noch sporadisch für Felchen raus..Dietmar Stiplovsek

Berufsfischerei am Bodensee kann nicht mehr wirtschaftlich im Haupterwerb betrieben werden.

Es ist das schlechteste Fangergebnis, das je verzeichnet wurde. Insgesamt 23,3 Tonnen Fisch erzielten die Vorarlberger Berufsfischer im Jahr 2021, das geht aus dem Rechenschaftsbericht des Landes hervor. Dieses Ergebnis liegt knapp 50 Prozent unter dem Zehn-Jahres-Mittel von 46,2 Tonnen. Maßgeblich für die Ertragszahlen war ein erneuter Einbruch bei den Felchen. Denn der machte einst 60 bis 70 Prozent des Fangs aus. „Ich kann jetzt schon sagen, wenn es so weitergeht, werden wir den Negativrekord von 2021 noch toppen“, kündigt Albert Bösch, Obmann der Vorarlberger Berufsfischer, an. Aktuell ist die Situation nämlich noch düsterer als vor einem Jahr.

Kaum was im Netz

Die Felchen-Saison steuert gerade auf den Peak zu. Bösch gingen zuletzt sechs Exemplare in seine Netze. Und die waren ziemlich mager. Deshalb fischt er nur noch sporadisch den ­einstigen „Brotfisch“ am Bodensee. Der Großteil seiner Kollegen fährt für Felchen gar nicht mehr raus. Rund um den See das gleiche Bild. Das kommt fast einem Aussetzen des Felchen-Fangs gleich.

Der Bodenseefelchen ist rar und teuer. Was „günstig“ auf dem Teller landet, kommt aus Aquakulturen – beispielsweise in Finnland. <span class="copyright">Dietmar Stiplovsek</span>
Der Bodenseefelchen ist rar und teuer. Was „günstig“ auf dem Teller landet, kommt aus Aquakulturen – beispielsweise in Finnland. Dietmar Stiplovsek

Haben es kommen sehen

Da die Netze nicht mehrere Tage stehenbleiben dürfen, kommen beim täglichen Auslegen und Einholen gut 25 Kilometer zusammen, die Bösch dafür zurücklegen muss. „Für sechs Fische. Da ist nicht mal der Sprit drin“, verdeutlicht Bösch, dessen Familienbetrieb in Gaißau verortet ist. Es ist keine Neuigkeit, dass die Felchen-Erträge von Jahr zu Jahr schrumpfen. „Wir wussten schon vor drei Jahren, was da 2021 und 2022 auf uns zusteuert. Regelmäßige Proben des Jungfischbestands haben aufgezeigt, dass da nicht viel ist. Woher sollten die großen Fische kommen, wenn es kaum Jungfische gibt?“, sagt Bösch. Dass es letztendlich so wenige sein würden, hatten die Berufsfischer dennoch nicht erwartet.

Nach wie vor stellt sich die Frage: Woher kommt die Felchen-Misere? Die Gründe sind vielfältig. Es gibt nicht eine Ursache und daher auch nicht eine Lösung, damit sich der Bestand wieder erholt. „Wir müssten an mehreren Stellschrauben drehen“, meint Bösch.

Kläranlagen und Biofilter

Dass eine Ursache die niedrige Nährstoffdichte im Freiwasser ist, ist seit mehr als zehn Jahren bekannt. Nährstoffe (vor allem Phosphat) werden zwar in den See eingetragen – über Flüsse, Regenfälle, Auswaschungen. Doch Kläranlagen filtern das Gros heraus, was für die Vermehrung von Plankton als Nahrungsquelle für die Fische wichtig wäre. Dazu kommt die invasive Quagga-Muschel, die wie eine zusätzliche natürliche Kläranlage fungiert und fleißig Nährstoffe aus dem Wasser zieht. Für die Fische bleibt schlichtweg zu wenig zum Fressen. Sie wachsen langsam, bleiben schmächtig. Die Stellschraube: Aktiv das Nährstoffangebot erhöhen. Kurzum: düngen. Das ist jedoch tabu. In allen drei Ländern um den Bodensee.

Obmann der Vorarlberger Berufsfischer Albert Bösch. <span class="copyright">Dietmar Stiplovsek</span>
Obmann der Vorarlberger Berufsfischer Albert Bösch. Dietmar Stiplovsek

Konkurrenz und Prädatoren

Durch den Stichling hat der Felchen einen zusätzlichen Konkurrenten bekommen. Geradezu explosionsartig hat sich diese eingewanderte Fischart vermehrt. Der Stichling ist aber nicht nur Nahrungskonkurrent, sondern steht auch im Verdacht, Fischeier in großen Mengen zu vertilgen. Die Stellschraube: Bewirtschaftung, also Fang und Verarbeitung des Stichlings. Die Herausforderung: Er ist gleich groß wie junge Barsche (Egli) und Felchen. Wenn alle im kleinmaschigen Netz landen, ist wieder nichts gewonnen. Ein Lichtblick: „Es gibt eine Studie, nach der sich ein kurzes Zeitfenster im Spätsommer auftut, indem der Stichling sich von den anderen Fischen trennt“, fügt Bösch hinzu. Ob man ihn essen kann? Nicht wirklich. Bösch hat das ausprobiert und ihn gebraten. „Der Fisch ist zu klein und hat eine Knorpelplatte, das taugt nichts.“ Aber es gibt andere Ideen: Fischsauce vielleicht, Futter für Zoos. Vielleicht ist auch die Fischölindustrie interessiert.
Und schließlich ist da der Kormoran als Prädator in der Flachwasserzone. Junge Fische ziehen in diese Areale, um zu fressen, und sind dort leichte Beute für den geschützten Wasservogel. Die Stellschraube: Den Bestand im Zaum halten. Zumindest in Vorarlberg gibt es ein Kormoran-Management. In Deutschland und der Schweiz jedoch nicht.

Langwierige Manahmen

Die drei Länder rund um den See arbeiten zusammen, was die Belange der Berufsfischer betrifft. Das ist sinnvoll, bringt aber auch eine gewisse Langatmigkeit mit sich. Die Beschlüsse der „Internationalen Bevollmächtigtenkonferenz für die Bodenseefischerei“ (IBKF) über die Ausübung der Fischerei müssen einstimmig gefasst werden. Anschließend werden diese Empfehlungen an die Staaten weitergegeben und gegebenenfalls in nationales Recht umgesetzt. Viele Interessenvertreter diskutieren in vielen Gremien.
Dazu kommt: Wenn heute eine Maßnahme gesetzt wird, ist der Erfolg oder Misserfolg erst in frühestens drei Jahren ersichtlich. Denn der Felchen, der gefangen wird, ist zwischen drei und fünf Jahre alt.

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Dietmar Stiplovsek

Weniger Patente

Laut Rechenschaftsbericht ist der Fischfang im Haupterwerb nicht mehr möglich. „Mit einem mittleren Ertrag von 2,6 Tonnen pro Patent ist kein wirtschaftliches Auskommen mehr möglich“, heißt es. Sechs bis acht Tonnen müssten es sein. Neun Fischerpatente sind in Vorarlberg aktiv, zwölf wären möglich. Gut 80 sind es rund um den See. In den nächsten zehn Jahren wird sich die Anzahl der Berufsfischer hierzulande halbieren, da viele von Böschs älteren Berufskollegen keine Nachfolger haben. Aktuell gibt es zwei Lehrlinge – am kompletten See. „Es braucht viel Idealismus bei diesen düsteren Zukunftsaussichten“, weiß Bösch. Und vor allem: Es funktioniert nicht mehr mit dem Felchen als „Brotfisch“.

Bösch selbst will weitermachen. Er hat diesen Idealismus. Noch gehört die Fischerei seiner Mutter. Er ist Gehilfe, geht einem „normalen“ Job nach. Aber in den nächsten drei bis fünf Jahren will er den Betrieb übernehmen. Die Krux: Jene Bewirtschaftung, welche Familie Bösch betreibt, kann nur im Haupterwerb funktionieren. Nämlich nur dann, wenn genug Zeit zum Fischen bleibt. Denn Böschs fangen und vermarkten schon seit Jahren quasi alles, was der See hergibt. Brachse, Karpfen, Schleie, Rotauge, Wels, Felchen, Barsch, Zander, Aal. Im Sommer beginnt der Tag um 4 Uhr und endet um 22 Uhr. Da ist keine Zeit für einen Nebenjob. Böschs Plan ist es, das ganze Jahr Fisch anbieten zu können. Dazu braucht es ein gutes Partnernetzwek, um die Fische an den Kunden zu bringen. Der 41-Jährige hat das. Das motiviert.

Und es gibt auch positive Entwicklungen. Das Rotauge hat sich eine Methode angeeignet, wie es kleine Quagga-Muscheln fressen kann. Es wird sie zwar nicht ausrotten, aber als Fischart von der Muschel profitieren und am Ende in größeren Mengen vorkommen. Schon jetzt können sich die Fangzahlen der Rotaugen sehen lassen.

Rotauge als “Brotfisch”

Jetzt muss nur noch beim Konsumenten ankommen, andere Fische zu essen. Denn die meisten wollen nach wie vor: Felchen. Der Fisch hat zartes Fleisch, wenig Gräten und lässt sich gut braten. Das ist bei anderen Fischen nicht so. Ein Rotauge hat viele Gräten, auch intramuskulär. Also muss man etwas anderes daraus machen. Burger, eine Farce, um Pasta zu füllen, oder in Essig einlegen, sodass sich die Gräten auflösen. „Geschmacklich ist er für mich mittlerweile besser als Felchen, weil er mehr Fett hat“, sagt Bösch. Es gibt mittlerweile auch Restaurants, die Rotauge auf der Karte haben. Es gab heuer erstmals in Vorarlberg eine Rotaugen-Woche. Die Berufsfischer besuchen Kochkurse des Ländlichen Fortbildungsinstituts, heuer im Herbst unter dem Slogan „Es muss nicht immer Felchen sein“. Es ist nicht so, als würde es den Petri-Jüngern an Ideen mangeln. Aber es ist zäh.

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Dietmar Stiplovsek

Nächste Generation

Böschs Sohn ist fünf Jahre alt. Sicher weiß er, warum die Familie nicht wie die Made im Speck lebt. „Aber das ist Ansichtssache. Ich habe ein Haus, einen schönen Garten und den See vor der Tür. Das ist doch ein Privileg“, sagt Bösch, und das vermittelt er auch seinem Sohn. Damit er vielleicht einmal in nächster Generation übernimmt. Sofern diese dann noch gebraucht wird.