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„Lesen erweitert den Horizont”

07.10.2023 • 23:00 Uhr
Eine Kundin, die durch ein paar Bücher blättert. <span class="copyright">hartinger</span>
Eine Kundin, die durch ein paar Bücher blättert. hartinger

Bald werden in den Buch­handlungen wieder die Vorarlberger nach Weihnachtsgeschenken suchen.

Der deutsche Buchhändler Torsten Woywod reiste vor einigen Jahren durch die schönsten Buchläden Europas und erklärte anschließend den 8. Oktober zum Welttag der Buchhandlungen. Die NEUE am Sonntag ist seinem Beispiel gefolgt und hat Buchhandlungen in Dornbirn einen Besuch abgestattet. Denn nicht nur in den Supermärkten gibt es schon Lebkuchen zu kaufen, auch in den Buchläden steht das Weihnachtsgeschäft vor der Tür. Dann werden auch im „Das Buch“ im Messepark wieder die Adventkalender in die Regale geräumt. Denn im Herbst und in der Zeit vor Weihnachten findet das Hauptgeschäft der Buchhandlungen statt. „Es muss nur das Wetter einmal umschlagen und dann geht es los“, erwartet Leiterin Anita Figo.

Die gebürtige Dornbirnerin ist schon seit 27 Jahren in der Buchhandlung tätig. Dabei kann sie auf viele Veränderungen in der Buchbranche zurückblicken. So konnte die 56-Jährige beobachten, dass durch die Coronapandemie die Leute wieder begonnen haben, mehr zu lesen. „Die Pandemie hat etwas in den Leuten verändert. Sie sind wieder auf das Einfache gekommen und was man wirklich braucht.“ Als E-Reader irgendwann aufgekommen sind, hätten die Buchhändler kurz Angst gehabt. Doch diese Befürchtung erfüllte sich nicht.

Buchtrends auf Tiktok

Die Digitalisierung hat auf die Wahl der Bücher dennoch vermehrt Einfluss. Was die Leute lesen, wird immer stärker durch Social-Media-Plattformen geprägt. Durch Trends auf Instagram und Tiktok schwappen Buchtrends aus den USA nach Vorarlberg über. Figo spürt bei den Anfragen in ihrem Laden, wenn online bekannte junge Leser ihre Lieblingsbücher vorgestellt haben. „Dann dauert es nicht lange und die Buchverlage springen auf und machen eine deutsche Ausgabe“, meint sie.

Dadurch gibt es auch einen schnelleren Wechsel im Sortiment als früher. Auch die Trends und Bedürfnisse der Leser wechseln rascher: Letztes Jahr war es noch Achtsamkeit, dieses Jahr „weniger ist mehr“ und Work-Life-Balance. „Manchmal denke ich, du sollst Köchin, Psychologin und Gärtnerin sein“, erzählt sie lachend – so breit sei das Themenspektrum für eine Buchhändlerin. Durch jedes Buch, das sie liest, lernt sie selbst dazu. Derzeit steht die Geschichte dreier Schwestern im Roman „Die November-Schwestern“ auf ihrer Liste und erweitert ihr Wissen über das Familienleben und die Armut während der Wirtschaftskrise in den 1920er- und 1930er-Jahren.

Verena Brunner-Loss berät eine Kundin, die ein Kochbuch im Stil von Starkoch Ottolenghi sucht. <span class="copyright">hartinger</span>
Verena Brunner-Loss berät eine Kundin, die ein Kochbuch im Stil von Starkoch Ottolenghi sucht. hartinger

Im Monat liest Figo etwa sieben Bücher, was ihr besonders gut gefällt, markiert sie mit Bleistift. Im aktuellen Roman weiß sie ganz genau, auf welchen Seiten ihr besondere Gedanken und schöne Sätze aufgefallen sind. Als Kind war sie noch gar keine Leseratte, erzählt sie. Bei Kindern brauche es meist ein Buch, das ihnen besonders gut gefällt, „damit der Knopf aufgeht“. Zunächst gehe es darum, dass das Buch den Kindern gefalle, die Komplexität und Qualität des Buches stehe dabei für sie noch im Hintergrund. „Das Leseverständnis wächst mit jedem Buch.“

Sprache will gelernt sein

Auch in die Kinder- und Jugendbuchhandlung „Ananas“ von Eva Maria Volgger kommen Eltern mit dem Anliegen, dass ihr Kind nicht lese. Laut der ehemaligen Lehrerin ist das Lesen in den ers­ten sieben Lebensjahren für die sprachliche Entwicklung essentiell. Wenn Kinder von Beginn an mit der Vielfalt der Sprache von den Emotionen bis zum grammatikalischen Sprachgebrauch begleitet würden, bringe es für das weitere Leben Vorteile mit sich.

Denn das Beherrschen der eigenen Sprache ermöglicht es, sich selbst auszudrücken. „Je mehr ich lese, desto mehr Worte und Bilder habe ich im Kopf“, so Volgger, deren Buchgeschäft sich am Dornbirner Marktplatz befindet. Diese positive Wirkung haben jedoch nicht nur literarische Werke, auch Bilderbücher würden die Menschen formen, erzählt sie und zeigt auf ein Beispiel im Regal. Dort steht kein Buch, dass sie nicht analysiert hat. Denn am Tag arbeitet sie, und in der Nacht liest sie selbst Kinder- und Jugendliteratur.

„Literatur kann viel“

Auch Vere­na Brunner-Loss, die seit 27 Jahren die Buchhandlung Brunner betreibt, liest jeden Abend. Ein Buch kann sie dann auch mal bis um 2 Uhr in der Nacht fesseln. Die 80.000 bis 100.000 jährlichen Neuerscheinungen im deutschsprachigen Raum sind zwar, obwohl sie viel liest, nicht bewältigbar. Doch so kann sie den Kunden Tipps geben und eine Auswahl treffen, was bei ihr im Regal steht. In der Filiale in Dornbirn sind das etwa 25.000 Werke. Für die Inhaberin der Brunner-Filialen sind Buchhändler gleichzeitig auch Kuratoren. „Wenn du online bestellst, dann suchst du das, was du kennst“, erklärt sie den Unterschied zwischen Onlineanbietern und Buchhandlungen. So bleiben die meisten beim Onlineshopping in der eigenen Bubble. Wenn ein Kunde hingegen in der Buchhandlung einen Reiseführer sucht, kann die Höchsterin ihm womöglich auch einen Krimi empfehlen, der in der Gegend spielt. Nur eine Buchhandlung schaffe es, den Horizont bei der Buchauswahl zu erweitern, betont sie.

Im Buchladen trifft man auf neue Romane, die man online womöglich nicht gesucht hätte. <span class="copyright">hartinger</span>
Im Buchladen trifft man auf neue Romane, die man online womöglich nicht gesucht hätte. hartinger

Gibt es schlechte Bücher?

Brunner-Loss selbst hat „Die Schachnovelle“ von Stefan Zweig am stärksten geprägt. Es begleitet sie schon seit der Teenagerzeit. Beeindruckt hat sie vor allem die Vielschichtigkeit und das Schicksal. „Darüber könnte ich jetzt eine Stunde erzählen und würde nicht mehr aufhören“, blüht sie beim Gedanken an das Werk auf. „Literatur kann wahnsinnig viel mit einem machen, die Stimmung verstärken oder verändern oder hilfreich sein“, schwärmt sie.

Doch nicht nur der Inhalt stimuliert Emotionen. Brunner-Loss verkauft zwar auch E-Reader – denn diese können etwa auf Reisen durchaus praktisch sein, da wolle sie selbst auch nicht 20 Bücher mitschleppen – doch „Menschen bräuchten Haptik“, meint sie. Dabei zählt sie Umarmungen oder Gerüche wie Zimt zu Weihnachten auf.

Das gleiche Erlebnis könne man auch mit Büchern haben. Selbst abseits vom Lesen kann ein Buch manchmal hilfreich sein. Man könne mit Büchern einen wackelnden Tisch stabil machen oder Fliegen erschlagen, schlägt Brunner-Loss lachend vor.

Am liebsten begrüßt die Höchsterin aber jeden, der liest, egal ob er in einem seichten Liebesroman oder in einem Sachbuch schmökert. Ihr liegt die Toleranz gegenüber den verschiedenen literarischen Werken, so lange sie nicht extremistisch sind, am Herzen. „Wir maßen uns nicht an, was gute oder schlechte Literatur ist.“ Sie freut sich über jeden, der liest: „Lesen erweitert den Horizont.“