Freispruch für Christian Pilnacek

Beamter des Justizministeriums habe kein öffentliches Interesse gefährdet.
Als er den Großen Schwurgerichtssaal im Wiener Landesgericht betritt, wird der ehemals höchste Beamte im Justizministerium von einem Schwarm an Kameras verfolgt. Christian Pilnacek wird vorgeworfen, das Amtsgeheimnis verletzt zu haben. Der Prozess gegen ihn spaltet die Gemüter fast so sehr, wie die Person Pilnacek selbst.
Es geht um eine Anzeige gegen eine Journalistin der “Presse”, über die Pilnacek eine andere Journalistin des “Kurier” in Kenntnis gesetzt hat. Pilnacek bestreitet die Weitergabe der Information nicht. Das Ergebnis des Prozesses: Ein Freispruch.
Geheimnis verraten aber ohne Konsequenzen
Die Begründung von Richterin Julia Matiasch: Das Beweisverfahren habe ergeben, es habe sich offensichtlich um ein Geheimnis gehandelt, das der frühere Sektionschef nur Kraft seines Amtes erhalten habe. “Sie haben das Geheimnis auch offenbart, das haben Sie zugegeben.” Aber: Es habe kein öffentliches Interesse an der Geheimhaltung bestanden. Daher sei durch die Weitergabe der Information an die Journalistin auch kein solches gefährdet gewesen.
Die Argumentation der Staatsanwaltschaft spieße sich auf mehreren Ebenen, so sei die Tatsache, dass ein Ermittlungsverfahren nicht öffentlich abzulaufen habe, sei nicht gleichzusetzen damit, dass es geheim zu sein habe. Die Richterin geht davon aus, dass mediale Berichterstattung alleine, bzw Geheimnisverrat an eine Journalistin wie hier, nicht die Entscheidungsfähigkeit der Justiz beeinträchtigen kann.
Es könne oft zu umfassender, auch reißerischer Berichterstattung kommen, die Organe der Justiz müssten dennoch unabhängig entscheiden können. Somit kann die Richterin hier keine Gefährdung erkennen.
Mit dem schützenswerten Interesse der Journalistin Anna Thalhammer von der “Presse” könnte es anders aussehen. Pilnacek gibt zu, die Journalistin vor der Weitergabe nicht gefragt zu haben. Die Richterin geht aber davon aus, dass der suspendierte Sektionschef nicht davon ausging, schützenswerte Interessen von Thalhammer zu verletzten. Die Journalistin selbst fühlt sich nicht geschädigt, wie sie auf Twitter bekannt gab:
Pilnacek habe auch nicht auf eine Veröffentlichung gedrängt, sondern im Gegenteil darauf hingewirkt, dass dies nicht sofort veröffentlicht wird, führte die Richterin weiter aus. Er habe sich nur “offensichtlich dazu hinreißen lassen, einer anderen Journalistin etwas zu erzählen”.
Die geladene Journalistin des “Kurier” wurde nicht als Zeugin befragt. Auch der Antrag der Verteidigung, Anna Thalhammer zu befragen, wurde abgelehnt. Die Staatsanwaltschaft bringt heute kein Rechtsmittel ein. “Damit ist es für heute erledigt”, schließt die Richterin. Das Urteil ist aber noch nicht rechtskräftig, da der Staatsanwaltschaft nun drei Tage bleiben, um doch noch Rechtsmittel einzubringen.
Vom Zufallsfund zur Anklage
Ein “Zufallsfund” hat den heutigen Fall ins Rollen gebracht. Am 25. Februar 2021 beschlagnahmte die Staatsanwaltschaft Wien das Mobiltelefon von Christian Pilnacek, damals Leiter der Sektion IV im Justizministerium und einer der höchsten Beamten des Landes. Die Ermittler vermuten, dass der Sektionschef eine Hausdurchsuchung bei Investor Michael Tojner verraten hat. Am selben Tag wird Pilnacek suspendiert.
Der heutige Prozess dreht sich aber um einen Nebenstrang. Bei der Auswertung des Handys stößt die Staatsanwaltschaft auch auf Chats, die nichts mit Tojner zu tun haben, aber das Interesse der Ermittler wecken – ein klassischer “Zufallsfund“. So soll Pilnacek im Dezember 2020 einer Redakteurin des “Kurier” eine Anzeige der WKStA gegen eine Innenpolitikredakteurin der Tageszeitung “Die Presse”, Anna Thalhammer, verraten haben. Die Staatsanwaltschaft Innsbruck sieht darin eine Verletzung des Amtsgeheimnisses.
§ 310 StGB Verletzung des Amtsgeheimnisses
(1) Ein Beamter oder ehemaliger Beamter, der ein ihm ausschließlich kraft seines Amtes anvertrautes oder zugänglich gewordenes Geheimnis offenbart oder verwertet, dessen Offenbarung oder Verwertung geeignet ist, ein öffentliches oder ein berechtigtes privates Interesse zu verletzen, ist, wenn die Tat nicht nach einer anderen Bestimmung mit strengerer Strafe bedroht ist, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren zu bestrafen.
Ein Handy als rauchende Pistole
Pikant ist das auch, weil Pilnacek nicht auf “normalem” Weg von der Anzeige erfahren haben soll. Auf dem Handy wurden zwei abfotografierte Seiten des Vorhabensberichts der Staatsanwaltschaft Wien gefunden. Die Bilder fanden am 11. Dezember den Weg auf Pilnaceks Mobiltelefon – just als der Akt bei der Oberstaatsanwaltschaft Wien lag. Wer ihm die Bilder gesendet hat, wollte Pilnacek nicht verraten. Er wolle nicht, dass sich auch andere Personen mit dem Vorwurf der Korruption auseinandersetzen müssten, erklärte der Beamte im Gerichtssaal.
Pilnacek sei es darum gegangen, “die WKStA in Misskredit zu bringen”, argumentierte die Staatsanwaltschaft Innsbruck. Die Anzeige gegen Thalhammer sei kein strukturelles Problem, snodern “nur” eine Anzeige einzelner Mitarbeiter der Behörde. Pilnacek hätte abwarten können, ob Schritte gegen die Anzeige eingeleitet werden oder sich als Sektionschef auch etwa direkt an die Justizministerin wenden können. Stattdessen habe er die Anzeige an eine andere Journalistin verraten. “Da zeige ich Ihnen etwas, das so erbärmlich ist”, kündigte er der Redakteurin am 14. Dezember an. Die Staatsanwaltschaft sieht eine “Instrumentalisierung von Journalismus”.
Empörung führt zu Verrat
“Ja, mir ist das passiert”, räumt Pilnacek vor Gericht die Weitergabe ein. “Ich war über die Anzeige schwer empört”, es sei um die Freiheit der Presse gegangen. Er habe aber darauf gedrängt, dass die Information erst veröffentlicht werden könnte, wenn Thalhammer als Beschuldigte von der Anzeige informiert wurde.
Der suspendierte Sektionschef übte auch immer wieder Kritik am Vorgehen der Staatsanwaltschaft. Dass im Gerichtssaal etwa die Namen der Kurier-Redakteurin sowie des Chefredakteurs der “Presse”, Rainer Nowak, ausgesprochen wird, störte ihn sichtlich. Auch dass im Eingangsplädoyer der Staatsanwaltschaft von Korruption und Machtmissbrauch die Rede war, weist Pilnacek zurück.
Die Staatsanwaltschaft setze auf Stimmungsmache, kritisierte der ehemals höchste Beamten im Justizressort. Ihm sei es im Gespräch mit der Journalistin um die Kritikfähigkeit der Justiz gegangen, erklärte er. “Aus keinem der Chatverläufe geht hervor, dass es mein Ziel gewesen wäre, die WKStA zu schädigen.”
Kein Vorsatz, keine Verletzung
Hätte Pilnacek eine Veröffentlichung gewollt, hätte er nicht geschrieben, mit der Veröffentlichung zu warten, argumentierte sein Verteidiger Rüdiger Schender mit Verweis auf weiteren Chats. Außerdem wäre es leicht gewesen, andere Journalisten zu finden, die die Anzeige der WKStA sofort veröffentlichen würden. Dieser Vorwurf der Staatsanwaltschaft sei daher “nicht nachvollziehbar”, jedenfalls aber nicht überzeugend und nicht ausreichend, um einen Schuldspruch zu rechtfertigen.
Zusätzlich benötige es für den Verrat des Amtsgeheimnisses auch den Vorsatz des Beschuldigten. “Das Beweisverfahren hat gezeigt, dass die innere Tatseite beim Angeklagten eindeutig nicht erfüllt wurde”, argumentierte der Verteidiger.
Voraussetzung für eine Verurteilung wäre laut Strafgesetzbuch, dass dadurch “ein öffentliches oder ein berechtigtes privates Interesse” verletzt wird. Das sieht die Richterin in beiden Fällen nicht gegeben.
Kein Ende in Sicht
Die Anklage wegen Verletzung des Amtsgeheimnisses hatte schon im Vorfeld für Kritik gesorgt. Der Presseclub Concordia hatte etwa argumentiert, das Redaktionsgeheimnis würde durch die Auswertung von Chats mit Journalistinn und Journalisten “faktisch ausgehebelt”. Die Verteidigung hatte auch kritisiert, dass auf Pilnaceks Handy überhaupt nach dem Namen Thalhammer gesucht wurde. Ein Zufall, erklärte die Staatsanwaltschaft: Thalhammer war schlicht die erste Journalistin, die wegen Trojner angefragt hatte, daher suchte man nach ihrem Namen.
Für Pilnacek war der heutige Freispruch nach der Einstellung der Ermittlungen in der Causa Stadterweiterungsfonds ein weiterer Etappensieg. Am Ziel ist er aber noch nicht, gegen ihn wird weiter ermittelt. So bleibt die ursprüngliche Frage rund um die möglicherweise verratene Hausdurchsuchung bei Trojner offen. Unklar ist auch, wer Pilnacek die Anzeige gegen Thalhammer verraten hatte – auch hier ermittelt die Staatsanwaltschaft Innsbruck weiter.