Wir werden für die Ukraine einen Preis zahlen müssen

Wenn zwischen Putin und Österreich nur noch Ungarn liegt, steht auch unsere Freiheit auf Messers Schneide.
Historische Ereignisse erscheinen im Nachhinein betrachtet oft als Aneinanderreihung von Zwangsläufigkeiten. Man fragt sich oft, wieso gewisse Entwicklungen nicht vorzeitig erkannt wurden. Vielleicht werden sich nachfolgende Generationen das auch mit Blick auf unsere Zeit fragen. Die Welle an Ereignissen, die der Krieg Russlands gegen die Ukraine noch auslösen kann, scheint endlos. Werden die explodierenden Energiepreise zusammen mit der extensiven Geldpolitik der Zentralbanken die Inflation so weit in die Höhe treiben, dass das westliche Wirtschaftssystem ebenso ins Wanken gerät wie jenes Russlands? Wird man die Interessen der Ukraine dann für die eigene ökonomische Lage opfern? Oder implodiert das Regime des Waldimir Putin angesichts der Sanktionen rascher als erwartet? Kommt es zu Massenarmut in Osteuropa, der wir mit milliardenschweren Wiederaufbau- und Hilfspaketen begegnen müssen?
Es wird immer Parteien geben, in Österreich vor allem eine, die für eine Scheibe Wurst mehr am Brot, den eigenen Nachbarn vor der Türe verhungern lassen würden. Heinz-Christian Strache hat dafür einmal das berühmte Wort der Übernächstenliebe geprägt, die im Gegensatz zur Nächstenliebe nicht geboten sei. Die Übernächsten, das sind für uns die Ukrainer. Schließlich liegen da noch die Slowakei und Ungarn dazwischen. Was geht es also uns an, was mit der Ukraine passiert, könnte man fragen. Das passte zu jener Schrebergartenperspektive, die man in Österreich leider so häufig einnimmt, wenn es um internationale Konflikte geht. Dieser hier wird anders sein. Wir können uns vor ihm und seinen Folgen nicht verstecken. Wenn das größte Land Europas unseren übernächsten Nachbarn überfällt, der den Kontinent mit Getreide und Pflanzenöl versorgt, kann auch uns das nicht kalt lassen. Nicht einmal wenn wir uns selbstsüchtig hinter unseren Grenzen verschanzen möchten.
Die österreichische Landwirtschaft mag bei Hartweizen eine Eigenversorgung von 106 Prozent stemmen können, aber beim Pflanzenöl sieht es deutlich anders aus: Nur 42 Prozent der benötigten Sonnenblumenkerne werden im Inland angebaut, bei Raps und Rüben sind es 54 Prozent, bei Sojabohnen 70 Prozent. Im Zweiten Weltkrieg nannte man das die „Fettlücke“. Sie ist auch heute noch da, wir spüren sie nur nicht, weil Länder wie die Ukraine uns jährlich mit einer halben Million Tonnen Ölsaaten versorgen. Die Preise werden also wohl auch hier steigen, genauso wie bei Öl und Gas und damit bei allen Produkten die damit hergestellt oder befördert werden. Das wird mittelfristig den Druck erhöhen, Putin zu geben was er will, um selbst weiter bequem leben zu können oder Einschnitte hinzunehmen. Unsere Freiheit, die uns so viele Jahrzehnte lang selbstverständlich war, ist nun nicht mehr kostenlos.
Der Staat wird vor allem niedrige Einkommen massiv stützen, vielleicht auch Preise festsetzen müssen. Ob das rechtzeitig und ausreichend gelingt, darf angesichts des bisherigen Krisenmanagements der Bundespolitik bezweifelt werden. Der Preis, den wir alle bezahlen, wird hoch ausfallen, aber er muss es uns wert sein. Nicht nur aus Nächstenliebe, auch aus blankem Eigennutz. Wenn zwischen Putin und Österreich nur noch Ungarn liegt, steht auch unsere Freiheit auf Messers Schneide.