Vom Frühlingsmorgen bis zum Meeressturm mit dem SOV

Das Konzert des SOV stand dieses Mal ganz im Zeichen des französischen Impressionismus. Ein schön zusammengestelltes Programm entführte das Publikum in die Musik der „Grande Nation“ nach der Jahrhundertwende.
Von Thomas Thurnher
Für das fünfte Abonnement-Konzert am vergangenen Wochenende konnte das Symphonieorchester Vorarlberg (SOV) den jungen aufstrebenden Dirigenten Giuseppe Mengoli gewinnen. Der 1993 geborene Italiener ist Multi-Instrumentalist, Gewinner der renommierten Mahler-Competition 2023 und sicherlich einer der aufsteigenden Sterne am Dirigentenhimmel.
Schon mit dem Eröffnungsstück „D’un matin de printemps“ („Von einem Frühlingsmorgen“) der allzu früh verstorbenen französischen Komponistin Lili Boulanger (1893–1918) zeigt Mengoli, was er will: Er verströmt mit großzügigen Gesten spätromantisches Flair, erweckt mit federnden Bewegungen duftige Musik zum Leben und modelliert mit bloßen Händen aus dem kurzen, aber intensiven Stück der jungen Französin ein kleines tönendes Juwel.

Dieses Frühlingsstück der 24-jährigen Komponistin, die 1912 als erste Frau überhaupt den begehrten Rom-Preis von einer tatsächlich sehr am männlichen Komponistenbild orientierten Jury zugesprochen bekam, begeisterte das hiesige Publikum mit seiner Musik, die mit erlesenen Klängen die reiche französische Tradition des 19. Jahrhunderts in eine aufregende Moderne führt.
Sinnliches Saxophon
Als weiteres Werk ist Alexander Glasunows Konzert für Alt-Saxophon und Streichorchester aufs Programm gesetzt. Als Solistin konnte die aus der Krim gebürtige und in ihrer Wahlheimat Hamburg aufgewachsene Saxophonistin Asya Fateyeva gewonnen werden. In diesem Stück, das im französischen Exil entstanden ist, trifft der mittlerweile in Paris gut integrierte russische Komponist Glasunow den französischen Ton zwar recht gut, spricht aber noch immer mit einem unverkennbar russischen Akzent.
Weitschweifende lyrische Kantilenen, hymnisch, aber voller Schwermut, die die Anlehnung an Tschaikowsky noch immer gut erkennen lassen, werden von der Solistin mit einem wundervoll singenden Ton, innig und voll Leidenschaft, dann aber wieder leichtfüßig, perlend und mit atemberaubend prickelnden Leggiero-Läufen aus ihrem Instrument gezaubert – nie affektiert, sondern immer ausgewiesen fein, gut austariert und subtil gestaltend.

Auch der Dirigent und das akkurat begleitende SOV lassen sich von der Musizierfreude Asya Fateyevas anstecken und so entsteht ein stimmiges, in sich gerundetes gemeinsames Musizieren. Das begeisterte Publikum bekommt als Dank für den großen Applaus noch eine spritzige Zugabe: den ersten Satz („vide“) aus Darius Milhauds Konzertsuite „Scaramouche.“
Schönes Klangband
Nach der Pause steht Claude Debussys „Prélude à l’après-midi d’un faune“ („Der Nachmittag eines Fauns“) auf dem Programm dieses Konzerts. Maestro Giuseppe Mengoli überlässt das berühmte eröffnende Flöten-Solo völlig unangeleitet der ersten Flötistin des Orchesters, Anja Nowotny-Baldauf, die es auch wirklich zu gestalten weiß. Diese schöne Geste, die großes Vertrauen zum Orchester voraussetzt, ermöglicht im Folgenden ein bezauberndes Klangstück von duftend-schwebender Tonalität, voll von Sehnsucht und müder Nachmittags-Melancholie, das zu einem Schlüsselwerk des Impressionismus und nachfolgend zu einem der Schlüsselwerke der Musik der Moderne werden sollte.

Verspielte Passagen und kleine preziöse Phrasen von großer Leidenschaft werden in den vorantreibenden Gesten des Dirigenten derart schlüssig miteinander verklammert, dass die Musik trotz aller kurzweiligen Detailverliebtheit immer einen starken Verlaufsstrang behält.
Elegische Klänge
Lili Boulangers Stück „D‘un soir triste“ („An einem traurigen Abend“) berührt dann mit elegischer Schwere. Wieder bringt die junge Komponistin erlesene Klänge, diesmal aber von morbider Schönheit, voll von großem Schmerz und verzweifelnder Dramatik. Welch großes Talent musste hier allzu früh sterben! Vielleicht ist dieses Werk aus ihrem Todesjahr auch ihre Auseinandersetzung mit ihrem Schicksal, das sie auf sich nehmen zu müssen erahnte.
Am Ende des Konzertes konnte das Publikum noch in ein großes Klanggemälde voller erlesener Farben eintauchen. Das Meer („La mer“), das Claude Debussy so sehr liebte – wäre er doch von seiner Familie als Seemann bestimmt gewesen –, wurde von ihm in all seinen Nuancen, von den feinen Wellen bis zum heftigen Sturm beschrieben. Auch hier ist nichts Klischee, nein, alles ist originelle und originäre Klangsprache, subtil, überraschend und überzeugend. Am Ende schwappt ein großer Applaus über, den Dirigent Mengoli gerne an das Orchester weitergibt. Und das Orchester dankt zurück: Mit den Füßen trampelnd dankt es für die gelungene Zusammenarbeit.