“Da ist oft kein Respekt mehr vorhanden”

Dieter Egger spricht im NEUE-am-Sonntag- Interview über die “sehr ernste” finanzielle Lage der Gemeinden, das Problem mit aggressiven Jugendlichen und seine Bilanz nach fast zehn Jahren als Bürgermeister von Hohenems.
Herr Egger, Sie haben im Vorgespräch gemeint, sie wollen keine Fragen zur Landes- und Bundespolitik beantworten. Warum ist Ihnen das so wichtig?
Dieter Egger: Ich versuche, die Stadt als Unternehmen zu führen. Wir haben 330 Mitarbeiter, sind ein Dienstleistungsbetrieb für 18.000 Kunden. Für mich spielt Parteipolitik auf kommunaler Ebene schlichtweg keine Rolle. Und insofern kommentiere ich auch nichts, schon gar nicht auf landes- und bundespolitischer Ebene.
Dürfen die Bürger denn nicht wissen, wie das Stadtoberhaupt politisch tickt?
Egger: Zu Sachfragen, die Einfluss auf die Gemeinde haben, kann man mich gerne fragen. Aber ich nehme keine parteipolitischen Wertungen vor.
Kommunen sind abhängig von Entscheidungen der Landes- und Bundespolitik, vor allem was die Finanzen betrifft. Fühlen Sie sich ausreichend unterstützt?
Egger: Die finanzielle Situation der Gemeinden in Österreich ist sehr, sehr ernst. Kommunen müssen immer mehr Aufgaben erfüllen. Schlagend wird hier vor allem der Ausbau der Kinderbetreuung, der Kindergärten und der Pflege sowie die zunehmende Bürokratie. Beim Finanzausgleich hat sich aber seit Jahrzehnten nichts geändert. Die Schere zwischen den Anforderungen, die man an Kommunen stellt und den Einnahmen, die zur Verfügung stehen, geht immer weiter auseinander. Kommunen schaffen es mittlerweile nicht mehr, strukturell positive Abschlüsse herbeizuführen. Wir brauchen dringend einen neuen Verteilungsschlüssel mit mehr Einnahmen für die Kommunen.
Für mich spielt Parteipolitik auf kommunaler Ebene schlichtweg keine Rolle.
Dieter Egger, Bürgermeister

Die Stadt Hohenems hat in ihrem Voranschlag ein Defizit von knapp 700.000 Euro ausgewiesen und muss Rücklagen angreifen, um ausgeglichen zu budgetieren. Was bedeutet das für zukünftige Entwicklungsprojekte?
Egger: Normalerweise werden Überschüsse aus den laufenden Budgets erwirtschaftet. Früher waren das bei uns immer so drei bis vier Millionen Euro, mit denen wir dann auch etwa Infrastrukturprojekte finanzieren konnten. Das gelingt nicht mehr und wird sich so bald auch nicht ändern, wenn sich im Finanzausgleich nichts ändert. Die Lücke, die in den letzten drei Jahren entstanden ist, kann man – auch wenn die Konjunktur jetzt anspringen würde – nicht so schnell schließen. Die Personalkosten sind in den letzten zwei Jahren um 20 Prozent gestiegen, die Baukosten um 30 Prozent, auch die Energie ist bekanntermaßen teurer geworden. Auf der anderen Seite haben wir rückläufige oder stagnierende Einnahmen. Jeder, der zu Hause einen Haushalt führt, weiß, dass sich das auf Dauer nicht ausgeht.
Aber was heißt das für aktuelle Projekte in Hohenems bzw. jene, die sie in Angriff nehmen wollen?
Egger: Wir müssen uns derzeit sehr nach der Decke strecken. Ich wollte in dieser Periode beispielsweise den Schlossplatz umbauen. Das war finanziell schlichtweg nicht verantwortbar.
Ich wollte in dieser Periode beispielsweise den Schlossplatz umbauen. Das war finanziell schlichtweg nicht verantwortbar.
Dieter Egger, Bürgermeister
Im Voranschlag wurden für den Schlossplatz aber schon 350.000 Euro reserviert.
Egger: Das wäre nur eine kleine Maßnahme gewesen. Wir werden das aber nicht umsetzen. Der Schlossplatz ist mit seinen unterschiedlichen Höhenlagen eine besondere Herausforderung, da kommen wir mit kleinteiligen Lösungen nicht weiter.
Wie schaut es mit dem geplanten Familienzentrum aus? Das wird sich finanziell auch nicht ausgehen, oder?
Egger: Die nächsten Jahre werden wir uns verstärkt um den Stadtteil Herrenried kümmern. Die Ortsteilzentren, also das unmittelbare Lebensumfeld der Menschen ist unserer Ansicht nach sehr wichtig. Wir haben im Herrenried eigene Grundstücke, die wir verwerten können und etwa für leistbares Wohnen für jungen Familien zur Verfügung stellen können. Mit den Einnahmen, die dort lukriert werden, können wir dann ein Familienzentrum oder eine Erweiterung der Sportstätten beziehungsweise zusätzliche Bildungseinrichtungen umsetzen.

Aktuell wird ein neues Rathaus errichtet. Kritiker sagen, dass Sie sich damit ein Denkmal bauen wollen, während andere Projekte wie das Familienzentrum in weite Ferne rücken?
Egger: Hohenems hat sich in den letzten Jahren sehr dynamisch entwickelt hat. Wir haben ordentlich investiert in die Stadtentwicklung, das ist sichtbar. Der größte Brocken – und das verkennen die Kritiker gerne – waren Investitionen in den Bildungsbereich. Das waren 40 Millionen Euro. Das Rathaus ist seit 30 Jahren ein Thema. Wir platzen aus allen Nähten, wir sind auf mehrere Gebäude aufgeteilt. Das ist nicht nur von den Abläufen her katastrophal, sondern auch eine Wirtschaftlichkeitsfrage. Wir zahlen derzeit in großen Gebäuden sehr hohe Mieten und haben alte Gebäude, wie das Rathaus, mit sehr hohen Energiekosten. Mit den Einsparungen können wir einen guten Teil der Investitionen in ein neues Rathaus decken und das ist wirtschaftlich sinnvoll.
Im neuen Rathaus-Quartier wird derzeit kräftig gebaut. Kritik gab es unter anderem daran, dass die Stadt eine Kaufoption hatte, diese nicht gezogen hat und später teurer Grund zurückkaufen musste.
Egger: Für uns war klar, dass wir niemals in der Lage sein werden, dieses große Investitionsvolumen zu stemmen. Wir reden hier von 60 bis 70 Millionen Euro Investitionen. Wir wollten aber wichtige Rahmenbedingungen, sprich öffentliche Bereiche definieren, und einem potenziellen Käufer weitergeben. Das haben wir mit einem Projektsicherungsvertrag auch gemacht. Der Standort für das neue Rathaus hat sich in einem gemeinsamen Entwicklungsprozess herauskristallisiert, das war am Anfang so nicht absehbar. Am Ende haben wir die nicht ganz 1000 Quadratmeter zurückgekauft.
Wie läuft die Zusammenarbeit mit den anderen Parteien?
Egger: Grundsätzlich sehr positiv. Es gibt natürlich auch bei uns das eine oder andere kleine Scharmützel, aber das muss Platz haben. Wichtig ist, dass wir die Dinge an den Tischen ausdiskutieren und nicht in der Öffentlichkeit, dann kommen gute Ergebnisse heraus.

Die Opposition wirft Ihnen vor, die Verkehrsentschärfung beim Schwimmbad Rheinauen als Ihren Erfolg verkauft zu haben, obwohl es sich ursprünglich um einen Antrag der Opposition gehandelt habe.
Egger: Das war genau umgekehrt. Wir haben zu dem Thema gemeinsam mit Altach schon 2018 eine Planung beauftragt, die wir auch im Ausschuss vorgestellt haben. Damals wurde auch eine größere Lösung mit eigener Autobahnanbindung untersucht. Altach hat dann die Federführung übernommen und Verhandlungen mit dem Bund geführt. Ich habe immer gesagt, dass man die Entscheidung abwarten sollte, bevor man kleinteilige Lösungen angeht. Und genau so haben wir das umgesetzt. Die SPÖ hat dann irgendwann das Thema aufgegriffen und das mit dem Antrag untermauert, obwohl die Fachabteilung schon lange an der Arbeit war.
Ihre Einstellung zum Thema Flüchtlingspolitik ist mittlerweile eine andere wie jene der Landes- und Bundes-FPÖ. Hat man als Bürgermeister, quasi an der Front, einen anderen Blick für die Dinge?
Egger: Naja, also grundsätzlich ist mein Zugang der, nicht nur Probleme zu sehen, sondern Lösungen zu finden. Ich kann die Flüchtlingspolitik der Europäischen Union und der Nationalstaaten nicht wirklich beeinflussen. Die Gemeinden sind quasi die letzten Glieder in der Kette, bei uns kommen die flüchtenden Menschen an. Ich sehe es als meine Aufgabe an, die Integration in Hohenems zu fördern, den Menschen Perspektiven zu geben und für ein friedliches Zusammenleben zu sorgen.
Gelingt Ihnen das?
Egger: Ich glaube, wir machen das sehr vorbildhaft.
Woran machen Sie das fest?
Egger: Wir bieten den Menschen Arbeit an, bieten Sprachkurse an, versuchen sie in Vereine zu integrieren und erwarten auf der anderen Seite den nötigen Respekt vor unseren Werten und Gesetzen. Natürlich gibt es hin und wieder auch Vorkommnisse, aber in Summe haben wir wenig Probleme.

Wie sicher ist Hohenems?
Egger: Sehr sicher. Wir merken natürlich, das gewisse Delikte zunehmen. Aber davon, dass wir uns unsicher fühlen müssen, sind wir noch weit weg. Was uns Sorge bereitet, ist der Personalstand bei der Polizei. Bund und Land sind dringend gefordert. Es braucht eine grundlegende Gehaltsreform. Die Aufgaben der Polizistinnen und Polizisten werden immer herausfordernder. Die Beamtinnen und Beamten sehen sich immer öfter mit Aggressionen konfrontiert.
Der Respekt gegenüber der Exekutive ist bei bestimmten Bevölkerungsgruppen massiv zurückgegangen. Das äußert sich auch in aggressivem Verhalten und das macht den Polizeiberuf nicht einfacher
Dieter Egger, Bürgermeister
Ist das auch in Hohenems der Fall?
Egger: Ja, das ist Tagesgeschäft. Der Respekt gegenüber der Exekutive ist bei bestimmten Bevölkerungsgruppen massiv zurückgegangen. Das äußert sich auch in aggressivem Verhalten und das macht den Polizeiberuf nicht einfacher.
Welche Bevölkerungsgruppen meinen Sie genau?
Egger: Hauptsächlich Jugendliche, vor allem jene mit Migrationshintergrund. Da merken wir, dass oft kein Respekt mehr vorhanden ist. Aber es zieht sich quer durch die Bevölkerung. In Krisenzeiten liegen die Nerven halt blank.
Gibt es Hotspots in Hohenems?
Egger: Klassische Hotspots wie in Dornbirn der Bahnhof gibt es bei uns nicht. Bei uns sind das eher die Schulhöfe, wo wir öfters mit Vandalismus konfrontiert sind.
Aggressive Jugendliche sollten aber nicht nur ein Thema für die Polizei sein, sondern vor allem für die Jugendarbeit.
Egger: Wir haben glücklicherweise eine sehr gute offene Jugendarbeit. Auch mobile Jugendarbeiter sind im Einsatz. Die gehen teilwiese gemeinsam mit der Exekutive auf Patrouille. Die Kooperation zwischen Polizei und Jugendarbeit funktioniert bei uns sehr gut. Manchmal hilft’s, aber es ist kein Allheilmittel.

Wie sieht´s beim Thema Kinderbetreuung aus?
Egger: Wir haben es bis jetzt immer geschafft, die Nachfrage zu bedienen. Das Interessante ist, dass nicht die Kinderanzahl per se steigt, sondern einfach der Bedarf steigt. Es kommen immer jüngere Kinder in die Kinderbetreuungseinrichtungen und die Betreuungszeiten müssen ausgedehnt werden. Sorge, bereitet uns, dass es immer mehr Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf gibt.
Die Innenstadt Hohenems hat sich in den letzten Jahren städtebaulich gut entwickelt. Man rechnet diese Entwicklung Ihnen zu. Aber eigentlich war schon vieles auf Schiene, nicht?
Egger: Natürlich hat es früher immer wieder Planungen und Konzepte gegeben. Schlussendlich geht es aber um die Umsetzung. Ich glaube, wir haben in den letzten acht Jahren bewiesen, dass wir die Dinge sehr konsequent und zielstrebig umsetzen. Ich betone aber immer wieder, dass es da ganz viele Mitspieler braucht. Es braucht die politischen Gremien, die mitziehen, aber auch private Investoren, die diesen Prozess unterstützen. Und ich glaube, es ist sehr gut gelungen, zu zeigen, was Hohenems sein kann und wo die Stärken und die Qualitäten liegen.
Früher wurde in Hohenems viel gestritten. Wie sehen Sie Ihre Rolle, ist die positive Dynamik Ihr Verdienst?
Egger: Wie heißt es so schön im Volksmund: „Ein Holz gibt kein Kreuz“? Auch hier braucht es mehrere Leute, die an einem Strang ziehen. Aber natürlich beginnt es beim Kopf. Ich binde alle mit ein und versuche, wie bereits erwähnt, das Amt nicht parteipolitisch zu führen. Wenn jemand gute Ideen hat, werden diese auch umgesetzt. Diese positive Dynamik hat sich Hohenems verdient.

Wie geht’s dem Handel in der Innenstadt? Man hört nicht nur Gutes. Es heißt, es fehlt ein Frequenzbringer und ein Nahversorger?
Egger: Der stationäre Handel in den Innenstädten hat es überall schwer. Aber grundsätzlich sind wir mit unserem Konzept der kleinen, eigentümerbetriebenen Geschäfte auf einem sehr guten Weg. Wir haben wenig Leerstand und die Geschäfte bringen Charme und Flair in die Stadt.
Zum Thema Verkehr: Der schon seit vielen Jahren diskutierte Umbau der Anschlussstelle Hohenems soll 2025 starten. Warum dauert das so lange?
Egger: Die Verkehrsministerin hat ja alle Straßenbauprojekte auf Eis gelegt – mit dem Argument, dass diese zuerst evaluiert werden müssen. Das hat auch uns getroffen. Wir haben zwei Jahre auf grünes Licht gewartet. Aber jetzt sind die Vereinbarungen unterschrieben.
Tempo 30 auf Landesstraßen wird derzeit wieder allerorten diskutiert. Was halten Sie davon?
Egger: Da bin ich skeptisch. Ich glaube, es gewinnt niemand, wenn wir das Tempo überall reduzieren und der Verkehr dann stockt. Wir haben gerade ein neues Verkehrsregime umgesetzt und auf Gemeindestraßen größtenteils Tempo 30 umgesetzt. Dort, wo Gemeindestraßen eine Erschließungsfunktion haben, gilt bei uns Tempo 40 und auf Landesstraßen Tempo 50. Dieses Verkehrsregime schützt einerseits die Wohnbevölkerung und sorgt andererseits für eine gewisse Flüssigkeit des Verkehrs.

Sie sind jetzt seit fast zehn Jahren Bürgermeister. Wie fällt iIhre persönliche Bilanz aus?
Egger: Ich bin sehr zufrieden. Wir haben bewiesen, dass Hohenems ein Riesenpotenzial hat und dass es eine sehr schöne und liebenswerte Stadt ist. Wir haben sehr viel umgesetzt in einer sehr kurzen Zeit, haben aber auch noch sehr spannende, große und schöne Aufgaben vor uns.
Der frühere Vizebürgermeister Bernhard Amann (Ems isch üsr) hat in einem Interview nach der Wahl 2020 gesagt, dass Sie wieder mehr auf Urlaub gehen könnten, weil Sie mit Patricia Tschallener (Grüne) jetzt eine pflegeleichte Vizebürgermeisterin hätten. Und – gehen Sie mehr auf Urlaub?
Egger: (lacht) Ich bin grundsätzlich kein Mensch, der viel Urlaub macht. Das habe ich mein Leben lang nicht gemacht, weder in der Privatwirtschaft noch in der Politik. Ich arbeite einfach sehr gerne. Das hat jedenfalls nichts mit den von Ihnen genannten Personen zu tun.
Sie sind jetzt 55, könnten also noch einmal gut zehn Jahre im Amt sein. Wollen Sie als Bürgermeister in Pension gehen?
Egger: Ich habe mich entschieden, dass ich bei der nächsten Wahl im Jahr 2025 kandidieren werde und da sind die Bürgerinnen und Bürger am Wort. Dann schauen wir weiter.
Nehmen wir einmal an, sie bleiben noch zwei Perioden. Wie soll Hohenems dann ausschauen?
Egger: Wir wollen diese positive Entwicklung weiterführen. Hohenems soll ein Ort der Begegnung und des Miteinanders sein; ein Ort mit Lebensqualität, lebendigen Ortszentren und einer guten Infrastruktur.
Zur person
Dieter Egger zog 1999 in den Landtag ein. Von 2003 bis 2004 war der FPÖ-Politiker zunächst als Landesstatthalter, dann von 2004 bis 2009 als Landesrat Mitglied der Landesregierung. Von 1999 bis 2003 sowie von 2009 bis 2020 war er Landtagsabgeordneter. Von 2004 bis 2016 war er FPÖ-Landesparteiobmann. Seit 2015 ist Egger Bürgermeister von Hohenems.