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Über Zwang und Gewalt bei Geburten

25.11.2023 • 23:00 Uhr
Die Hebamme und Architektin Anka Dür.    <span class="copyright">Laurenz Feinig</span>
Die Hebamme und Architektin Anka Dür. Laurenz Feinig

Die Architektin und Hebamme Anka Dür ist eine der Akteurinnen beim Themenabend „Gewalt und Geburt“ im Spielboden Dornbirn.

Laut einer Schweizer Studie von 2021 hat jede vierte Frau während der Geburt Formen von „informellem Zwang“ erlebt, geburtshilfliche Interventionen, die gegen ihren Willen durchgeführt worden sind. Was kann man sich konkret darunter vorstellen?
Anka Dür: Etwa, dass Frauen nicht gut informiert werden. So wird zum Beispiel einer Frau bei der Geburt ein Schmerzmittel angeboten, sie aber nicht ausreichend darüber aufgeklärt, wie dieses Medikament wirken kann. So kann ein Opiat ihr Bewusstsein trüben, was wiederum massive Auswirkungen auf den Geburtsverlauf haben kann.

Gibt es noch andere Beispiele?
Dür: Manchmal geht es auch darum, dass die Frau nicht ernst genommen wird und ihre Schmerzen als normal abgetan werden. Eine Frau hat hier von einem Extrembeispiel berichtet: Sie hatte bei einem Kaiserschnitt mehrmals geäußert, dass sie spürt, was da passiert, und dass die Narkose nicht wirkt. Darauf habe niemand reagiert, bis offensichtlich war, dass es so ist. Aber viele Dinge passieren schon vorher.

Wie meinen Sie das?
Dür: Mit Zwang und Gewalt ist auch gemeint, wenn eine Frau überzeugt, überredet, Druck ausgeübt wird. Wenn nach einer längeren Überschreitung des errechneten Geburtstermins gesagt wird, wir müssen jetzt einleiten. Auch das ist in dem Moment ein Hinwegsetzen über die Autonomie der Frau.

Szene aus dem Film "In deinen Händen".  <span class="copyright">Sophie Dettmar</span>
Szene aus dem Film "In deinen Händen". Sophie Dettmar

Sind die Schweizer Zahlen und Erfahrungen auch auf Österreich bzw. Vorarlberg übertragbar?
Dür: Ich gehe davon aus, dass sie auf den deutschsprachigen Raum übertragbar sind.

Nachdem so viele Frauen betroffen sind: Warum ist das Thema „Geburt und Gewalt“ öffentlich kaum präsent?
Dür: In den letzten Jahren war es immer wieder präsent, auch mit dem 25. November, dem Roses Revolution Day (seit 2011 internationaler Aktionstag gegen Respektlosigkeit und Gewalt in der Geburtshilfe, Anm.), aber es ist ein schwieriges Thema. Die Autoren der vorher erwähnten Studie haben diese bewusst nicht mit „Gewalt“ betitelt, sondern mit Zwang, weil das weniger hart ist. Oft wird diese Gewalt nicht mit Absicht ausgeübt. Die Menschen, die im System arbeiten – Hebamme, Ärztin, Arzt –, versuchen ihr Bestes, gleichzeitig sind sie auch unter Druck oder sich vielfach ihrer Wirkung nicht bewusst.

Zur Person

Anka Dür

Geboren 1988 in Bludenz, aufgewachsen in Satteins. Architekturstudium an der ETH Zürich, der TU Berlin und an der Universität Innsbruck, Mitarbeit in mehreren Planungsbüros. 2016 Mitgründerin der Interessengemeinschaft Geburtskultur a-z in Vorarlberg. 2018 bis 2022 Hebammenstudium an der ZHAW Winterthur (CH).

2022 Start Internationales Forschungsprojekt mit Global Birth Environment Design Network.

2024–2026 Realisierung Pilot-Projekte für neue Geburts-Pavillons in der Schweiz und in Deutschland.

Sind das Gründe, warum es zu derartigen Situationen kommt?
Dür: Da vermischen sich die Ebenen. Das eine sind Überforderung und zum Teil schwierige Arbeitsbedingungen, das andere hat mit unserer Geschichte und einem Mangel an Sensibilisierung zu tun. Früher war das noch viel ärger, wie ich in Gesprächen mit der älteren Generation immer wieder erfahre. Frauen wurden – auch wenn es um ihren Körper ging – nicht gefragt, und das ist bis heute in der Medizin spürbar. Bei Frauen, aber auch bei Babys.

Inwiefern bei Babys?
Dür: Auch Babys können Gewalt erleben. Sie werden in diese Welt geworfen, und man macht einfach mit ihnen. Man macht einen Fersenstich, man wickelt sie, badet sie, alle drei Stunden müssen sie trinken, wenn sie das nicht tun, werden sie mit der Flasche ernährt. Das hinterlässt ein Körpergedächtnis, einen lebenslangen Abdruck.

Anka Dür.   <span class="copyright">Laurenz Feinig</span>
Anka Dür. Laurenz Feinig

Was braucht es, um bessere Bedingungen für Gebärende zu schaffen?
Dür: Einerseits Frauen, die selber „Stopp“ sagen: Hey, nicht mit mir …

Wobei eine Geburt ja eine Extremsituation ist, in der es vielleicht für viele Frauen nicht so einfach ist, sich zu wehren …
Dür: Ja, absolut. Das System fährt in dem Moment da drüber wie eine Dampfwalze. Und nicht selten sind es es auch Väter und Begleitpersonen, die traumatisiert aus Geburten herausgehen. Weil sie einfach zusehen müssen und nichts machen können. Sie fühlen sich nicht geborgen in diesen Räumen, weil sie nicht eingeladen sind.

Wie kann das geändert werden?
Dür: Für Frauen ist es wirklich schwierig, in der Situation zu reagieren, da kann man noch so informiert sein. Da haben wir einfach auch strukturelle Probleme und nicht reflektierte Muster längst überholter Machtverhältnisse. Ich finde aber schon, dass ein Film, eine Veranstaltung, eine Diskussion, eine Studie und Informationen sehr viel beitragen können.

Anka Dür als Hebamme in "In deinen Händen". <span class="copyright">Sophie Dettmar</span>
Anka Dür als Hebamme in "In deinen Händen". Sophie Dettmar

Sie sind ja Architektin und Hebamme und damit Expertin für Geburtsräume. Wie schaut der ideale Geburtsraum aus?
Dür: Den perfekten gibt es nicht, aber wir sind in der Entwicklung. Man kann auf das Gewalt-Thema nämlich auch mit Geburtsräumen einwirken. Derzeit baue ich Geburtsumgebungen, die räumlich vom Spital zumindest ein bisschen entkoppelt sind. Ich bin da in einem Pilotprojekt in der Schweiz und in Deutschland, wo wir kleinere Gebäreinheiten auf dem Spitalsgelände planen.

Wie schauen die aus?
Dür: Bei mir sind sie immer aus nachhaltigen Materialien, aus Lehm, aus Holz. Man soll in den Raum kommen, und es soll ruhig sein. Es braucht diese Ruhe, um gebären zu können. Wenn Frauen Stress haben, ist zum Beispiel die Schmerztoleranz viel geringer. Darum gilt es, ein Ambiente zu schaffen, das nicht zu hell und gemütlich ist. Auch Wasser ist bei der Geburt ganz wichtig, Bewegungsfreiheit und aufrechte Gebärpositionen und dass Oberflächen warm sind. Wir haben zum Beispiel vor, einen warmen Stein einzubauen. Es kommt auch viel auf die Begleitung an. Speziell gestaltete Räume erleichtern diese.

Der von Dür konzipierte Geburtsraum, der im Rahmen einer Ausstellung des Frauenmuseums in Hittisau zu sehen war.  <span class="copyright">Philipp Steurer</span>
Der von Dür konzipierte Geburtsraum, der im Rahmen einer Ausstellung des Frauenmuseums in Hittisau zu sehen war. Philipp Steurer

Wie schaut eine gute Begleitung aus?
Dür: Da gibt es unterschiedliche Ansätze. Hebammen sind die Expertinnen, die gesunde Geburten selbstständig begleiten und auch emotional unterstützen. Aber die Frauen sind verschieden, die eine braucht das, die andere etwas anderes. Die Frage ist, wen braucht es wann wie. Es braucht Ärztinnen, Ärzte, die genau wissen, was in ihren Verantwortungsbereich fällt. Und es braucht Hebammen, die das auch wissen. Ideal wäre, dass alle spezialisiert sind auf das, was sie tun, sich gegenseitig unterstützen und bereit sind, voneinander zu lernen.

Prinzipiell würde es aber darum gehen, den Frauen selbst mehr zu überlassen?
Dür: Das wäre ideal, und das ist auch meine Erfahrung als ­Hebamme bzw. wie ich arbeite. Die Geburtsmedizin hat häufig den Fokus auf dem Risiko. Das ist ihre Aufgabe. Die Hebamme stärkt mehr die inneren Ressourcen und die Selbstwahrnehmung.

Veranstaltung

Film und Diskussion

Im Rahmen der Kampagne „Orange the World – 16 Tage gegen Gewalt an Frauen“ (25. November bis 10. Dezember) veranstalten die Vorarlberger Soroptimistinnen gemeinsam mit der IG Geburtskultur a-z am Mittwoch, 29. November, am Dornbirner Spielboden einen Themenabend „Gewalt und Geburt“. Zu sehen ist die Österreichpremiere des Dokumentarfilms „In deinen Händen“ (2023) von Sophie Dettmar über zwei Hebammenstudentinnen, eine davon die Vorarlbergerin Anka Dür. Im Anschluss findet ein moderiertes Gespräch statt. Beginn ist um 19:30 Uhr. Infos und Karten: www.spielboden.at

Am Mittwoch wird im Spielboden der Dokumentarfilm „In deinen Händen“ gezeigt, in dem Sie eine der Protagonistinnen sind. Worum geht es da?
Dür: Im Film werden zwei junge Hebammen am Ende ihrer Ausbildung mit der Kamera begleitet. Sie werden gefragt, warum sie diesen Beruf ausüben, was sie antreibt, wie sie ihn wahrnehmen, was die Herausforderungen in diesem Beruf sind.

Eine davon sind Sie?
Dür: Ja, bei mir ist dann irgendwann meine Doppelrolle ein Thema, nachdem ich Räume für Geburten baue. Neben mir ist noch eine junge Hebamme aus Berlin dabei. Als ich den Film das erste Mal gesehen habe, war ich sehr überrascht, weil er das Thema Gewalt doch irgendwie aufgreift. Ich habe mich eigentlich nie als Aktivistin gegen Gewalt bei der Geburt empfunden, aber die Art meiner Begleitung, bei der ich versuche, gewaltfrei zu agieren, hat die Regisseurin dazu bewogen, mich dazu zu nehmen.

Im Anschluss an den Film gibt es dann noch ein Podiumsgespräch. Was genau ist da das Thema?
Dür: Wir haben den Autor der eingangs erwähnten Studie, Stephan Oelhafen aus der Schweiz, zugeschaltet, der über Zahlen, Daten und Fakten berichten wird. Darauf aufbauend gibt es ein moderiertes Gespräch über das Thema. Die Vorarlberger Traumaexpertin Birgit Kalb wird es kontextualisieren. Dazu komme ich als Hebamme und die Regisseurin des Films als erfahrene zweifache Mutter. Ich fände es auch schön, wenn noch Fragen aus dem Publikum kommen würden.