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Der Medizinmann unter den Anwälten

12.05.2025 • 09:03 Uhr
Der Medizinmann unter den Anwälten
Rechtsanwalt Patrick Beichl konzentriert sich voll und ganz auf den Bereich der Arzthaftung. Hartinger

Was, wenn der Eingriff nicht heilt, sondern krank macht? Wenn Medizin versagt, beginnt für viele ein zweiter Kampf: vor Gericht. Patrick Beichl kennt solche Fälle. Der Feldkircher Anwalt hat sich auf Arzthaftung spezialisiert – und auf den Blick auf die andere Seite der Medizin.

Lange Zeit galten Ärztinnen und Ärzte als unfehlbar – Halbgötter in Weiß, deren Entscheidungen kaum hinterfragt wurden. Dieses Bild hat sich verändert. Patientinnen und Patienten treten heute kritischer auf, informieren sich selbst, stellen Fragen. Und doch bleibt ein Ungleichgewicht: Wer sich in ärztliche Behandlung begibt, gibt Kontrolle ab – und muss darauf vertrauen, dass alles richtig läuft.
Patrick Beichl begleitet Menschen, bei denen dieses Vertrauen erschüttert wurde. Der Feldkircher Rechtsanwalt hat sich auf Medizinrecht und Arzthaftung spezialisiert. Er weiß, welche Vorstellung in der öffentlichen Wahrnehmung dominiert, wenn es um Behandlungsfehler geht: spektakuläre Ausnahmen – ein falsch amputiertes Bein, ein vergessener Tupfer im Bauch, eine dramatische Verwechslung. Doch in der Realität sind die Fälle weniger eindeutig, oft sehr komplex und vor allem schwer zu beweisen.
Beichls Akten erzählen von Patienten, deren Leben sich nach einem Eingriff mitunter grundlegend verändert hat. Von Fehlern, die auch mit viel Geld nicht wiedergutzumachen sind. Und von Ärzten, die eben keine Halbgötter sind, sondern Menschen, die unter Druck stehen, Entscheidungen treffen müssen und dabei mitunter auch schwere Fehler machen.

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Der Weg ins Medizinrecht

Die Spezialisierung auf Medizinrecht kam nicht über Nacht. Beichl ist kein verkappter Arzt, der sich im Gerichtssaal medizinisch austobt. Wie so oft im Leben spielte auch hier der Zufall eine Rolle. Schon während seiner Ausbildung kam er immer wieder mit Arzthaftungsfällen in Berührung, damals allerdings auch auf Seiten von Versicherungen, Spitälern oder Ärzten. „Ich fand den Bereich von Anfang an spannend“, erinnert er sich. Später folgte ein zweijähriger Lehrgang für Medizinrecht. Eines ergab das andere. Heute bearbeitet Beichl fast ausschließlich medizinrechtliche Verfahren.
Auch dass er einmal Rechtswissenschaften studieren würde, war keineswegs vorgezeichnet. „Als ich damals nach Innsbruck fuhr, um mich zu inskribieren, wusste ich nicht genau, was ich studieren wollte“, sagt der 45-jährige Jurist heute. Rückblickend nennt er augenzwinkernd eine eher unerwartete Inspirationsquelle: Barbara Salesch, die in der gleichnamigen deutschen Fernsehsendung als Richterin tausende fiktive Fälle verhandelte. „Das hat mir damals gefallen. Es war zumindest immer unterhaltsam.“

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Auf der Seite der Patienten. Dass Beichl heute ausnahmslos aufseiten der Patienten steht, ist weniger eine Abgrenzung zur Ärzteschaft als eine Frage der Haltung. Mediziner seien in der Regel gut abgesichert, sagt er – durch Strukturen, Erfahrung, Versicherungen. Patienten dagegen seien häufig allein, gesundheitlich angeschlagen, juristisch unerfahren – und vor allem beweispflichtig. „Mich interessiert dieses Ungleichgewicht – medizinisch, juristisch, aber auch menschlich.“
Vielleicht, meint der Anwalt, sei das schon immer so gewesen. „Wie mir meine Mutter erzählt hat, soll ich schon im Kindergarten darauf geschaut haben, dass den Kleineren nichts passiert.“

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Beweispflicht

Wer einem Spital oder einer Ärztin einen Fehler vorwirft, muss nicht nur den Schaden nachweisen, sondern auch ein Verschulden – und den ursächlichen Zusammenhang zwischen beidem. Das sei im Zivilrecht zwar nichts Ungewöhnliches, aber in medizinischen Fällen besonders schwierig. Denn die entscheidenden Informationen kommen fast immer von der Gegenseite. Gutachter stützen sich meist auf die schriftliche Dokumentation der Spitäler und Ärzte. Wenn diese lückenhaft oder beschönigt seien, lasse sich ein Fehler nur schwer nachweisen. „Ein OP-Bericht enthält naturgemäß keine Selbstbezichtigung“, sagt Beichl. Die Einschätzung der Sachverständigen ist oft ausschlaggebend für den Ausgang eines Verfahrens. Es gebe viele Gutachter, die sehr sachlich arbeiten – aber auch andere. Manche, so seine Erfahrung, verteidigten eher die ärztliche Sicht, statt neutral zu prüfen. Auch bei den Gerichten beobachtet Beichl Unterschiede. „Es gibt Richter, die glauben zunächst dem Arzt und sagen: Der wird schon nicht lügen.“ Andere hingegen schauen genau hin, prüfen die Dokumentation und fragen kritisch nach.

Wenn die Medizin versagt

Die Bandbreite der Fälle ist groß – und folgt doch gewissen Mustern. Viele Verfahren drehen sich um Diagnosefehler. Etwa, wenn sich ein Arzt nur die Röntgenbilder angeschaut hat, obwohl ein MRT notwendig gewesen wäre. Aber auch mit handwerklichen Fehlern hat Beichl zu tun – besonders häufig bei Knie- und Hüftprothesen. „Bei der Handchirurgie passiert ebenfalls viel“, sagt der Anwalt, „weil dort oft nicht spezialisierte Ärzte operieren, obwohl es ein sehr technisches Fach ist.“ Ein weiteres zentrales Thema sind Aufklärungsfehler – etwa dann, wenn Patienten nicht ausreichend über Risiken, Alternativen oder den Verlauf eines Eingriffs informiert werden. „Auch wenn eine Operation nicht alternativlos ist, muss der Arzt den Patienten über die ­konservativen Optionen aufklären – mit allen Vor- und Nachteilen.“

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Patrick Beichl. Hartinger


Was viele von Beichls Fällen verbindet, ist nicht nur der medizinische Verlauf, sondern der Umgang mit mutmaßlichen Fehlern. Die Frage, wie im Gesundheitssystem darüber gesprochen wird – oder eben nicht –, beschäftigt den Juristen. „Das Thema Fehlerkultur interessiert mich sehr.“ Bis in die 1990er-Jahre sei es praktisch kein Thema gewesen, dass einem Arzt überhaupt ein Fehler passieren könne. Manches sei aus Angst um den Ruf des Spitals verschwiegen worden, manches aus Eitelkeit. Noch heute würden viele Vorfälle als bloße Komplikationen dargestellt. „Dabei geht es ja nicht um Böswilligkeit, sondern um vermeidbare Fehler.“ Vieles ließe sich entschärfen, wenn früher offen gesprochen würde – doch genau das passiere selten.