Das Virus und die gereizte Gesellschaft

Der tätliche Angriff auf Grünen-Klubchefin Sigrid Maurer ist ein Alarmsignal.
Der tätliche Angriff auf die Nationalratsklubchefin der Grünen, Sigrid Maurer, ist Donnerstag Nacht glimpflich ausgegangen. Die in der Wiener Innenstadt mit einem Trinkglas attackierte Politikerin blieb unverletzt. Der rasch gefasste Tatverdächtige gab dann zu Protokoll, der Vorfall tue ihm leid. Trotzdem kann die Causa nicht nach der Devise “Ende gut, alles gut” zu den Akten gelegt werden.
Denn die Bereitschaft, in politischen Auseinandersetzungen die Grenze des Anstands zu überschreiten, steigt. In den zwei Jahren seit Ausbruch der Coronapandemie habe sich die Lage geändert, das Meinungsklima sei aggressiver geworden, heißt es im Innenministerium. “Von tätlicher Gewalt sind wir zwar verschont geblieben, aber Politiker sind viel stärker zur verbalen Zielscheibe geworden”, sagt Ministeriumssprecher Patrick Maierhofer.
Aufrufe zur Gewalt
Beschimpfungen werden intensiver und direkter: Auf den Coronademonstrationen sind explizit “feindliche” Parolen gegen Politiker zu lesen. “Das gab es früher nicht”, sagt Maierhofer. Und natürlich toben sich viele Bürger auch im Internet aus. Zur Attacke auf Maurer gab es reichlich einschlägige Wortspenden. “Sie tut mir nicht leid” war noch das Geringste. Bemerkungen wie “Sie hätte einen A****tritt verdient” stoßen auf verbreitetes Wohlgefallen.
Digitalexperten wie Ingrid Brodnig registrieren mit Sorge eine deutliche Zunahme von Gewaltphantasien und Rechtfertigungsmodellen für gewaltsames Vorgehen. Das Gefühl, von der Politik unrechtmäßig eingeschränkt zu werden, spiele eine Rolle. Ein toxischer Freiheitsbegriff, der keinerlei staatliche Einschränkung akzeptiert, breite sich aus. Die Gefahr bestehe in der “Entmenschlichung” der staatlichen Funktionsträger.
Gefährder werden angesprochen
Die Polizei reagiert mit verstärkter Überwachung, der Verfassungsschutz hat die Szene der Corona-Maßnahmen-Gegner fest im Blick. Auch Vorbeugung sei wichtig. Man setzt etwa auf die “Gefährder-Ansprache”, wo einschlägig bekannte Personen auf die Folgen möglicher Straftaten hingewiesen werden.
Die Begleitung und Überwachung von Corona-Demos war im Vorjahr zwar sehr personalintensiv, doch das ist verkraftbar, weil in anderen Bereichen Polizeiaufgaben weggefallen sind. So gab es wegen der geschlossenen Nachtgastronomie deutlich weniger Einsätze bei Raub, Körperverletzung und Lärmerregung. “Der Polizeidienst wurde von der Nacht in den Tag verlegt”, erzählt Maierhofer.
Seit Beginn der Corona-Pandemie hat die Polizei in Österreich knapp 5,4 Millionen Arbeitsstunden in Zusammenhang mit Corona geleistet. Davon sind 929.000 als Überstunden verbucht (452.499 im Jahr 2020 und 476.181 im Jahr 2021).