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Häusliche Gewalt in Vorarlberg: So hat sich die Lage entwickelt und was Betroffene tun können

27.02.2024 • 23:00 Uhr
Wer in den eigenen vier Wänden nicht vor Scherben sicher ist, muss dies nicht still erdulden.<span class="copyright"> SEBASTIAN GOLLNOW/DPA</span>
Wer in den eigenen vier Wänden nicht vor Scherben sicher ist, muss dies nicht still erdulden. SEBASTIAN GOLLNOW/DPA

Die jüngsten Femizide in Österreich haben eine Debatte über häusliche Gewalt entfacht. Wie die Situation in Vorarlberg ist und welche Warnsignale es zu erkennen gibt.

Die schockierenden Femizide, die am vergangenen Wochenende Österreich erschütterten, kurbeln wieder die Debatte über das Thema häusliche Gewalt an. Binnen 24 Stunden seien in Wien so viele Frauen von Männern getötet worden „wie im gesamten Jahr 2023“, so der Verein Autonome Österreichische Frauenhäuser (AÖF) am Sonntag zur APA.

Trennung und Scheidung als Risiko

Doch häusliche Gewalt betrifft nicht nur die Großstadt, sondern auch Vorarlbergerinnen in vielfältiger Form. Das kann von Drohungen und Demütigungen über Vergewaltigungen bis zu Haare ziehen und Verletzungen mit Waffen oder, wie gerade in Wien, bis zu Femiziden gehen. Gerade Trennungen und Scheidungen gelten als besonders gefährliche Zeitabschnitte für Tötungsdelikte und schwere Gewalt, erläutert die Leiterin des Gewalt­schutz­zen­trums Vor­arl­berg Angelika Wehinger. „Die Wahrscheinlichkeit, dass Frauen in dieser Zeit von ihren Partnern getötet werden, ist vielfach höher.“ Hintergrund davon sei ein Besitzdenken und der drohende Kontrollverlust.

Entwicklung in Vorarlberg


Doch wie ist die aktuelle Lage im Land? Es suchten in den vergangenen Jahren mehr Betroffene von Gewalt professionelle Hilfe auf. „Die Zahl der Menschen, die sich an das ifs-Gewaltschutzzentrum gewendet haben, ist in den vergangenen Jahren gestiegen“, so die Leiterin der ifs-Gewaltschutzstelle Angelika Wehinger. Während es 2020 noch 795 Klientinnen und Klienten waren, waren es im vergangenen Jahr 1043. Diese steigenden Zahlen müssen jedoch nicht automatisch bedeuten, dass die häusliche Gewalt hierzulande mehr geworden ist. Stattdessen kann dies ein Indiz dafür sein, dass sich Opfer häufiger wehren und Hilfe suchen. Dadurch, dass häusliche Gewalt nicht mehr nur hinter verschlossenen Türen stattfindet, sondern verstärkt öffentlich thematisiert wird, kann dies dazu führen, dass womöglich Betroffene sich nicht mehr derart vor einem Besuch bei einer Beratungseinrichtung scheuen. Das bedeute, dass auch das Bewusstsein gestiegen sei und Gewalt keine „Privatsache“ mehr sei oder erduldet werden müsse, so Wehinger.

Menschenrechtsverletzung

Tatort ist dabei meist das trügerisch sicher wirkende Zuhause. „Für Frauen ist die eigene Wohnung der gefährlichste Ort“, erklärt Wehinger. Und dabei ist bewusst von Frauen die Rede. „Frauen sind überproportional von Gewalt im häuslichen Kontext betroffen.“ Beim Betrachten der Zahl an Klienten und Klientinnen des Gewaltschutzzentrums ergibt sich ein eindeutiges Geschlechterverhältnis in Sachen Stalking und häuslicher Gewalt: 82,9 Prozent der Opfer von häuslicher Gewalt waren 2023 weiblich, etwa 90 Prozent der Täter waren männlich. Gewalt von Männern an Frauen im privaten Kontext bezeichnet Wehinger als häufigste schwere Menschenrechtsverletzung. ­Dies sei eng mit den Strukturen der Gesellschaft verwoben. „Das Geschlechterverhältnis in einer patriarchalen Gesellschaft ist wesentlich durch die Machtgefälle gekennzeichnet und die Gewalt dient dazu, die Machtungleichheit in Beziehungen aufrechtzuerhalten“, führt sie dies aus. Natürlich macht die Gewalt auch vor männlichen Opfern keinen Halt – dann passiert die Gewalt meist am Schauplatz öffentlicher Raum und Täter sind dann meist wiederum Männer.

Tägliches Einschreiten der Polizei

Wer sich in einer akuten Gefährdungs- oder Bedrohungssituation befindet, dem rät Wehinger dazu, den Polizeinotruf zu wählen. „Die Polizei muss in Vorarlberg durchschnittlich teils mehr als einmal pro Tag wegen häuslicher Gewalt einschreiten.“ Wenn Beamte in einer Bedrohungssituation hinzugezogen werden, können sie ein Betretungs- und Annäherungsverbot anordnen. Dies bedeutet, dass die gewaltausübende Person die Wohnung verlassen muss und diese auch zwei Wochen lang nicht mehr betreten darf. Darüber hinaus darf sie sich dem Opfer im Umkreis von 100 Metern nicht mehr annähern. Die Betretungs- und Annäherungsverbote in Österreich und in Vorarlberg sind in den vergangenen Jahren mehr geworden, jedoch in Vorarlberg dann im Vorjahr im Vergleich zu 2022 wieder gesunken. Im Vorjahr waren es in Vorarlberg 503 Betretungs- und Annäherungsverbote, 2022 waren es 518, 2021 wurden 475 gezählt und 2020 waren es noch 425. Österreichweit lagen zuletzt für 2023 noch keine Zahlen vor. Im Jahr 2022 wurden 14.589 Betretungs- und Annäherungsverbote angeordnet, 2021 13.546 und 2020 11.495.

Mehr Anträge auf Einstweilige Verfügungen

Wer einen längeren Schutz bewirken möchte, kann beim Bezirksgericht einen Antrag auf Erlassung einer Einstweiligen Verfügung einreichen. Dabei hilft auch das Vorarlberger Gewaltschutzzentrum mit rechtlicher Beratung und Unterstützung. Im vergangenen Jahr wurden 154 Einstweilige Verfügungen mit Klienten und Klientinnen beantragt. Die Anzahl ist zuletzt gestiegen – zum Vergleich: 2022 waren es 111, 2021 81 und 2020 112.


Neben der rechtlichen Unterstützung bietet das Gewaltschutzzentrum Vorarlberg psychosoziale Beratung an. Dies können Frauen gerade bei Trennungen brauchen. „Ein Ausstieg aus einer Gewaltbeziehung ist meist langwierig und schwierig, da Gewalt an Frauen ein komplexes System ist, in dem es um Macht und Kontrolle geht“, so Wehinger. Durchschnittlich würden Frauen Studien zufolge etwa sieben Anläufe brauchen, um sich aus einer Gewaltbeziehung lösen zu können.

Angelika Wehinger spricht über ihre Erfahrungen im Gewaltschutztenrum. <span class="copyright">IFS</span>
Angelika Wehinger spricht über ihre Erfahrungen im Gewaltschutztenrum. IFS


Wehinger nennt Dynamiken als erschwerende Faktoren für den Ausstieg, die sich in derartigen Beziehungen entwickeln, wie emotionale Abhängigkeit, Herabwürdigung, Isolierung, Zwang und Bedrohung. Deswegen sei es wichtig, bereits erste Anzeichen von Gewaltbeziehungen frühzeitig zu erkennen – wie ständiges Nachfragen nach dem Tagesablauf etwa. Gewalt beginne oft schleichend mit Kontrollhandlungen, erläutert Wehinger. Fragen wie „Wieso triffst du dich schon wieder mit deiner Freundin, ich möchte dich für mich haben!“ würden von den betroffenen Frauen oft zuerst fälschlich als Liebesbeweis interpretiert werden. Diese Isolation kann gefährlich werden. Denn psychische Gewalt hat die Zerstörung des Selbstwertgefühls zur Folge. Betroffene hinterfragen die eigenen Gefühle und Wahrnehmung und verlieren den Glauben an sich selbst. Wenn Freunde dann fehlen, kann auch keiner diese Gedanken korrigieren oder die Wahrnehmung bestätigen. Wehinger appelliert deswegen daran, immer ein soziales Netz und finanzielle Unabhängigkeit zu erhalten, weil dies die etwaige Trennung erleichtern kann.

Häusliche Gewalt in Vorarlberg: So hat sich die Lage entwickelt und was Betroffene tun können
Im Ifs Gewaltschutzzentrum (früher Gewaltschutzstelle) stehen die Türen für Betroffene immer offen. Klaus Hartinger

Bei diesen Warnsignalen sollten Sie aufpassen

Doch wie erkennt das Umfeld, wenn eine Person in eine gewaltgeprägte Beziehung rutscht? „Aufmerksam sollte man dann sein, wenn sich eine Bekannte oder eine Freundin immer mehr zurückzieht, den Kontakt nicht mehr zulässt, sehr verschlossen ist, wenig von der Beziehung erzählt oder auch vereinbarte Treffen mit unschlüssigen Begründungen absagt“, warnt Wehinger. „Alarmzeichen kann auch sein, wenn Frauen Verletzungen – eventuell auch in unterschiedlichen Heilungsstadien – aufweisen und die Erklärung über die Entstehung der Verletzung unrealistisch beziehungsweise nicht glaubwürdig erscheint.“ Wenn Betroffene versuchen, diese zu verbergen, kann es einen stutzig machen. Ein dicker Winterpullover an einem heißen Sommertag kann etwa ein Indiz sein. Hinweise sind auch isolierte Familien, bei denen die Kinder wenig Kontakt zu anderen Kindern haben dürfen. Psychische Gewalt wird auch in der Öffentlichkeit sichtbar, indem Personen die Partnerin etwa lächerlich machen, ihr Äußeres oder den Charakter beleidigen.

Wenn eine Nachbarin nur selten ohne Partner zu sehen ist oder dann eingeschüchtert und nervös wirkt, kann dies ein Hinweis auf häusliche Gewalt darstellen. Wer immer wieder laute Geräusche aus einer Nachbarswohnung hört, kann laut Wehinger eine Unterbrechung herbeiführen, indem man an der Tür klopft und nach einer Milch fragt. „Dies signalisiert, dass die Nachbarschaft mithört und dieses Verhalten nicht akzeptiert.“

Tipps der Expertin


Wird Gewalt bei Bekannten vermutet, soll jedenfalls der Kontakt gehalten werden. Wer das Thema ansprechen möchte, sollte auf die Wahl von Ort, Zeit und Worten achten. „Wichtig ist es, da zu sein, zuzuhören ohne zu werten oder zu Entscheidungen zu drängen“, erklärt Wehinger. „Jedenfalls sollte immer vermittelt werden, dass die Verantwortung für die Gewaltausübung beim Täter liegt“, so Wehinger. Dies sei wesentlich dafür, dass sich Betroffene weiter Unterstützung holen und sich dem Umfeld anvertrauen.