Der ÖVP unwürdig

Österreich eine Tradition für unwürdige Abgänge, Sebastian Kurz hat sie zu neuer Blüte geführt.
In Wien gibt es die, in Vorarlberg weniger bekannten Durchhäuser. Das sind solche Gebäude, durch die „freiwillig eröffnete“ Durchgänge führen. Jeder kann also auf der einen Seite hinein- und auf der anderen hinausgehen. Ein solches Durchhaus ist neuerdings auch das Bundeskanzleramt, allerdings weniger im baulichen als im politischen Sinn.
In Sebastian Kurz Umfeld, in dem Loyalität stets eine härtere Währung war als Kompetenz, wurde einer der wenigen Minister, deren fachliche Eignung über Parteigrenzen hinweg unstrittig war, in einem traurigen Kanzlermaneuver verbraten, das seiner und der Republik unwürdig war.
Solange Kurz noch glauben konnte, in absehbarer Zeit wieder an die Macht zu kommen, durfte Alexander Schallenberg duch die Fernsehstudios ziehen und sich mit Aussagen zum Wesen seiner Funktion lächerlich machen. Er sei kein Marionettenkanzler, beteuerte er. Jetzt steht er als Lügner da, während sein Vorgänger wie Kapitän Schettino den türkisen Tanker verlassen hat.
Natürlich hat Österreich eine Tradition für unwürdige Abgänge: Man denke etwa an den Verkehrsministerverschleiß der FPÖ in der ersten schwarz-blauen Regierung oder die Staatssekretärinnen Christa Kranzl (SPÖ) und Verena Remler (ÖVP), die ihr politisches Leben zeitgleich mit dem jeweiligen Parteivorsitzenden aushauchten. Dass aber das Amt des Regierungsvorsitzenden wie eine Park-and-Ride-Anlage genutzt wird, um den machtpolitischen Überlegungen eines Einzelnen zu dienen, ist in der Intensität der hier zur Schau gestellten Schamlosigkeit neu. Einzigartig ist sie freilich auch für die türkise ÖVP nicht.
Kurz schreckte bekanntlich nicht davor zurück, Elisabeth Köstinger an der Spitze des Nationalrates zwischenzuparken, um mit der FPÖ in Ruhe über die Ressortverteilung verhandeln zu können. Wer so etwas für andere tut, tut es auch für sich selbst. Sebastian Kurz war nicht der erste, dem seine Karriere wichtiger war, als ein Amt, aber kaum jemand zuvor hat sein Desinteresse an Koninuität und Verlässlichkeit an der Staatsspitze dermaßen offen zur Schau gestellt.
Sein weg an die Macht war der Inbegriff politischer Kurzatmigkeit: Die Koalition mit der SPÖ unter Christian Kern musste enden, weil Kurz Neuwahlen provozierte und gewann. Er selbst ging nach Ibiza erneut in Neuwahlen, über ein Misstrauensvotum gegen seine ÖVP-Alleinregierung und wurde daraufhin kruzfristig von Hartwig Löger vertreten. Dann übernahm Brigitte Bierlein bis Kurz nach der Wahl wieder ans Ruder kam, letztlich über Korruptionsvorwürfe stürzte, Schallenberg als Marionettennkanzler installierte und nach seinem vorläufig endgültigen Abgang Karl Nehammer ins Amt hievte.
Die Öffentlichkeit und der Bundespräsident waren in diesem Kanzlerkarussell nur Trittbrettfahrer. Die Masse an Angelobungen, die Alexander Van der Bellen in den vergangenen Monaten und Jahren durchzuführen hatte, sind auch ein türkiser Witz auf seine Kosten.
Wohin sich das Machtgefüge zwischen den Schwarzen und Türkisen in der ÖVP noch entwickeln wird, können nur noch Drehbuchautoren für Seifenopern mutmaßen. Zumindest in den Ländern scheint sich die Erkenntnis durchgesezt zu haben, dass Kurz Machtpoker nicht nur der Republik, sondern auch der Volkspartei unwürdig war.