Warum die “letzte Generation” doch nicht aufhört

Die „Letzte Generation“ gibt es nicht mehr. Die NEUE sprach mit ihrer Sprecherin Marina Hagen-Canaval darüber, was es damit auf sich hat und vor welchen Herausforderungen die Klimabewegung steht.
Sie kommen gerade aus dem Gerichtssaal. Was können Sie mir von der Verhandlung berichten?
Marina Hagen-Canaval: Heute war eine Verhandlung wegen einer Maßnahmenbeschwerde. Es geht um eine Demonstration, die im März in Wien stattfand. Diese wurde wie so oft von der Polizei aufgelöst, und ich bin dem auch nachgekommen. Als ich dann auf dem Gehsteig mit dem Megafon eine Durchsage gemacht habe, war das der Polizei genug, mich festzunehmen. Im Anhaltezentrum hat mich dann ein Polizist an meinem Pullover über den Boden gezerrt und damit gewürgt. Darum ging es heute.
Wie viele Verfahren sind noch offen?
Hagen-Canaval: Es sind sicher zweieinhalbtausend Verwaltungsstrafverfahren. Dann gibt es noch eine Ermittlung wegen der Bildung einer kriminellen Vereinigung.

Wie kam es dazu?
Hagen-Canaval: Drei unserer Gruppen haben sich letzten November an die Wiener Autobahn geklebt. Während zwei von der Polizei mit Lösungsmittel, Hammer und Meißel entfernt wurden, hat man die dritte Gruppe aus der Straße geschnitten. Daraufhin kam eine Klage wegen schwerer Sachbeschädigung. Darauf fußt die Ermittlung. Ob sie Bestand hat, wird sich zeigen. Es gibt sogar eine Weisung aus dem Justizministerium, dass die Untersuchung gegen uns nicht einzustellen ist.
“Es besteht immer die Gefahr, dass man uns verletzt. Wenn man mich anfährt, dann heilt die Wunde aber wieder. Die Klimakatastrophe wird aber nicht mehr gut.”
Marina Hagen-Canaval
Aktivismus kostet Geld, erst recht, wenn man Klagen bewältigen muss. Wie geht es euch finanziell?
Hagen-Canaval: Tatsächlich ist die Spendenbereitschaft in Österreich sehr groß. Viele sagen, sie können sich nicht wo hinkleben, aber spenden. Bei manchen sind es 20 Euro im Monat. Wir können unsere Kosten zwei Monate im Voraus planen. Geldprobleme haben wir also keine.

Euer Engagement geht mit einem hohen Risiko einher, speziell bei Straßenblockaden. Wie gehst du damit um?
Hagen-Canaval: Es besteht immer die Gefahr, dass man uns verletzt. Wenn man mich anfährt, dann heilt die Wunde aber wieder. Die Klimakatastrophe wird aber nicht mehr gut. Uns steht das Wasser bis zum Hals. Regierung und Bevölkerung nehmen das einfach hin, ich nicht. Ich bin aber zuversichtlich, da ziviler Widerstand in der Geschichte oft funktioniert hat.
Die „Letzte Generation“ gibt es nicht mehr. Als Grund gebt ihr das Versagen der Regierung und die „fossile Verdrängung“ der Bevölkerung an. Ist nicht viel eher die Klimabewegung gescheitert?
Hagen-Canaval: Die „Letzte Generation“ löst sich nicht auf, nur diese Kampagne. Unsere Ziele sind so, wie wir es jetzt machen, nicht erreichbar. Daher beenden wir dieses Projekt, um Platz für ein neues zu schaffen. Ich bin mir sicher, dass es die Menschen nicht hinnehmen werden, dass die Regierung den Tod von Millionen in Kauf nimmt. Daher wollen wir Wege suchen, die noch wirksamer sind.
“Wir haben eine Verantwortung vor denen, die unter unserem Namen demonstrieren und Repression in Kauf nehmen.”
Marina Hagen-Canaval
Ihr gebt an, „mehr Menschen als je zuvor politisiert“ zu haben. Was ist der Wert einer Politisierung, die keinen Erfolg bringt?
Hagen-Canaval: Es ist noch zu früh, um unseren Erfolg zu bewerten. Den sieht man erst in den nächsten Jahren. Es ist aber ein gutes Zeichen, wenn mehr Menschen politisiert sind, dann mischen sie mehr mit. Wenn sich niemand mehr für die Demokratie interessiert, stirbt sie
Was, würden Sie sagen, war euer größter Erfolg?
Hagen-Canaval: Wir haben es geschafft, die Klimakatastrophe auf die Titelseiten zu bringen. Es gibt sogar Studien, die belegen, dass Proteste, aber auch die Kriminalisierung von Demonstrierenden, diesen Effekt erzielen. Im letztjährigen Sommergespräch des ORF mussten sich alle Politiker zu unseren Themen äußern.
Was für eine Verantwortung habt ihr vor euren eigenen Mitgliedern und Weggefährten, gerade in Zeiten, wo die Frage nach der richtigen Taktik unklar ist?
Hagen-Canaval: Mit dem Ende der Kampagne wollen wir dieses Problem sichtbar machen. Wir haben eine Verantwortung vor denen, die unter unserem Namen demonstrieren und Repression in Kauf nehmen. Das Risiko ist legitim, wenn eine Aussicht auf strategischen Erfolg besteht. Die ist nicht mehr gegeben.
Sie sind sowohl bei der „Letzten Generation“ als auch bei „Extinction Rebellion“ aktiv. Was unterscheidet die Organisationen?
Hagen-Canaval: „Extinction Rebellion“ ist eine basisdemokratische Bewegung, die 2018 im Vereinigten Königreich gegründet wurde, aber auf der ganzen Welt aktiv ist. Unter ihrem Schirm organisieren sich viele Klimabewegte, etwa gegen die Tunnelspinne in Feldkirch. Die „Letzte Generation“ dagegen begann im Februar 2022 und hat eine funktionale Hierarchie. Wir haben in jedem Land ein eigenes Strategie-Team, das unabhängig entscheidet, aber mit den anderen vernetzt ist. So kam es zu den Flughafenprotesten, die gleichzeitig in Österreich, Deutschland, Kanada und anderen Ländern stattfanden.
Aus Kreisen der Klimabewegung hört man immer wieder, dass die interne Organisierung der „Letzten Generation“ sehr umstritten sei. Konkret geht es um das Leitungsgremium, das sich selbst wählen würde. Stimmt das?
Hagen-Canaval: So ist das. Aktivismus ist ein 70-Stunden-Job. Da muss man ein gutes Team haben, das schnelle und flexible Entscheidungen treffen kann. Es stellt sich immer die Frage, welche Kompetenzen braucht man? Eine Welt nach basisdemokratischen Prinzipien wäre zwar gut, aber die sind nicht immer praktisch. Daher haben wir, ähnlich wie Greenpeace, eine funktionale Hierarchie. Wer sich an unserer Organisationsform stört, ist eingeladen, sich an anderen Kampagnen zu beteiligen.
Der Erfolg der Klimaproteste bleibt aus. Besteht jetzt die Gefahr, dass jetzt manche einen gewaltvollen Weg einschlagen werden?
Hagen-Canaval: Gewalt gegen Menschen ist der falsche Weg. Ich finde es aber legitim, wenn jemand ein Kabel durchschneidet und damit eine Fabrik, wie die von Tesla in Brandenburg, keinen weiteren Schaden anrichten kann. Daher bin ich mit allen solidarisch, die den Mut haben, etwas zu tun.

Damit schadet man aber den Tausenden Mitarbeitern der Fabrik. Sie brauchen ihre Arbeit.
Hagen-Canaval: Ich finde nicht, dass Jobs, die die Lebensqualität verschlechtern, etwas Gutes sind. Wollen wir Jobs oder eine Lebensgrundlage? Wir leben in einem Hyperkapitalismus, wo Reiche immer reicher werden und andere nicht einmal etwas zu esseaben. In Österreich wird Arbeit sehr hoch, aber Vermögen fast gar nicht besteuert. Das ist eine Ungerechtigkeit, die man bei der Klimakatastrophe mitbeachten muss.
Der Klimawandel bedroht die ganze Menschheit. Der Philosoph Andrew Feenberg glaubt, dass diese im Kapitalismus gar nicht bewusst und geeint handeln kann. Teilst du diese Sicht?
Hagen-Canaval: Etwas Systemkritik muss sein. Unser aktuelles funktioniert nicht. Die Repression durch den Staat ist zwar hoch, aber nicht das Problem. Die Vertreter der repräsentativen Demokratie sind wie gewählte Aristokraten. Daher ist sie keine richtige repräsentative Demokratie. Die Politiker arbeiten nicht im Interesse ihrer Wähler. Das ist die Wurzel unseres Problems. Daher fordern wir Bürgerräte mit beratenden Experten. In Vorarlberg, wo so etwa schon versucht wurde, sieht man, dass stichhaltige Lösungen heraus kommen.
Zur Person
Die 28-Jährige Lustenauerin Marina Hagen-Canaval studierte Betriebswirtschaft und Wirtschaftsinformatik. Bevor sie ihre Berfung als Sprachrohr für die Klimabewegung fand, arbeitete sie sechs Monate lang als Praktikantin bei Volkswagen in Wolfsburg.