„Enorme Belastung für Hinterbliebene“

Rechtsanwalt Stefan Denifl vertritt die Familie der getöteten Janine G. Im NEUE-Interview spricht er über die „ungewöhnliche Verantwortung“ der Beschuldigten, die „überdurchschnittlich lange“ Verfahrensdauer und die „enorme Belastung“ für die Hinterbliebenen.
Wie geht es den Hinterbliebenen?
Stefan Denifl: Ich bitte um Verständnis, dass die Familie ihre Situation nicht direkt gegenüber den Medien darlegen möchte. Ich möchte diese Gelegenheit auch dazu nützen, um darauf hinzuweisen, dass von direkten Presseanfragen an die Opferfamilie abgesehen werden soll.
Sie waren schon bei einigen Mordprozessen dabei. Was sagen Sie zur Verfahrensdauer im aktuellen Fall? Die Tat jährt sich bald zum zweiten Mal, und es steht noch keine Anklage.
Denifl: Die Dauer des Ermittlungsverfahrens ist überdurchschnittlich lang. Im Mordfall Frastanz war die Hauptverhandlung erst nach circa zwei Jahren. Ansonsten ist bei Mordfällen bis zu einer Anklage mit einer Dauer von einem bis zu eineinhalb Jahren zu rechnen.
Was bedeutet eine lange Verfahrensdauer für die Hinterbliebenen? Denifl: Solange das Strafverfahren anhängig ist, stellt dies eine enorme Belastung für Hinterbliebene dar. Der Abschluss des Strafverfahrens mit Urteil ist daher für die Angehörigen sehr wichtig. Solange das Verfahren andauert, werden auch immer wieder Abläufe der Tat in der Öffentlichkeit diskutiert. Nach derzeitigem Stand der Ermittlungen ist davon auszugehen, dass derjenige Tatverdächtige, der sich in U-Haft befindet, aller Voraussicht nach mit großer Wahrscheinlichkeit den Mord begangen hat. Wir wissen natürlich aber alle nicht, was die Hauptverhandlung noch zutage bringen kann.
Die zwei Beschuldigten belasten sich gegenseitig, erzählen aber fast die gleiche Geschichte. Was sagen Sie zur Verantwortung der beiden Männer?
Denifl: Es ist richtig, dass sich die Tatverdächtigen wechselseitig mit beinahe identen Aussagen belasten. Eine derartige Konstellation ist mir noch nie untergekommen und auch nicht von Mordfällen aus medialer Berichterstattung bekannt. Es ist daher äußerst ungewöhnlich, aber nur eine Version kann stimmen.
Wann rechnen Sie mit einem Prozess?
Denifl: Ich gehe davon aus, dass noch im Jänner ein Abschlussbericht vorliegen wird. Die Strafverhandlung vor dem Geschworenengericht könnte somit im Frühjahr 2024 stattfinden.
Wie bereiten Sie Ihre Mandanten, Verbrechensopfer oder Hinterbliebene, auf die Verhandlung vor?
Denifl: Es ist natürlich völlig unterschiedlich, ob Verbrechensopfer als Zeugen bei Gericht aussagen müssen oder nicht. Sofern dies der Fall ist, etwa bei Körperverletzungen oder Raubüberfällen, wird die Aussage mit den Opfern besprochen. Sie werden zum Beispiel auf die Möglichkeit hingewiesen, dass eine abgesonderte Vernehmung (Anm.: der Angeklagte befindet sich während der Zeugenbefragung nicht im Gerichtssaal) möglich ist. Eine solche abgesonderte Vernehmung wird bei schweren Straftaten auch regelmäßig gewünscht. Die Verbrechensopfer oder Hinterbliebenen werden auch auf die Möglichkeit der Geltendmachung von Privatbeteiligtenansprüchen hingewiesen. Bei Hinterbliebenen, welche nicht in die Tat involviert sind, fällt deren Zeugenaussage weg.
Raten Sie manchmal Hinterbliebenen, sich den Prozess nicht anzutun?
Denifl: Grundsätzlich befürworte ich, dass Hinterbliebene bei Mordprozessen nicht bei der Verhandlung anwesend sind. Sofern sie trotz dieses Rates zumindest bei Teilen des Verfahrens dabei sein möchten, werden sie durch eine psychosoziale Prozessbegleitung unterstützt. Beim Mordprozess BH Dornbirn etwa waren die Angehörigen nicht anwesend.
Wie wichtig ist ein strafrechtlicher Schlussstrich für die Hinterbliebenen?
Denifl: Es hängt natürlich davon ab, wie das Verfahren ausgeht und ob die verhängte Strafe auch den Vorstellungen der Opfer oder Hinterbliebenen entspricht. Die Verhandlungen stellen aber für Opfer, die selbst anwesend sein müssen, natürlich eine erhebliche Belastung dar, und auch Hinterbliebene sind froh, wenn das Verfahren mit einem Urteil einen Abschluss findet. Einige Täter entschuldigen sich.
Wollen Opfer oder deren Angehörige solche Entschuldigungen überhaupt hören – und wie sieht es im aktuellen Fall aus?
Denifl: Bei geringfügigen Vergehen kommt es öfters vor, dass sich Täter bei den Opfern oder bei mir entschuldigen. Opfer reagieren da völlig unterschiedlich. In den überwiegenden Fällen wird die Entschuldigung aber angenommen. Ein direkter Kontakt zwischen Tätern und Hinterbliebenen ist jedenfalls zu unterbinden. Es käme allenfalls die Möglichkeit einer schriftlichen Entschuldigung in Betracht. In diesem Fall hat sich der Tatverdächtige meines Wissens nach nicht bei der Familie gemeldet.
Welche Ansprüche haben die Hinterbliebenen?
Denifl: Eltern, Kinder oder Ehegatten von Mordopfern steht nach der Rechtsprechung zumindest ein Trauerschmerzengeld von 20.000 Euro im Strafverfahren zu. Bei anderen Angehörigen, wie Geschwistern, kommt es auf das Naheverhältnis an und fallen die Beträge geringer aus. Zivilrechtlich sind meist höhere Schadenersatzansprüche gerechtfertigt. Oft können Täter nicht zahlen.
Wie kommen Hinterbliebene bzw. Verbrechensopfer trotzdem zu ihren Ansprüchen?
Denifl: Es ist natürlich leider tatsächlich der Fall, dass Täter nur ausnahmsweise selbst Zahlungen leisten können. Es gibt aber die Möglichkeit nach dem Verbrechensopfergesetz, Ansprüche beim Sozialministerium geltend zu machen. Da gibt es pauschalierte Schmerzengeldzahlungen oder auch die Übernahme von Bestattungskosten bis zu einer bestimmten Höhe. Die gesamten Ansprüche können aber auch nicht im Rahmen des Verbrechensopfergesetzes abgedeckt werden.