Meinung

Die Politik und ihre Prioritäten

06.04.2022 • 17:03 Uhr
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Der Bundeskanzler befindet sich im Zentrum mehrerer veritabler Krisen und nicht auf einer Oscar-Verleihung.

Während in der Ukraine mutmaßlich Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen werden, die Inflation scheinbar unaufhaltsam steigt und Europa nicht weiß, ob es morgen noch mit Gas versorgt wird, beschäftigt sich Österreich mit geradezu beschaulichen Skandalen.

Man kann darüber streiten, in welchem Ausmaß Politiker staatliche Dienstleistungen nutzen können und dürfen. Meiner Meinung nach sind öffentlich Bedienstete weder dazu da, die PCR-Tests von ÖVP-Bundeskanzlerkindern abzugeben, noch um SPÖ-Verkehrsministerinnentöchter zur Weinverkostung zu fahren, aber man kann da durchaus anderer Meinung sein. Der US-Präsident hat schließlich auch Köche und Hauspersonal und das Weiße Haus steht immer noch. Man müsste das halt einmal klar regeln, aber davor fürchtet sich die Politik. Daher hat man vor Jahren die Präsidentenvilla in Wien verschachert, es hätte sich ja eine traurige Boulevardzeitung über die Renovierungskosten aufregen können. Unvergessen auch der nie in Dienst gestellte Dienstflieger der Bundesregierung, der vor Jahrzehnten bereits neu lackiert am Flugfeld stand, bevor die Politik kalte Füße bekam.

Ziemlich sicher ist jetzt aber eher nicht die Zeit, um solche Dinge zu diskutieren. Und vielleicht hätte auch ein österreichischer Bundeskanzler besseres zu tun, als eine Eil-Pressekonferenz einzuberufen, um zu erklären, mit wem seine Frau angeblich nicht getschechert hat. Der Regierungschef befindet sich im Zentrum mehrerer veritabler Krisen und nicht auf einer Oscar-Verleihung. Man könnte so weit gehen zu behaupten, das österreichische Volk hätte vermutlich mehr Interesse an der Aufklärung der mittlerweile dutzendfachen Vorwürfe rund um die ÖVP, als an fahrunfähigen Cobra-Beamten. In dieser Angelegenheit bleiben die Pressekonferenzen des Kanzlers aber eine Seltenheit, um nicht zu sagen, sie finden nicht statt. Vielmehr hat die Volkspartei angekündigt einen weiteren Rechenschaftsbericht für das Jahr 2019 an den Rechnungshof zu senden – es wäre der dritte. Ganz zufällig hält das den Rechnungshof davon ab, seine Erkenntnisse zu den ÖVP-Parteifinanzen zeitnah zu veröffentlichen und ebenso zufällig wurde die dritte Revision des Rechenschaftsberichtes auch nur angekündigt, aber noch nicht übermittelt. Ob das Ganze tatsächlich nur eine Verzögerungstaktik darstellt, oder ob man im Lichte der jüngsten Ereignisse in Vorarlberg vielleicht doch noch Nachbesserungsbedarf bei den Inserateneinahmen gefunden hat, wird sich weisen.

Warten heißt es auch beim Thema Energie. Die Pressekonferenz, auf der die Bundesregierung ein Generationenprojekt und die Aufnahme einer Milliardenanleihe zur Finanzierung des Ausstiegs aus fossilen Brennstoffen verkündet, hat leider auch noch nicht stattgefunden. Natürlich könnte man so etwas nicht übers Knie brechen, aber ansonsten hält die Regierung bekanntlich wenig von Ankündigungen ab. Trotzdem gut möglich, dass Österreich den Gasausstieg noch schafft, bevor die ÖVP den Rechenschaftsbericht für 2019 vorlegt – im Jahr 2050 vielleicht.