Eine Freitestung, die keine ist

In jeder Krise gibt es die Tendenz zu Workarounds, klare Lösungen wäre aber wünschenswerter.
Manchmal funktionieren die Dinge nicht so wie sie sollten und diejenigen, die das ändern könnten, sind entweder zu träge, zu unfähig oder zu uneinsichtig, um etwas zu tun. In solchen Situationen entwickeln sich Alternativen. Das System wird den Bedürfnissen angepasst – vermutlich jeder kennt das aus der eigenen Arbeitswelt. In der Pandemie blühten solche Behelfsmäßigkeiten geradezu auf. Nach meinem positiven Corona-Test durfte ich einige dieser Prozedere kennenlernen, die man modernistisch als Workaround bezeichnen würde.
Zunächst einmal ist es so gut wie unmöglich, bei der Corona-Infoline des Landes durchzukommen. Darüber könnte man sich wortreich beschweren, wüsste man nicht, wie angespannt die Personalsituation im Hintergrund ist. Irgendwann geht einfach nichts mehr, auch wenn Infizierte sich ob der langen Wartezeiten noch so ärgern. Man hat sich mit online-Formularen beholfen, um die Leitungen zu entlasten.
Bei der Telefonnummer 1450 begegnet man dem Ansturm damit, dass man zur gesundheitlichen Beratung und Einmeldung positiver Selbsttests erst weitergeleitet wird, wenn man sich eine ganze Litanei anderer möglicher Weiterleitungen angehört hat. Wer darauf angewiesen ist wartet. Wer vielleicht nur angerufen hat, um zu fragen, was man tun kann, wenn man sich den kleinen Zehen angestoßen hat, wird frustriert wieder auflegen. Man filtert die Kundschaft durch Zermürbung.
Ein anderer Workaround ist etwas komplexer: Seit die Quarantäne auf zehn Tage verkürzt wurde, gehen viele Infizierte noch immer positiv aus der Absonderung und stecken andere dabei an. Öffentlich sagt einem das kaum jemand, aber wenn man bei der Infoline des Landes nach gezählten 15 Anrufen durchkommt, bekommt man es zu hören. Die Sache ist nämlich die: Wer sich infiziert, kann sich nach fünf Tagen freitesten lassen, muss das aber nicht. Das Land teilt dennoch automatisch Freitesttermine zu. Wer danach noch immer positiv ist – und das sind 95 Prozent der Fälle – kann anschließend nach acht Tagen noch einmal testen. Ist man dann immer noch positiv, verlängert sich die Absonderung erneut. Wer sich vom Testtermin aber abmeldet, kann nach insgesamt zehn Tagen die Quarantäne verlassen.
Warum also hält das Land ein Freitesten aufrecht, bei dem laut Land 95 Prozent der Testanten weiterhin positiv sind? Vielleicht, um so die Quarantäne der Infizierten zu verlängern, weil sie nach zehn Tagen noch immer positiv wären, sich dann aber nicht mehr testen lassen müssen. Man kompensiert damit den offensichtlichen Fehler des Bundes, die Absonderung auf zehn Tage zu verkürzen. Praktischerweise gibt es zur Abmeldung von der Freitestung auch kein Online-Formular, man muss anrufen.
Es ist vielleicht keine besonders galante Methode, Menschen die vermeintliche Karotte des Freitestens vor die Nase zu halten, um sie damit in eine längere Absonderung zu locken, aber sie wirkt. Meldet man sich doch ab – vorausgesetzt man kommt durch – wird man gebeten, nach zehn Tagen einen freiwilligen Test zu machen, weil viele dann eben noch immer positiv seien.
Die Ideallösung wäre freilich, solche Tricks obsolet zu machen, indem der Bund entweder die Quarantäne wieder verlängert oder sich trotz der damit verbundenen Risken dazu durchringt, die Maßnahmen insgesamt zu beenden.
Anm.: Ursprünglich hieß es im Kommentar, die Absonderung verlängere sich bereits nach dem ersten Freitesttermin, tatsächlich ist es der zweite.