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„Bin dankbarer und gelassener geworden“

23.03.2024 • 23:00 Uhr
nterview mit Thomas Stubler vom KIT.
Das KIT-Büro ist im Areal des Landesfeuerwehrverbandes in Feldkirch untergebracht. Stolz präsentiert Koordinator Thomas Stubler ein Foto der am 1. Dezember 2023 in Dienst gestellten Ehrenamtlichen. Klaus hartinger

Seit zehn Jahren ist Thomas Stubler Koordinator beim Kriseninterventionsteam Vorarlberg. Der 43-Jährige spricht über den herausfordernden Job, die KIT-Familie und ein Jubiläum.

Wie sind Sie zum KIT gekommen?

Thomas Stubler: Eigentlich ganz klassisch, über eine Stellenanzeige. Die Arbeit im sozialen Bereich in Zusammenhang mit organisatorischen Tätigkeiten hat mich gleich angesprochen und ich wusste, das ist das Richtige für mich.

Also noch keine Minute bereut?

Stubler: Nein, ich gehe seit nunmehr zehn Jahren jeden Tag gerne zur Arbeit. Der Job ist wie ein Geschenk für mich und ich bin genau da, wo ich hingehöre.

nterview mit Thomas Stubler vom KIT.
Thomas Stubler im Interview. Hartinger

Sie führen als hauptamtlicher Koordinator die operativen Geschäfte und bilden gemeinsam mit den drei Vorstandsmitgliedern Gebhard Barbisch (Obmann), Susanne Wallner und Günther Watzenegger das Leitungsgremium. Wie sehen Ihre Aufgaben aus?

Stubler: Ich kümmere mich um alle administrativen und organisatorischen Aufgaben, plane Aus- und Fortbildungsveranstaltungen für unser Team und stehe den ehrenamtlichen KIT-Mitarbeitern mit Rat und Tat zur Seite. Zudem leiste ich, wie unsere Ehrenamtlichen, regelmäßig Bereitschaftsdienste und Betreuungseinsätze. Die Gesamtverantwortung für die Vereinstätigkeit tragen die Vorstandsmitglieder, die mich in finanziellen und fachlichen Belangen unterstützen.

Was sind die Aufgaben und Ziele von KIT Vorarlberg?

Stubler: Wir leisten psychosoziale Akutbetreuung unmittelbar nach traumatischen Ereignissen. Nach plötzlichen Todesfällen oder schweren Unfällen stehen wir Angehörigen, Zeugen oder Ersthelfern in den ersten Stunden des Schocks zur Seite und leisten sozusagen Erste Hilfe für die Seele. Wir nehmen uns Zeit, hören einfühlsam zu, beantworten die Fragen der Betroffenen und sind einfach für die Menschen da. Außerdem leisten wir Unterstützung für Einsatzkräfte nach belastenden Einsätzen.

KIT Krisen Interventions Team Vorarlberg Mitarbeiter
Kit-Team bei der Betreuung. KIT

Wer fordert Unterstützung an?

Stubler: In der Regel werden wir von den Einsatzkräften der Vorarlberger Blaulichtorganisationen, der Polizei, Rettung, Feuerwehr, Bergrettung und Wasserrettung sowie von Krankenhäusern angefordert.

Wer nimmt diese am häufigsten in Anspruch?

Stubler: In rund der Hälfte aller Fälle werden wir von der Polizei angefordert.

Wie viele Einsätze gibt es?

Stubler: Pro Jahr werden wir im Schnitt zu 250 Einsätzen gerufen. Im Vorjahr waren es 259 Einsätze.

Zur Person

Name: Thomas Stubler
Geboren: 17. Mai 1980
Wohnort: Feldkirch
Familie: Geschieden
Beruf: KIT-Koordinator
Ausbildung: Gymnasium, Konditor, Radiomoderator, Krisenintervention
Hobbys: Sport (Biken, Fußball, Skifahren), Wandern

Und wie viele Personen wurden in diesem Zeitabschnitt betreut?

Stubler: Im Jahr 2023 haben wir 1029 Menschen in Vorarlberg betreut.

Gibt es hier eine Tendenz?

Stubler: Die Zahlen sind in den letzten Jahren recht konstant, mit leichter Tendenz nach oben.

Die häufigsten Einsatzarten?

Stubler: Am häufigsten werden wir zu plötzlichen Todesfällen gerufen. Das war im Vorjahr 103 Mal der Fall. Sehr häufig kommen wir auch nach Suiziden zum Einsatz und im Durchschnitt begleiten wir die Polizei ein Mal pro Woche bei der Überbringung einer Todesnachricht.

nterview mit Thomas Stubler vom KIT.
Thomas Stubler bei der Durchsicht der Akten. Hartinger


Gibt es auch hier eine Tendenz?

Stubler: Im Vorjahr haben die Einsätze nach Suiziden deutlich zugenommen. Waren es in den Jahren davor jeweils zwischen 40 und 50 Einsätze nach Suizid, so hatten wir im Jahr 2023 insgesamt 70 solcher Einsätze zu leisten. Auch im heurigen Jahr wurden wir bereits zu über 20 Einsätzen nach Suizid gerufen.

Was gilt es bei den Suizidzahlen zu berücksichtigen?
Stubler: Die Zahl unserer Suizideinsätze entsprechen nicht der tatsächlichen Anzahl an Suiziden. Häufig haben wir nach einem Suizid zwei Einsätze parallel zu absolvieren. Wenn beispielsweise ein Einsatzteam Augenzeugen betreut und ein zweites Team kümmert sich zeitgleich um die Angehörigen.

Was ist noch wichtig?

Stubler: In diesem Zusammenhang ist es mir wichtig zu betonen, dass wir hier sehr nüchtern über Zahlen und Fakten sprechen, aber man darf dabei nie vergessen, dass hinter jedem einzelnen KIT-Einsatz ein trauriges Schicksal und großes Leid der Betroffenen steht.

„Das Rüstzeug für die herausfordernden Einsätze bekommen die Ehrenamtlichen bei unserem Ausbildungslehrgang, der 130 Stunden umfasst.“

Thomas Stubler, KIT-Koordinator

Da sprechen Sie aus viel persönlicher Erfahrung.

Stubler: Die Einsätze sind für unsere derzeit 93 aktiven Ehrenamtlichen und für mich immer eine neue und große Herausforderung. Man sieht, wie schnell sich ein Leben in kürzester Zeit dramatisch verändern kann. Auf mein Leben bezogen, bin ich durch die Arbeit beim KIT viel dankbarer und gelassener geworden.

Bei Einsätzen ist auch ein gewisser Druck vorhanden. Wie gehen Sie damit um?

Stubler: Bei Einsätzen oder wenn sich eine hilfesuchende Person bei mir im Büro meldet, versuche ich stets etwas Druck aus der Situation zu nehmen. In erster Linie natürlich für die Betroffenen, indem ich sie einfühlsam begleite. Aber auch für mich selbst, indem ich mir sage: „Ich kann das Geschehene nicht rückgängig machen und muss keine Lösungen liefern, sondern ich muss einfach nur empathisch für die Person da sein.“ Diese Einstellung nimmt mir den Handlungsdruck, den ich zu Beginn meiner KIT-Tätigkeit vor zehn Jahren oft verspürt habe und schärft gleichzeitig meine Wahrnehmung für die Bedürfnisse der Betroffenen.

nterview mit Thomas Stubler vom KIT.
Thomas Stubler. Hartinger

Sie haben einen fordernden Beruf, können Sie nach der Arbeit abschalten?

Stubler: Nach emotional herausfordernden Einsätzen oder Arbeitstagen widme ich mich sehr bewusst meiner Psychohygiene. Mir hilft es zum Beispiel, beim Sport, bei einem Spaziergang in der Natur oder auch bei Videospielen den Kopf freizubekommen und meinen Akku wieder aufzuladen. So wichtig Empathie und Mitgefühl in meiner Arbeit ist, so wichtig ist die Selbstfürsorge in meiner Freizeit. Denn nur wenn es mir selbst gut geht, kann ich für andere eine Stütze sein.

Wie wichtig ist das KIT für unsere Gesellschaft?

Stubler: Das Ehrenamt im Allgemeinen ist sehr bedeutsam für unsere Gesellschaft und ich bin froh, dass es in Vorarlberg eine hervorragend etablierte und lebendige Ehrenamtskultur gibt. Das KIT im Speziellen leis­tet – wie andere Einrichtungen auch – einen wichtigen Beitrag in Sachen Nächstenliebe. Dank unserer motivierten und kompetenten Ehrenamtlichen wird man in Vorarlberg nach einem Schicksalsschlag nicht alleine gelassen und erfährt wertvolle Unterstützung in Momenten des Schocks und der Trauer.

Das KIT Vorarlberg wurde am 21. September 1999 gegründet, feiert heuer sein 25-jähriges Bestehen. Gibt es einen Festakt?

Stubler: Wir werden das Jubiläum im Rahmen unserer alljährlichen Dankesfeier im Herbst feiern, bei der wir jedes Jahr unseren Ehrenamtlichen für ihr großes Engagement danken. Heuer werden wir auf 25 Jahre KIT Vorarlberg zurückblicken.

Wünsche für die Zukunft?

Stubler: Ich wünsche mir, dass es auch in den nächsten Jahren und Jahrzehnten so viele engagierte Menschen in Vorarlberg gibt, die ehrenamtlich bei uns mitarbeiten möchten. Ebenso wünsche ich mir, dass wir weiterhin von den politischen Entscheidungsträgern im Land unterstützt werden. Und weil jedem KIT-Einsatz ein trauriges Schicksal vorangeht, ist mein größter Wunsch, dass wir zu möglichst wenig Einsätzen gerufen werden.